Der Einzelhandel und sein digitaler Feind

Die Digitalisierung krempelt den Handel um: Der Online-Handel boomt und die stationären Einzelhändler kämpfen um ihre Existenz. Schon immer hat sich der Handel anpassen müssen.

Besonders in der Vorweihnachtszeit wird deutlich, wie sehr Online-Shopping als Selbstverständlichkeit angesehen wird. Plötzlich sind die sonst endlosen Warteschlangen in den Innenstädten doch gar nicht mehr so lang. Stattdessen werden an diesen Tagen neue Rekorde im Paketversand aufgestellt. Außer Acht gelassen wird beim fleißigen Einkaufen im Netz die Situation der stationären Einzelhändler. Für diese bedeutet es einen Kampf, dessen Sieger bereits feststeht: Die Zukunft ist digital.

Der Digitalisierungszug rast mit einem enormen Tempo durch die Welt. So auch durch die Welt des Handels. Dem ersten Anschein nach eine wirklich tolle Entwicklung, zumindest aus Kundensicht. Denn für die bedeutet es eine wachsende Angebotsvielfalt: Von Bekleidung über Lebensmittel bis zum nächsten Sommerurlaub – ein Ende des Booms ist nicht in Sicht. Nahezu jede Warengruppe eignet sich für den Online-Verkauf und viele Bereiche sind erst jetzt im Aufbau einer Online-Präsenz. Gesamte Branchen werden verändert und neue Standards gesetzt.

Zu diesen Standards zählen vor allem Transparenz und Flexibilität: Käufer möchten wissen, woher ein Produkt stammt und welche Inhaltsstoffe es hat. Die Lieferung am gleichen Tag der Bestellung und eine unkomplizierte Rücksendung sind bereits Normalität. Auch die flexible Wahl der Zahlungsmethode, eine entspannte Zahlungsfrist, die beschriebene Angebotsvielfalt sowie der Preis sind Gründe für den Kauf im Netz. Schließzeiten existieren im digitalen Kaufhaus durch die 24/7-Erreichbarkeit des Internets nicht.

Vermehrt beklagen Einzelhändler den Beratungsklau, bei dem die Beratung im Geschäft für den späteren Online-Kauf genutzt wird. Dieser Behauptung steht das Prinzip „ROPO“ – research online and purchase offline –entgegen, welches auch von Sonja Nickel von der Buchhandlung im Ärztehaus in Salzgitter-Lebenstedt unterstützt wird. „Natürlich bekommen wir den Wandel zum Online-Shopping zu spüren“, jedoch hätten sie häufig Kundschaft, die ein bestimmtes Buch im Internet gefunden hat, es aber in der ansässigen Buchhandlung kaufen möchte. Die tatsächliche „Rettung des Buchhandels“ sei aber die Buchpreisbindung, die deutschlandweit offline wie auch online gilt. „Ohne diese würde es uns wahrscheinlich nicht mehr geben“.

Begünstigt wird der Online-Handel zudem durch den Meilenstein Smartphone. Den Nutzern dient es als Schlüssel zu einem globalen Marktplatz, dem Verkäufer als Spion, der stets am Sammeln von Spuren ist. Kontinuierlich werden Daten erhoben und ausgewertet, um maßgeschneiderte Werbeanzeigen auf Websites zu platzieren. Der Kunde wird an die Hand genommen und immer mehr zum Selbstbediener emanzipiert. Bei der Produktauswahl wird sich auf den Rat von Freunden verlassen, der Preis auf verschiedenen Portalen verglichen oder der Kundenempfehlung eines Fremden auf Amazon vertraut.

Durch diese zahlreichen Informationsmöglichkeiten verändern sich die Erwartungshaltungen erheblich. „Die Kunden wollen handeln“, stellt Dominik Reinecke von Optik Mertz in Salzgitter-Lebenstedt zunehmend fest. Es sei häufig der Fall, dass Kunden Angebote der Online-Konkurrenz auf den Tisch legen und ein Entgegenkommen erwarten. Manchmal treffe man sich in der Mitte, manchmal sei die preisliche Differenz aber zu hoch. „Ich argumentiere dann mit der Serviceleistung und der Beratung, die das Internet so noch nicht bieten kann“. In puncto Handelswaren wie Kontaktlinsen und Sonnenbrillen sowie Auswahl der Gestelle müsse er sich dahingegen geschlagen geben.

Ein weiteres Problem stellt der Bevölkerungsrückgang in strukturschwachen Gebieten dar, der zu Versorgungslücken führt. Die Folge sind Ladenschließungen, die für eine unattraktivere Angebotsvielfalt und letztendlich weitere Schließungen sorgen. Diese Abwärtsspirale macht sich der Online-Handel zu Nutze und füllt jegliche Versorgungslücken.

Doch wo endet diese Spirale? „Man merkt ja, dass immer weniger Leute in die Stadt kommen“, murmelt eine Kundin bei ihrem ungewohnt entspannten Weihnachtseinkauf. Die Gesellschaft erfreut sich der Vielfalt im Netz und nutzt diese entsprechend. Zeitgleich wird eine belebte Innenstadt erwartet und sich über die ausgestorbenen Stadtzentren beschwert. Doch steht es einem als Käufer, als Mitverursacher dieser Situation, überhaupt zu, darüber zu klagen? Denn es ist das veränderte Kaufverhalten, dem der stationäre Einzelhändler mit seinen klassischen Mitteln nicht mehr gerecht werden kann.

Blick in die (digitale) Zukunft

Und somit ist es ein offenes Geheimnis: Der Einstieg in den digitalen Handel ist für Erfolg und Bestehen auf dem Markt unerlässlich. Ein Unternehmen, das für einen potentiellen Kunden nicht im Internet auffindbar ist, ist unsichtbar, praktisch nicht existent. Die Einzelhändler sollten den Wandel weniger als Kampf betrachten, sondern den Blick auf die Vorteile werfen und diese weitestgehend nutzen. Es bleibt nur eine Frage der Zeit, bis der Online-Handel den klassischen stationären Einzelhandel verdrängt hat. Und welches Bild die Innenstädte dann abgeben, ob sie vom Leerstand geprägt sind, aus zahlreichen Showrooms oder aus etlichen Büroräumen bestehen, bleibt abzuwarten. Es ist Aufgabe eines jeden, sein Kaufverhalten zu überdenken, und Aufgabe der Einzelhändler, rechtzeitig auf den Digitalisierungszug aufzuspringen, um die eigene Existenz zu sichern.

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