23 Prozent der Deutschen zwischen 18 und 25 Jahren weisen eine „problematische Internetnutzung“ auf. Das ist das Ergebnis der neuen BZgA-Studie (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) aus dem Jahr 2019. Bei Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren sind es 30 Prozent. Vor vier Jahren waren beide Altersgruppen jeweils zehn Prozent geringer. Jedoch ist das problematische Nutzungsverhalten von einer krankhaften Störung zu trennen. Denn diese trete lediglich bei 4,5 Prozent der Jugendlichen und bei 7,6 Prozent der jungen Erwachsenen auf. Somit gibt es in Deutschland mittlerweile mehr Menschen, die unter Mediensucht als unter bekannteren Abhängigkeiten leiden.
Doch was macht Mediensucht aus und ab wann ist man süchtig? Dabei gibt es die Krankheit Mediensucht offiziell gar nicht. Für die Forschung und Medizin ist diese Bezeichnung zu ungenau. Vielmehr verstehen ExpertenInnen unter dem Begriff eine Sammlung von Verhaltensstörungen, bei denen Medien eine unabdingbare Rolle spielen.
Die Mediensucht ist also die allgemeine Bezeichnung für ein Internetverhalten, das problematisch ist. Medien selbst spielen dabei die Rolle eines Vermittlers. Dieser Vermittler gibt wiederum seinem Nutzer die Möglichkeit, sich mit bestimmten Inhalten in die Gefühlslage zu bringen, nach welcher er sich in diesem Moment sehnt. Die Vielfalt an Medienangeboten und der erleichterte Zugang stellen eine höhere Gefahr für einen potenziellen Süchtigen dar und sorgen für eine maßgeschneiderte Bedürfnisbefriedigung. Dabei spricht die konsumierte Menge an Medieninhalten nicht direkt für die Ausprägung einer Sucht. Nicht jeder, der eine Bildschirmzeit von vier oder mehr Stunden am Tag hat, ist zwingend mediensüchtig. Die Art und Weise, wie mediale Inhalte konsumiert werden sowie die Inhalte selbst, sind darüber entscheidend. So kann beispielsweise ein Vollzeit-Mediendesigner den Großteil seines Tages im digitalen Raum verbringen und weniger süchtig nach Medien sein als sein Nachbar, der sich 30 Minuten am Tag mit pornografischen Inhalten vergnügt. Der Unterschied zwischen den beiden liegt in der Intention der Nutzung. Während der erste auf einem digitalen Weg versucht, seinen Alltag zu bestreiten und Aufgaben und Probleme zu lösen, reguliert der zweite womöglich mit dem Medienkonsum seine Emotionen.
Eine solche Gefühlsregulierung ist zwar temporär legitim, jedoch nicht, wenn sie zu einer Dauerlösung wird. Aus dieser Gewohnheit, eigenes Gefühlsmanagement in die Hände von Medien zu übergeben, entstehen negative Konsequenzen, die eine Mediensucht ausmachen. Die Pathologie (ein krankhaftes Verhalten) fängt also dann an, wenn der Konsum von Medien mehr Schaden als Nutzen verursacht. Oder wie Lucas Döbel, Suchttherapeut von return, einer Fachstelle für Mediensucht, das Phänomen Sucht definiert: „Sucht. Das Wort beschreibt eine Dynamik innerhalb des Menschen und seiner Umwelt, die pathologisch ist – die ihm also nicht guttut“. Die Alarmglocken sollten dann läuten, wenn sich die Mediennutzung auf das restliche Leben negativ auswirkt. Die Vernachlässigung von Arbeit oder Schule, verpasste Termine oder der Verlust alter Interessen können Symptome einer möglichen internetbezogenen Störung sein.
Die Symptome eines pathologischen Medienverhaltens lassen sich ebenso gut auf andere Süchte übertragen. So gehen Alkoholkranke sowie Rauschmittelabhängige weniger ihren Verpflichtungen nach, handeln impulsiver oder tauschen ihre alten Interessen gegen Suchtbefriedigung aus. Bei der letzteren ist es in der Tat unwichtig, ob eine Sucht durch übermäßigen Alkoholkonsum oder eine exzessive Mediennutzung gestillt wird. In beiden Fällen geht es um den persönlichen Leidensdruck, der mit externen Stoffen oder der inneren Gefühlsregulierung versucht wird zu übertönen. Der Stoff an sich verfügt lediglich über eine stärkere Auswirkung auf den Körper und macht sich bei Abstinenz bemerkbar. Es ist das etablierte süchtige Verhalten, die Bewältigungsstrategien gegen Stress und Gewohnheiten, die das Ausmaß einer Sucht ausmachen. Auch aus seiner Praxis beschreibt Florian Kregel, Sozialpädagoge, Fälle, die zeigen, dass das Thema Sucht stoffübergreifend und auf das Verhalten einer Person zurückzuführen ist: „Ich hatte viele Kiffer, die in die Medienrichtung abdriften, weil sie sich vom Freundeskreis distanzieren, aufhören zu kiffen, sich zurückziehen und lieber zocken.“ Um eine Sucht besiegen zu können, müssen sich Betroffene demnach die süchtigen Verhaltensweisen abtrainieren.
Im Fall einer Abhängigkeit von Medieninhalten stehen die Chancen tendenziell besser als bei stoffgebundenen Süchten, da keine „Entgiftung“ notwendig ist. Stoffe greifen viel direkter und dramatischer auf unsere neurologischen Prozesse und den biologischen Rhythmus ein, so Kregel. Er fügt ebenfalls hinzu, dass bei den Medien oder dem Glücksspiel der Mensch mehr mit körpereigenen Glückshormonen arbeite, die für den Körper bekannter und natürlicher seien. Dennoch ist die Mediensucht nicht zu verharmlosen, da der persönliche Leidensdruck nicht von der Härte eines bestimmten Stoffes abhängt. Viel maßgeblicher sind dabei die individuelle Empfindung von Einschränkungen und des seelischen sowie körperlichen Schmerzes.
Döbel arbeitet mit Mediensucht auf zwei Ebenen. Die erste sei die (äußere) Ebene der Entwöhnung. Dabei soll vergegenwärtigt werden, wann und was genau eine Person davon abhält, ein „gesundes“ Leben führen zu können. Bei diesem Schritt werden die Konsumzeiten beschränkt und eine Abstinenz auf bestimmte Inhalte aufgesetzt. Diese Inhalte können sehr individuell sein. Zum Beispiel kann gezielt auf eine bestimmte App, ein Spiel-Genre oder auch auf eine Mediengattung, wie Pornografie, verzichtet werden. Auf der zweiten (inneren) Ebene werde geschaut, wie die Problematik entstanden sei und welche Gefühle oder innerliche Dynamiken zu regulieren versucht werden. Auf dieser Basis werden weniger schädlichere Strategien entwickelt, mit denen eine Person ihre Nöte lösen kann. Je nachdem wie stark ein störendes Medienverhalten etabliert ist, erwarten den Betroffenen auf dem Weg der Entwöhnung diverse Veränderungen.
Bei der Behandlung einer Abhängigkeit von medialen Inhalten ist man jedoch nicht auf sich allein gestellt. Ambulant kann bei einer Suchtberatung oder einem Zentrum für Mediensucht nach Rat gefragt und bei Bedarf mit einem Experten an dem eigenen Medienkonsum im Rahmen einer Therapie gearbeitet werden. Auch stationär besteht die Möglichkeit seinem exzessiven Medienkonsum intensiver entgegenzuwirken. Dafür sind diverse Rehakliniken in Deutschland zu finden, die sich auf die Problematik der Mediensucht spezialisiert haben. Über die Angebote kann man sich vor allem im Internet informieren. In den meisten Fällen wird die Leistung sogar von den Krankenkassen unterstützt. Das Wort Sucht darf dabei niemanden Abschrecken. Oft trauen sich Betroffene nicht, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen oder tun es erst spät. Das, womit im Rahmen einer Therapie – ob privat, ambulant oder stationär – gearbeitet wird, ist das menscheneigene Belohnungssystem.