Ein Jugendzentrum für Nerds

Das Comiculture in Braunschweig bietet vor allem Nerds einen Rückzugsort, an dem sie ihre Interessen ausleben können. So taucht man in dem Comicbuchladen in eine Welt ein, die unter anderem durch Mangas, Fantasy-Spielen oder Action-Figuren geprägt ist.

In zwei Reihen stehen die bunten Comics aneinander gedrängt. Bis zur Decke gestapelt füllen Fantasy-Brettspiele die übrigen Lücken aus. Hefte, die keinen Platz mehr in den Regalen oder auf den Tischen gefunden haben, lagern in Bananenkisten. In Vitrinen liegen die neusten Magic: The Gathering -Spielkartendecks aus. Einzelne Sammelkarten sind nach Fantasie-Welten wie Tarkir oder Theros geordnet.

In der hinteren Ecke des Raumes bricht eine Diskussion unter den Spielern aus, ob man seine Spielzüge erklären müsse. Stefan, der Besitzer des Comicbuchgeschäfts Comiculture, hat den Laden vor mehr als 20 Jahren eröffnet und sich damit einen Traum erfüllt. Wie ein „Teddybär nicht nur in der Gestalt, sondern auch in seinem Gemüt“ beschreibt ein Kunde den 52-jährigen Familienvater. Ein großer, kräftiger Mann mit freundlichem Gesicht und Ziegenbärtchen, der einen sofort herzlich mit Handschlag begrüßt. Ein Wissen über Popkultur und eine Menschenkenntnis, die einen erstaunen lassen. „Das ist ‘ne Leidenschaft, es gibt kein anderes Wort, was das beschreibt“, erzählt Stefan und verabschiedet sich schnell von einem jungen Schüler und seinen Freunden. Eigentlich müsste Stefan mehr verdienen, damit sich das Comicgeschäft für ihn rentiert. „Aber man macht ja etwas aus dem Herzen und was man aus dem Herzen tut, das hat nichts mit Geld zu tun“, erklärt er.

„Was vom Herzen kommt, hat nichts mit Geld zu tun“

In einem Bereich des dunklen Raumes stehen zusammengewürfelt Tische und Stühle, an denen Magic-Spieler ihre Spielmatten ausbreiten und sich gegenseitig in wöchentlich stattfindenden Turnieren als Weltenwanderer duellieren. Das Anbieten der Spieltische ist dabei ein Teil des Ladenkonzepts, da es zuvor in Braunschweig nicht angeboten wurde. „Der Comicladen bedeutet mir sehr viel, weil ich hier halt Magic spielen kann“, erzählt Norbert, der oft in den Laden kommt, umsich mit anderen Spielern zu duellieren und auszutauschen. Mittlerweile hat sich eine feste Community an Spielern entwickelt. Als der Judge eintrifft, strömen die Spieler zum Tresen, um sich für den Draft einzutragen. Zwischendurch kommen Kunden vorbei und melden sich für den Prerelease des neuen Decks an. Die Anmeldeliste für den Samstag mit 48 Plätzen ist voll. „Es gibt da so ein Meme, das sagt: ‚Bringen Sie Ihrem Kind Magic bei, dann hat es kein Geld für Drogen‘“, erzählt Stefan lachend.

Zu vielen seiner Kunden pflegt Stefan einen persönlichen Stil. „Ich kenne alle meine Kunden persönlich“, erzählt er. „Du brauchst keine Angst vor Menschen haben!“, möchte der Verkäufer dabei den Jugendlichen vermitteln.

Falk kam in seiner Jugend täglich nach der Schule in den Laden und leitet mittlerweile als Lehrer eine Magic-AG, für die er Karten bei Stefan kauft. Er beschreibt Comiculture als „einen Ort, wo du hingehen und du selbst sein kannst“. Eine Art Jugendzentrum mit familienähnlichen Strukturen für „Personen, die außergewöhnlich sind und ein bisschen anders als der Rest“, sagt er. Vor allem Stefans Unterhaltungswert trägt laut Falk dazu bei, dass viele Jugendliche in das Geschäft kommen. „Du kannst all diese Sachen in einen Raum stellen, aber es wird dann schon irgendwie von seiner Persönlichkeit getragen“, betont der Lehrer. „Du findest hier immer einen, mit dem du dich auch gesellschaftlich und politisch unterhalten kannst“, erzählt Falk, während Stefan sich mit einem Kunden über die Entwicklung des Brettspiels „Die Siedler von Catan“ unterhält. Zuvor diskutierte Stefan mit Kunden darüber, welche Strategiespiele sich mit Magic ähneln und warf eine Story über das „Nerdparadise“ in die Runde. Laut Falk vertritt Stefan auch mal kontroverse Meinungen oder gibt den Jugendlichen Denkanstöße mit auf den Weg. Der Lehrer sieht dies vor allem als besonders an für Jugendliche, die diesen Diskussionsbedarf in der Schule oder zuhause nicht ausleben können und dadurch „eine Facette von sich entwickeln können, die sonst nicht gefragt ist, abgesehen vom Spielen“. So muss sich Norbert auch mal gefallen lassen, scherzhaft als Dekoration im Laden bezeichnet zu werden.

Eine Gruppe von Jungs wird beim Bezahlen von Stefan gefragt, welchen Menschen sie für den Klügsten der Welt halten. Einer der Schüler meinte vielleicht da Vinci, doch Stefans Meinung nach sei dies Archimedes.

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