Die menschliche Stimme – Hör mal genauer hin

Die Stimme ist das lauteste Netzwerk unseres Körpers und sagt viel über unsere Persönlichkeit, unser Denken und Handeln aus. Trotzdem ist die individuelle Wahrnehmung sehr unterschiedlich. Woran das liegt und wie wir unserer Stimme trainieren können, erklärt Karla Kroker.

Wir nutzen sie täglich und ohne darüber nachzudenken. Sie beeinflusst, wie wir uns verhalten und wie uns andere Menschen wahrnehmen. Die Stimme macht einen großen Teil unserer Persönlichkeit aus und ist unser akustischer Fingerabdruck. Sie ist genauso unverwechselbar und einzigartig. Unsere Stimmen geben nicht nur Auskunft über Alter, Geschlecht und Herkunft, sondern bringen auch Empfindungen zum Ausdruck, erklärt HNO-Arzt Wolfgang Bigenzahn. Sowohl psychologisch-, sozialkulturelle, als auch Emotionen und Gefühle schlagen sich in dem Stimmklang nieder, somit werden mit jedem Wort nonverbale Informationen an den Hörer übermittelt.

Ein Querschnitt der Luftröhre, des Kehlkopf und der Stimmlippen. (Quelle: iStock)

Der Prozess der Stimmbildung

Die meisten Menschen sind der Auffassung, die Stimme sei ein Organ. Tatsächlich ist sie aber ein Zusammenwirken vieler verschiedener Organe. Der Kehlkopf ist der Ausgangspunkt für die Klangerzeugung. In ihm befinden sich die Stimmlippen, welche aus den Bindegeweben der beiden Stimmbänder und dem Vokalismuskel bestehen. Dieser ist wiederum mit einer Schleimhaut überzogen. Beim Atmen dringt Luft durch den geöffneten Zwischenraum der Stimmlippen, die sogenannte Stimmritze. Durch die Erhöhung und Senkung des Druckes, der beim Ausatmen entsteht, geraten die Stimmlippen in Schwingungen, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Bei Männern liegt diese Frequenz bei 100 Schwingungen pro Sekunde, bei Frauen ist sie doppelt so hoch. Die so erzeugten Schallwellen werden durch den Vokaltrakt abgeleitet. Der Vokaltrakt besteht aus allen Hohlräumen oberhalb des Kehlkopfes, sprich aus Rachen, Nasenhöhle und Mundraum. Diesen gesamten Prozess der Lautbildung nennt man Phonation.

Videoaufnahme der Stimmbänder (Quelle: Medienwerkstatt-Online)

Unsere Stimmen klingen für Andere anders als wir sie selbst hören. Denn die „innere“ Stimme leitet den Schall unserer Stimmbänder durch den Körper bis zum Innenohr weiter. Da Muskeln, Gewebe und Knochen Schwingungen unterdrücken, wird der Ton gedämpft und wir selbst hören uns etwas tiefer. Unsere „äußere“ Stimme ist der Schall, der aus unserem Mund auf direktem Weg bei dem Hörer ankommt. Deshalb klingt unsere Stimme auf Tonaufnahmen für uns fremd. Oft entwickeln wir dann auch eine Abneigung gegen die eigene Stimme. Wir sind überrascht, einen ungewohnten Klang zu hören und stufen dies als negativ ein. In der Psychologie wird dieses Phänomen als „Mere-Exposure-Effekt” oder „Effekt des bloßen Kontakts“ bezeichnet. Doch nur, weil wir unsere eigene Stimme als unangenehm empfinden, bedeutet das nicht, dass andere sie genauso wahrnehmen.

Unsere Stimme ist unser Charakter

Was sagt die Stimme über unsere Persönlichkeit aus? Wie beeinflusst sie unseren Alltag und was verrät sie über unser Wohlbefinden? Walter Sendlmeier ist Sprechwirkungsforscher und beschäftigt sich unter anderem mit genau solchen Fragen. Die Sprechwirkungsforschung ist Teil der mündlichen Kommunikation. Sie befasst sich nicht mit den linguistischen Informationen eines Gesprächs, sondern mit Stimmklang, Sprechweise, Aussprache und Satzmelodie. All diese Faktoren beeinflussen den Hörer. Laut Sendlmeier ist es aber fast unmöglich zu bestimmen, wie jemand auf uns wirkt. Die Einschätzung erfolgt intuitiv und ist für die meisten Menschen auf der Metaebene nicht zu erklären. Oft werden Stimmen auch mit anderen Stimmen und Geräuschen aus der Vergangenheit verknüpft, ergänzt Nike Geck.

Schrille Stimmen werden eher mit (Baby-)Schreien, Schmerzen und Traurigkeit assoziiert, tiefe Stimmen mit Zuversicht, Kraft und Autorität. Bei der Partnerwahl spielen diese Kriterien eine große Rolle. Sie sind mitverantwortlich dafür, in wen wir uns verlieben. Zu manchen Stimmen fühlen wir uns hingezogen und wiederum andere empfinden wir als störend. Manche gehen uns nicht aus dem Kopf, andere dringen erst gar nicht zu uns durch. „Frauen, die behaucht und nasal sprechen, wirken auf Männer besonders erotisch“, erläutert Sendelmeier.  „Hohe Kleinmädchenstimmen wiederum suggerieren Unterwerfung, auch das ist für manche Herren attraktiv.“ Dennoch ist gerade bei den Frauenstimmen in den letzten Jahren eine Veränderung zu erkennen. Michael Fuchs, Leiter der Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie an der Universitätsklinik Leipzig, hat eine Stimmfeldmessung bei 5.000 Teilnehmerinnen durchgeführt. Das Ergebnis zeigt, dass Frauen heutzutage nur eine Quinte (fünf Töne) höher Sprecher als Männer. Noch vor 20 Jahren war es eine ganze Octave (acht Töne). „Frauen scheinen sich im Rollenbild so verändert zu haben, dass sie die Stimmen tiefer einsetzen, um damit beispielsweise Kompetenz zu demonstrieren“, begründet Fuchs die Entwicklung. Die Emanzipation spiegelt sich also in der Stimme wider. Aber auch Männerstimmen haben besondere Merkmale. Die Dominanz einer tiefen Stimme strahlt auf Frauen Vertrauen und Stabilität aus., „Wenn die Stimme zusätzlich etwas rau ist oder einen leicht knarrenden Unterton hat, wirkt das bei Männern oft besonders attraktiv. Sie kann dann sogar zu einer Art Marke werden“, erklärt Sendlmeier

Bei all den Faktoren, die uns unbewusst beeinflussen, ist es uns dennoch möglich, eine genaue Trennung zwischen dem Inhalt eines Gespräches und dem wirklichen Befinden des Sprechers zu erkennen. An der Emotion Wut ist dies deutlich zu erkennen. Ist jemand aufgebracht, ist das schwer für den Hörer zu verbergen, da die Stimme höher wird, die Aussprache deutlicher und die Anzahl der Betonungen im Satz zunimmt. Unsere Stimme offenbart also unsere Gefühle offenbart und macht es und so schwer diese vor anderen zu verheimlichen. Darüber hinaus lassen sich Charaktereigenschaften einer Person anhand der Stimme und Sprechweise erkennen. Sendlmeier zufolge kann herausgehört werden, ob jemand eher extrovertiert oder introvertiert ist. Die Lautstärke, Geschwindigkeit und Variation der Satzmelodien können darauf Hinweise geben. Dieser Art von Zeichen werde aber kaum noch Beachtung geschenkt, da sich Menschen zu sehr auf das Erscheinungsbild verlassen. Die vermehrte Nutzung visueller Medien verstärke die Oberflächlichkeit zusätzlich. 

Wut in der Stimme (Quelle: iStock)

Was unserer Stimme Macht verleiht

Die freie Theatergruppe heißes medium:polylux hat in ihrem Stück „I hear you talking“ eine Brücke von der visuellen zur akustischen Wahrnehmung geschlagen. Felix Worpenberg, Michael Kranixfeld und Mara May, gehen der Frage nach, was einer Stimme Macht verleiht. Auf der Bühne setzten sie mit Klischees, Rollenbildern und Mythen, auseinander. Vor allem die Unterschiede und die damit verbundenen Vorurteile zwischen Frauen- und Männerstimmen werden thematisiert. Gymnastikbänder sollen Stimmbänder darstellen, Wattebällchen werden genutzt, um eine Stimme „zum Reinlegen“ zu veranschaulichen. Ein Vocoder verzehrt und verknüpft aufgezeichnete Interviews. Die sparsamen Requisiten und das einfach gehaltene Bühnenbild sollen das Publikum dazu bringen, sich ganz auf die Stimmen zu konzentrieren und über ihre eigene nachzudenken. Für heißes medium:polylux ist es wichtig ein großes Stimmenrepertoire darbieten zu können. Sie trainieren ihre Stimmen mit Atem-, Sprech- und Stimmlehrer und zeigen Teile dieser Übungen auf der Bühne.

Stimmübungen

Lippenstrudel: Lippen zusammenpressen und „Brrrrr…“ Geräusche erzeugen, das aktiviert das Zwerchfell.
Summen: In einem ruhigen Tempo eine Melodie summen, damit sich die Stimmlippen mit gleichmäßigen Schwingungen bewegen.
Kauen: Langsame, kreisende Bewegungen mit dem Kiefer lockern die Gesichtsmuskeln.

Stimmhygienemaßnahmen

Nicht räuspern, weil das einen unregulierten Luftstrom erzeugt. Besser ist richtig zu husten.
Viel Lachen, das entlastet die Stimmbänder.
Die Stimme nicht künstlich verstellen. Zum Beispiel mit einer rauchigen Stimme reden.

Damit unsere Stimmbänder kräftig bleiben und wir das Bestmögliche aus unserer Stimme herausholen können, empfiehlt Logopädin Nike Geck sogenannte Stimmhygienemaßnahmen. Darunter zählen zum Beispiel nicht rauchen, nicht schreien und viel trinken. Sprecharbeiter, das sind Menschen, die in ihrem Beruf auf ihre Stimme angewiesen sind, neigen oft dazu nicht in einer Stimmlage zu sprechen, sondern lauter zu werden oder zu flüstern. Beides sollte vermieden werden, da das viel mehr an Luft benötigt und die dadurch entstehende Spannung auf die Stimmbänder schlägt, so Geck. Im Alltag kann man viele kleine Übungen anwenden oder Situationen vermeiden, um die Stimme zu verbessern oder zu schonen. Unsere Stimmen haben großen Einfluss darauf, was andere von uns denken und wie sie sich uns gegenüber verhalten. Wir selbst können anhand der Stimme erkennen, woher Menschen kommen oder wie sie sich fühlen. Es lohnt sich also mal genauer hinzuhören.

Ein Querschnitt der Luftröhre, des Kehlkopf und der Stimmlippen. (Quelle: iStock)

Unsere Stimme verändert sich im Laufe unseres Lebens stetig. Bei Kindern dagegen verändert sich der Klang der Stimme kaum. Erst mit der Pubertät beginnen sich der Kehlkopf und die Stimmbänder zu verändern. Insbesondere bei Jungen wachsen diese sehr schnell, was zum Stimmbruch führt. Aber auch bei den Mädchenstimmen ist eine Veränderung zu hören, nur wird die Stimme eine Terz und nicht wie bei den Jungen eine Oktave tiefer. Im erwachsenen Alter sind die Stimmbänder vollständig ausgebildet. Bei Männern sind sie allerdings länger und dicker als bei Frauen, was für die Tiefe beziehungsweise Höhe der Stimme mitverantwortlich ist. Laut Logopädin Nike Geck wird die Stimme im Alter brüchig und rau. Das hängt zum einen mit der kleiner werdenden Lungenkapazität zusammen. Zum anderen verlieren Stimmlippen und Kehlkopf an Elastizität.

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