Das Hakenkreuz von nebenan

Vor einigen Wochen sah ganz Deutschland in Chemnitz, wie schnell sich rechts-radikale Gruppen organisieren können. Offen präsentierter Rechtsextremismus ist kein lokales oder neues Phänomen: Jannis Große unterwegs in der Region 38.

Springerstiefel waren gestern. Das klassische Bild von Skinheads mit Bomberjacke ist überholt. Das Auftreten der Neonazis hat sich verändert, ist raffinierter geworden. Immer wieder nutzen Rechtsextreme bewusst Strategien und Protestformen von Antifaschisten und Linksautonomen. Die sogenannte Anti-Antifa  beispielweise ist eine Kopie der antifaschistischen und autonomen Strukturen nach rechts. Strategien wie der Schwarze Block  als Schutz der Personen, das sportliche Auftreten und die Symbole werden hier in leicht veränderter Form genutzt, um neonazistische Inhalte auf die Straße zu tragen. Die Identitäre Bewegung  gibt sich als aktionistische Organisation, die neue Begriffe findet und junge Menschen mit einem hippen und modernen Auftreten anspricht. Sie sprechen von ethnokultureller Identität und Remigration statt von Deutschland den Deutschen und Abschiebungen. Immer wieder werden auch Codes genutzt, die auf den ersten Blick harmlos wirken und deren tatsächliche Botschaft nicht von allen verstanden wird. Üblich sind hier Abkürzungen wie NS  für Nationalsozialismus, HH  für Heil Hitler oder AH  für Adolf Hitler. Diese Abkürzungen werden häufig in Zahlencodes geschrieben. Hier ersetzt die Position eines Buchstaben im Alphabet den eigentlichen Buchstaben: HH wird also als 88  geschrieben und AH hat den Code 18.

Graffiti und Sticker Teil der öffentlichen Kommunikation

David Janzen ist Fachjournalist aus Braunschweig mit dem Schwerpunkt extremer Rechte. Er berichtet: „Die organisierte Neonazi-Szene in der ganzen Region ist recht klein und überschaubar. Bei Kundgebungen und anderen öffentlichen Aktivitäten kommen die auf höchstens zwanzig bis dreißig Personen, die dann meist aus der ganzen Region zwischen Harz und Heide herangekarrt werden.“ Aktiv sind in Braunschweig die Jungen Nationalisten, kurz JN, die Jugendorganisation der NPD. „Das sind so zehn bis fünfzehn Personen, ebenfalls aus der ganzen Region.“ Bis Januar 2018 gab es noch das Kollektiv Nordharz, eine rechtsextreme Vereinigung, dessen Logo Hammer und Schwert abbildete – ein Symbol der Hitler-Jugend und des Strasser-Flügels der NSDAP. „Die Aktivisten des Kollektivs sind nun in der Partei Die Rechte  gewechselt. Auch hier dürften es so zirka zehn Leute sein.“ Auch die Identitäre Bewegung  ist nach Informationen von David Janzen mit etwa zehn Leuten in der Region aktiv und verklebt Sticker. „Es gibt dann natürlich noch kleinere Grüppchen oder Cliquen, zum Beispiel fallen eine Handvoll Nachwuchs-Nazis rund um Lengede auf, die teilweise auch bei JN-Aktivitäten dabei sind, Leute bedrohen und dort auch Hakenkreuze schmieren.“

Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass Graffiti und Aufkleber mit Hakenkreuzen, Zahlenfolgen, Codes sowie kryptische oder eindeutig rechtsextreme Botschaften, die sich an vielen Orten finden lassen, nicht bloß dumme Jungenstreiche sind. Sie sind Teil einer öffentlichen Kommunikation von rechtsextremer Gesinnung, auch hier in der Region 38. Solche Aktionen erfordern keine große Anzahl von Personen, sodass auch die überschaubare Zahl der organisierten Rechtsextremen in der Region eine Vielzahl an Stickern und Graffiti in ihrer Umgebung verbreiten kann. Aufgrund der Ignoranz vieler Passanten bleiben solche Botschaften lange hängen.

Links gegen Rechts als Straßenkampf

Aber nicht alle Menschen sind mit diesen Botschaften einverstanden und sorgen selbstständig dafür, dass rechtsextreme Botschaften nicht lange sichtbar bleiben. Rafael* wohnt in Salzgitter und ist immer wieder mit seinen Freunden abends unterwegs, um rechte Graffiti zu übersprayen und rechte Sticker zu entfernen oder zu überkleben. „Für mich spielt Toleranz und Akzeptanz eine große Rolle. Ich finde jeder Mensch hat – egal in welchem Staat – eine Existenzberechtigung. Rechte Propaganda und Weltanschauungen sehen das anders, wollen Menschen unterdrücken und stellen damit die Gleichheit der Menschen in Frage. Und das gilt es zu verhindern. Ich bin ganz klar für Toleranz, Akzeptanz und gegen Rassismus und Faschismus.“ Aus diesem Grund will er rechtsextremer Ideologie keinen Raum geben, weder in Form von Demonstrationen noch als Graffiti oder Sticker auf der Straße. Doch ist auch die Zahl der Personen, die rechte Propaganda abreißt, überklebt und übersprayt nach seinen Aussagen relativ überschaubar – zumindest in Salzgitter.

Dennoch findet man auch viele linke Sticker und Graffiti in den Straßen der Region, die nichts überkleben, sondern eine eigene Botschaft präsentieren wollen. Auch hier werden Zahlencodes genutzt, wie zum Beispiel 161, das für AFA  also Antifaschistische Aktion  steht. Teilweise scheint es ein kleiner Straßenkampf zu sein, welche Sticker die Straßenzüge dominieren – rechts oder links. Je nachdem in welchem Ort man in der Region unterwegs ist, dominiert entweder die eine oder andere Seite das Straßenbild. Nur selten sieht man Botschaften beider Seiten, ohne dass Sticker überklebt wurden. Rafael* positioniert auch unabhängig von rechten Aktivitäten eigene Botschaften mit linken Stickern und Graffiti in der Öffentlichkeit. „Ich finde es wichtig, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass einiges falsch läuft und mit welchen Problemen wir es zu tun haben. Viele interessieren sich nicht wirklich für Politik und rutschen über die Politikverdrossenheit dann in rechte Kreise ab. Ich will Probleme ansprechen und Kritik üben. Und ich glaube, dass Graffiti und Sticker ein Teil davon sein können.“

 

* Name zum Schutz der Person geändert

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