Dichter als du denkst!

Seit rund 25 Jahren blüht die Poetry Slam-Szene in Deutschland auf und erhält immer mehr Zuwachs – auf und vor der Bühne. Doch warum begeistern sich so viele für das Bühnenformat der besonderen Art?

Nervöse Hände umfassen einen verblichenen Zettel. Textzeilen werden gemurmelt, die Hände bauen Luftschlösser. Die schwache Leuchtröhre taucht den Raum in ein dunkles, fast gemütliches Licht. Ein rauchiger Geruch von Scheinwerfern vermischt sich mit Schweiß. Neugierige Augen blicken auf die notierten Zeilen eines verwahrlosten Notizblockes:

 

So steh ich hier und heute, 

vor den Augen aller Leute.

Zittrige Hände halten das Papier,

auf dem meine Gedanken ich notier.

Drum slamme ich euch ein Gedicht,

in euer erwartungsvolles Angesicht.

Eine laute Mikrofonstimme ertönt: „…damit herzlichen Dank für ihr zahlreiches Erscheinen zu dem heutigen Poetry Slam.“ Ein hektischer Blick trifft den wild beschriebenen Zettel. Beruhigendes Durchatmen, straffende Schultern. Der Slammer springt auf die Bühne. In den Augen Vorfreude, Emotionen – Stolz. Ein einzelner Scheinwerfer erstrahlt die Bühne. Stille setzt ein: „Ich habe euch heute folgenden Text mitgebracht…“

Willkommen zum Dichterwettstreit

So stellt man sich ihn vor ­­– einen Poetry Slam. Jenes Bühnenformat, 1984 in Chicago gegründet, existiert auch bei uns in Deutschland bereits seit einem viertel Jahrhundert. Seit 2016 gehören deutschsprachige Poetry Slams laut UNSESCO zum immateriellen Weltkulturerbe. Kalle Burkel slammt seit 2013. Der Kieler erklärt kurz und knapp sein Verständnis eines Poetry Slams: „Poetry Slam ist ein Bühnenformat, was man als Dichterwettstreit bezeichnen kann, in dem eine gewisse Anzahl von Personen gegeneinander antreten und selbst geschriebene Texte vortragen.“ Meist sind dies acht Slammer. Im 8 ­– 3 Modell batteln sie sich dann nacheinander in der Vorrunde. Drei ziehen anschließend in das Finale ein. Trotz des freien, künstlerischen Formates gibt es drei Regeln zu beachten:

Regelwerk Poetry Slam

1. Die Texte müssen selbst verfasst sein.

2. Zeitlimit von circa fünf Minuten. 

3. Keine Verkleidung oder Requisiten.

Kalle beschreibt den Poetry Slam dabei als sehr individuell: „Selbst, wenn ich immer das Gleiche machen würde, würde der Abend immer anders ausgehen.“ Er schätzt dabei besonders die ausgefallene Szene und betitelt die Menschen als sehr offen, freundlich und dennoch recht verschieden. Der Kontakt zu unterschiedlichen Persönlichkeiten sei für Kalle mitunter ausschlaggebend gewesen, sich für die Poetry-Slam-Szene zu entscheiden.

Der Kieler betont dabei, er mache es nicht für sich, sondern primär aufgrund des Entertainment– Aspektes Jedoch gibt er auch zu: „Es gibt da Leute, die durchs Schreiben, alles aus der Seele einmal herausschreiben, was sie so auf dem Herzen haben.“ Auch die Herangehensweisen der Slammer sind sehr unterschiedlich. Einige tragen ihre Texte völlig frei vor, andere lesen beispielsweise aus ihrem Textbuch vor oder haben den Text einzeln dabei, so wie Kalle. Ihm sei es nie wichtig gewesen, auswendig vortragen zu können: „Mir ging es um die Inhalte und dass  ich das irgendwie witzig und sympathisch rüberbringe.“ 

Doch wie läuft denn jetzt eigentlich so ein Slam ab und was begeistert andere Slammer an ihrem Handwerk? Einen Einblick bot der Poetry Slam am 25. Oktober in Braunschweig, des „Pop(p)ing Poetry“ Clubs, welcher als einer der ältesten Poetry Slam Clubs in Deutschland gilt. Also Bühne frei und für die Poetry Slammer.

Im Vergleich zu dem Braunschweiger Slam geht es jedoch noch bedeutend größer. Dieses Jahr fanden bereits die 23. deutschsprachigen Meisterschaften statt. Jährlich nehmen hier die 150 besten Slammer teil, welche vorher von ausgewählten Clubs nominiert werden. Zu jenen gehört unter anderem der Poetry Slam Club „Pop(p)ing Poetry“, der den diesjährigen Deutschen Meister 2019 Friedrich Herrmann nominierte.

Gewinnen ist unwichtig – oder etwa doch nicht?

Klar, dass es bei Wettkämpfen solcher Wichtigkeit und Größe mittlerweile nicht mehr nur um das lyrische Ideenteilen geht. In der Slamszene halten sich Gerüchte hoch, dass lustige Slamtexte mittlerweile eher gewinnen, als lyrisch- oder moralisch-geprägte Werke. Aus diesem Konzept fällt allerdings der diesjährige Gewinner Friedrich. Er gewann das Finale mit einem anstoßenden Text gegen die rechte Szene. Woran ist dann also eine Gewinnerformel abzuleiten? 

Denn schließlich ist die Reihenfolge des Auftrittes Zufall. Sie wird kurz zuvor gelost. Alles fair, alles locker, alles Zufall. Oder eben kein Zufall, sondern eher Können, egal welcher Startplatz? Kalle Burkel sieht das ein wenig anders. Er beschreibt, dass Slammer natürlich keinen Einfluss auf den vorherigen Auftritt haben, worüber und wie die Konkurrenten slammen. Jener vorherige Slam würde den eigenen, darauffolgenden Slam allerdings maßgeblich beeinflussen. Auch der diesjährige Gewinner Friedrich sagte im SWR2 Interview zu seinem Sieg: „Das ist sehr oft auch eine Glückssache. Mit einer anderen Reihenfolge hätte es vielleicht auch nicht geklappt, das ist immer eine große Lotterie und unfassbar viel Glück im Spiel.“ 

Laut Kalle könne man sich lediglich vor einem Wettkampf an den anderen teilnehmenden Slammern themenmäßig orientieren. Wenn man gewinnen wolle. Aber welchen Stellenwert nimmt das Gewinnen beim Poetry Slam eigentlich ein? Der Kieler findet, so wie viele Slammer, dass der Gewinn sekundär sei. Doch er erzählt auch, dass das sicherlich von der Größe der Veranstaltung abhänge. Für ihn und die Slammerin Monika, welche am Braunschweiger Slam teilnahm, sei Poetry Slam kein Format, das  man vor mehreren tausend Leuten machen sollte. Bei kleinerem Publikum sei die Interaktionsrate einfach größer, was ja genau den Unterschied als Bühnenformat ausmachen würde. Ein Kritikpunkt, der im Kontrast zu vielen Slams steht, welche heute oft Ausmaße von Konzerten haben. Der ebenfalls teilgenommene Slammer Armin betont allerdings nochmals, dass beim Poetry Slam im Vergleich zu klassischen Lesungen die Halle oft voll sei. Dies sehe er gerade als Möglichkeit, möglichst viele Menschen zu erreichen und zu bewegen.

Veni vedi ridere – Ich kam, sah und lachte

Gerade das Publikum wird ja groß geschrieben beim Poetry Slam und auch für Kalle ist dies eines der Hauptgründe des Slammens:„Das ist das Schöne mit dem Publikum, dass manchmal dann die Leute auch zu einem kommen und sagen, hey, fand ich geil, was du gemacht hast, war witzig. Dann bin ich happy.“  Dann sei es für ihn schon ein richtig guter Abend gewesen. Er lässt durchblicken, dass es im Poetry Slam hauptsächlich immer um genau eins gehe: Diversität. Poetry Slam hat so unglaublich viele verschiedene Facetten, Themen, und Slammer. Jene könnten zum Teil unterschiedlicher nicht sein. Und genau dies könnte laut Kalle auch die Möglichkeit sein, einen Zugang zu der jüngeren Generation zu finden. Er sei sich sicher: Poetry Slam könne die Brücke zwischen altbackener Lyrik und moderneren Geschichten wie Rapmusik sein, mit der Poetry Slam seiner Meinung nach immer viele Parallelen hätte. Das Schreiben könne jungen Leuten so wieder schmackhafter gemacht werden.

An die Stifte, fertig, los!

 „Im Prinzip kann das jeder machen, der gerne Zeit damit verbringt Sachen zu schreiben.“ Man müsse es einfach nur ausprobieren, sich einfach trauen“, so Kalle. Auch die Slammer des Braunschweiger Poetry Slams hatten auf die Frage, was sie jungen Poetry Slammern raten würden, kreative Antworten parat. Alle sind sich einig, dass man das machen solle, wo man „Bock darauf hätte.“  Seinen eigenen Stil zu finden und sich nicht an anderen zu orientieren, empfiehlt Armin. Auch Monika rät davon ab, zu viele YouTube Videos zu Poetry Slam zu gucken und sich zu viel umzuhören. Man bräuchte nicht immer denselben „Salat“. Anouk Lou empfiehlt zudem, sich nicht von schlechten Wertungen runterziehen zu lassen. Wenn man es länger mache, würde man merken, wie egal und subjektiv dies sei. Für Christopher sei es am authentischsten, wenn die Slammer ein Stück von sich selbst mit in ihren Text einbringen und eben nicht versuchen, anderen nachzuahmen. Dies sei der beste Weg, um Menschen zu erreichen. So unterschiedlich die Texte der Slammer auch sein mögen, in einem Punkt sind sich alle einig: für sie ist Poetry Slam ein Format, mit dem sie die Menschen emotional erreichen möchten.

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