Der frühe Eintritt in die digitale Welt

Morgens zuerst ein Blick auf das Smartphone, mittags in der Grundschule programmieren und abends auf dem Tablet spielen. So sollte der Alltag unserer Kinder nicht aussehen, meint Mona Handke.

„Kinder, die heute nicht programmieren können, sind die Analphabeten der Zukunft“, sagt der Unternehmer Frank Thelen. Programmieren hält er inzwischen für die wichtigste Fremdsprache. Diese Aussage wirkt weit hergeholt. Eine technische Fähigkeit mit der elementaren Fähigkeit des Lesens und Schreibens gleichzusetzen, scheint weit übertrieben.

Doch viele Leute teilen diese Ansicht und wollen ihre Vision Realität werden lassen. Auch die Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär äußert sich in diesem Sinne. Programmieren sei „so wichtig wie Lesen und Schreiben“ und gehöre in die Lehrpläne der Grundschulen. In einigen wird dies bereits getestet. Doch wo sollte man Grenzen setzen? Wann ist es zu früh, um ein Kind in die digitalisierte Welt hineinzudrängen?

Die Digitalisierung macht nun auch vor der Grundschule keinen Halt mehr. Es sollen immer mehr digitale Medien in den Unterricht eingebunden und bereits erste Medienkompetenzen vermittelt werden. Doch bei höherer Beschäftigung damit in der Schule, liegt es nahe, dass auch der private Konsum zunimmt. Es ist keine Seltenheit mehr, dass Kinder bereits im frühen Alter ihr eigenes Smartphone besitzen. Dies stößt bei vielen auf Kritik. Der Ulmer Psychiater und Hirnforscher Manfred Spitzer sagt, es sei nachgewiesen, dass die Verwendung von Smartphones bei Kindern für Kurzsichtigkeit, Diabetes, Schlafstörungen und Depressionen verantwortlich wäre. „Wir ziehen uns eine Generation von Behinderten heran“, sagt er.

Wirtschaftlichkeit über dem Wohl der Kinder?

Warum sollte man also wollen, dass Schüler nun selbst im Unterricht mehr an digitale Medien gebunden werden? Es lässt sich nicht bestreiten, dass man in sehr vielen Jobs heute Medienkompetenz benötigt. Ohne das gewisse Know-how hat man verloren. Das ist bekannt und deshalb wird versucht, bereits die Kinder an die sich wandelnde Arbeitswelt anzupassen. Im wirtschaftlichen Sinne scheint dies gerechtfertigt zu sein. Doch an die miteinhergehenden Folgen für die Kindheit wird dabei nicht gedacht.

Schon von klein an ist ein Bildschirm oft der ständige Begleiter. Für die Kinder ist das mittlerweile normal, denn sie kennen es nicht anders. Doch die Kindheit hat sich dadurch stark verändert. Ein voller Akku und eine Internetverbindung gehören bei den meisten schon fast zu den Grundbedürfnissen. Anstatt bei gutem Wetter rauszugehen, verdunkelt man das Fenster, um den Bildschirm besser zu sehen. Anstatt die Eltern um Rat zu bitten, wird Google gefragt. Und anstatt sich mit Freunden zu treffen, wird gechattet. Vielleicht ein wenig überspitzt, doch durchaus realistisch.

Bisher fehlt es noch an Langzeitstudien, um wissenschaftliche Aussagen treffen zu können, welche Wirkung die verstärkte Nutzung digitaler Medien auf Kinder hat. Doch bis diese vorliegen, sollte man nicht blind mit Vollgas geradeaus fahren. Kinder sollten erst einmal das reale Leben erkunden, bevor sie in die digitale Unendlichkeit eintreten. Sie sollten persönlich soziale Kontakte pflegen, die Natur haptisch erfahren und Freude daran haben, sich auch ohne benötigten Strom zu beschäftigen.

Medienkompetenz ja, aber nicht zu früh

Zwar kann man in der Grundschule bereits im kritischen und aufklärerischen Sinne über Medien lehren, denn sie gehören bereits zum Alltag, doch Programmierunterricht sollte noch nicht im Tagesplan eines sechs- bis neunjährigen Kindes stehen. Andere Sachen wie zum Beispiel allgemeines Grundwissen, Lernfähigkeit und persönliche Entwicklung sollten eine größere Rolle spielen.

Natürlich müssen die Kinder später einmal in der Lage sein, die Wirtschaft aufrechtzuhalten und die Renten zu zahlen. Doch bei der Vorbereitung für die Arbeitswelt scheint die Devise nun „Je früher desto besser“ zu sein. Dieser Gedankengang ist nicht ganz durchdacht. Viele Erwachsene leiden bereits unter dem Leistungsdruck in der Gesellschaft. Soll dieser Druck nun auch auf Kindern lasten? Schon heute zeigen viele SchülerInnen Anzeichen von Stress-Symptomen. Bei diesen Entwicklungen ist ein Burnout quasi vorprogrammiert. Die psychische Gesundheit der Kinder bleibt auf der Strecke.

Bei den Politikern und Geschäftsleuten wirkt es oft so, als würden sie die Menschen als Maschinen der Gesellschaft ansehen. Und diese haben zu funktionieren, ihre Menschlichkeit wird dabei außer Acht gelassen. Und nun wird auch bei Kindern kein Unterschied mehr gemacht. Diese sollten jedoch in ihrer individuellen Entwicklung gefördert und nicht dem Versuch unterzogen werden, sie noch schneller arbeitsfähig zu machen. Sie sollten ihre Kindheit genießen können und nicht bereits den Interessen der Wirtschaft unterworfen werden.

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