Social Freezing – ein Begriff, den man immer häufiger hört. Es bezeichnet das Einfrieren unbefruchteter Eizellen ohne medizinischen Grund und könnte die Lösung sein, für alle Frauen, die in Torschlusspanik in Sachen Familienplanung geraten.
Das Durchschnittsalter von Studienanfängerinnen liegt in Deutschland bei 22 Jahren. Die meisten denken in diesem Alter noch nicht an ihre Familienplanung. Man absolviert einen Bachelorstudiengang, macht vielleicht noch einen Master und Berufserfahrung will auch erst einmal gesammelt werden. Plötzlich ist man Anfang 30 und merkt, dass die biologische Uhr anfängt zu ticken. Der passende Partner ist auch noch nicht in Sichtweite. Also was nun? Allzu lang sollte die Familienplanung nicht nach hinten geschoben werden, denn mit zunehmendem Alter sinkt die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden immer mehr. Das Lösungswort? Social Freezing.
Was ist Social Freezing?
„Social Freezing ermöglicht es gewissermaßen, die Familienplanung für ein paar Jahre auf Eis zu legen, und bietet Frauen die Chance, sich mit der Familiengründung mehr Zeit zu lassen“, sagt Jörg Puchta, Reproduktionsmediziner am Kinderwunschzentrum an der Oper in München.
Mit Hilfe des medizinischen Verfahrens der Kryokonservierung ist es technisch möglich, unbefruchtete Eizellen einzufrieren und so über lange Zeiträume zu konservieren. Früher wurde dies von Reproduktionsmedizinern nur bei Frauen eingesetzt, die sich einer fruchtbarkeitsschädigenden Chemo- oder Strahlentherapie unterziehen mussten. Ihnen wird damit die Chance gegeben, sich nach der Behandlung noch ihren Kinderwunsch erfüllen zu können. Seit einigen Jahren steigt jedoch auch die Anzahl gesunder Frauen, die diese Methode für sich nutzen wollen. Laut einer Studie des deutschen Markt- und Meinungsforschungsinstitutes Forsa aus dem Jahr 2015, können sich 31 Prozent der befragten 18- 30-Jährigen vorstellen, Social Freezing selbst in Anspruch zu nehmen. So auch Karina. Sie hat sich 2015 dafür entschieden ihre Eizellen einzufrieren. Für sie gehören Kinder zu einer Familie dazu, jedoch fühlte sie sich mit Mitte zwanzig noch nicht bereit dafür. Aber da müsste man sich doch eigentlich noch gar keine Sorgen um die Familienplanung machen, oder?
Mädchen werden mit etwa 1 bis 2 Millionen Eizellen geboren. Im Laufe ihres Lebens werden aber keine neuen Eizellen mehr gebildet, was bedeutet, dass die Zahl der Eizellen mit zunehmendem Alter immer weiter abnimmt. Zu Beginn der Pubertät sind noch etwa 400.000 bis 700.000 Keimzellen vorhanden. Dann setzt der Zyklus ein, wodurch Monat für Monat eine Eizelle verloren geht. Das macht jedoch nur einen sehr geringen Anteil des Verlustes aus. Viele Eizellen gehen auch einfach von selbst zu Grunde. Mit 20 Jahren bleiben Frauen noch rund 100.000 Eizellen, mit 30 Jahren nur noch etwa 35.000. Ab einem Alter von 41 Jahren sind circa 50 Prozent der Frauen unfruchtbar. Abgesehen von der Anzahl, nimmt auch die Qualität der Eizellen immer weiter ab, da sie mit der Frau mitaltern. Je älter die Frau, desto höher die Risiken und die Möglichkeit von Fehlbildungen. Die Chance auf natürlichem Wege schwanger zu werden sinkt bereits ab dem 30. Lebensjahr. Deshalb läge aus medizinischer Sicht die beste Zeit, um schwanger zu werden, zwischen 20 und 25 Jahren, so Jörg Puchta. Da wird man als Frau schon leicht nachdenklich, wenn es in den Mittzwanzigern gerade aus verschiedenen Gründen nach alles anderem als Kinderkriegen aussieht. Da wäre doch das Social Freezing eigentlich der ideale Ausweg.
Was steht der Familienplanung eigentlich im Weg?
Akademikerinnen verbringen viel Zeit mit ihrer Ausbildung. Nach einem absolvierten Studium oder einer erfolgreichen Ausbildung, winkt erst einmal das Berufsleben. Außerdem möchte man nicht schon nach kurzer Zeit wieder aussteigen, da Chancen und Beförderungen auf einen warten. Ist die Karriere aber der ausschlaggebende Punkt? Nein. Ein viel wichtigerer Grund ist, nach einer belgischen Studie, das Fehlen des passenden Partners. Rund 80 Prozent der befragten Frauen geben dies als Grund an. Der Richtige war einfach noch nicht dabei, man wurde erst kürzlich verlassen oder man will sich noch nicht an einen festen Partner binden. Trotzdem sieht der Plan für die Zukunft Kinder auf jeden Fall vor. Ein weiteres wichtiges Motiv stellt für 65 Prozent der Frauen die Angst vor einer eventuellen künftigen Infertilität dar.
Auch auf Karina treffen einige der Gründe zu. „Der passende Partner fehlt, mein Job ist die größere Priorität, ich liebe die Freiheit und ich möchte mich noch nicht der Verantwortung unterziehen“, sagt sie. „Eines ist für mich jedoch klar: Es wäre mir wichtig, irgendwann Mutter zu werden. Die Betonung liegt auf “irgendwann”.“
Erst die Karriere, dann das Kind?
Unternehmen wie Apple oder Facebook bieten ihren Mitarbeiterinnen an, die Kosten für Social Freezing zu übernehmen. Die Entscheidung für Karriere oder Kind kann so ein paar Jahre buchstäblich auf Eis gelegt werden. Eine frauenfreundliche Lösung oder zusätzlicher Karrieredruck? Campus38 hat Studentinnen der Ostfalia Hochschule nach ihrer Meinung gefragt.
Wie funktioniert das Verfahren?
Ist die Entscheidung gefallen, die Eizellen auf Eis zu legen, folgt ein Beratungsgespräch mit einem Reproduktionsmediziner. Dort werden alle Fragen geklärt und die Frau wird über mögliche Risiken und Nebenwirkungen informiert. Außerdem werden Tests gemacht, die prüfen, ob man für das Verfahren geeignet ist und es sich überhaupt lohnt. Anschließend steht die Entnahme möglichst vieler Eizellen an. Damit diese entnommen werden können, müssen sie erst heranreifen. Zur Stimulation des Wachstums möglichst vieler Eizellen, wird eine Hormonbehandlung über zehn bis 14 Tage durchgeführt, während durch Ultraschalle der genaue Entwicklungsgrad beobachtet wird. Sind die Zellen ausgereift, werden sie in einem kurzen unkomplizierten Eingriff unter Narkose herauspunktiert. Dann steht das namensgebende Einfrieren bevor. Die heutzutage gängige Methode ist die Vitrifikation – auch Flash Freezing genannt. Das Verfahren läuft besonders schnell ab. Die Eizellen werden innerhalb kürzester Zeit auf minus 196 Grad Celsius heruntergekühlt, sozusagen schockgefrostet. So können sich keine Eiskristalle bilden und die Zellen bleiben unbeschadet, weshalb sie jahrzehntelang ohne Verlust an Qualität aufbewahrt werden können.
Wie stehen die Chancen auf Erfolg?
Genau wie auf natürlichem Wege, lautet das Motto: Je jünger die Frau, desto höher die Chancen auf Erfolg. Außerdem spielt auch die Anzahl der entnommenen Eizellen eine sehr wichtige Rolle. Bei einer Entnahme und Lagerung von zehn Zellen in der bestmöglichen Lebensphase, also unter 30 Jahren, steht laut aktuellen Studien die Wahrscheinlichkeit auf eine anschließende Lebendgeburt bei 40 Prozent. Bei zwölf Zellen sind es schon 60 Prozent und bei 20 entnommenen Eizellen liegt die Wahrscheinlichkeit bei 90 Prozent. Das klingt erst einmal recht vielversprechend. Jedoch kommen die meisten Frauen verhältnismäßig spät auf die Idee, dass Social Freezing für sie eine Möglichkeit wäre. Das Durchschnittsalter, in dem Frauen das Social Freezing heutzutage nutzen, liegt bei 38 Jahren. Das mindert die Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft erheblich. Das bedeutet zwar nicht, dass es keinen Sinn mehr habe, jedoch sind die Aussichten auf Erfolg so tendenziell geringer. Dennoch wird laut einer amerikanischen Studie die Wahrscheinlichkeit auf ein Baby durch Social Freezing um zehn Prozent gesteigert, im Gegensatz zu Frauen im gleichen Alter, die bis dahin abgewartet haben.
Ein kostspieliges Unterfangen
Die Kosten für das Social Freezing werden bis dato nicht von den Krankenkassen übernommen.
Man muss also selbst für die Untersuchungen, die Behandlung und die Medikamente aufkommen. Und das ist nicht gerade wenig. Insgesamt müssen Frauen mit ca. 2.000 bis 3.000 Euro allein für die Eizellentnahme rechnen. Bei einigen sind mehrere Behandlungen nötig, bis die gewünschte Anzahl von Zellen erreicht ist. Hinzu kommt der jährliche Betrag von etwa 350 bis 500 Euro für die Lagerung. Nutzt man die Eizellen dann tatsächlich, muss auch die Kinderwunschbehandlung aus eigener Tasche bezahlt werden. Die Kosten liegen hier bei rund 2.000 Euro.
Doch kommt es überhaupt immer zu diesem Schritt? Ruth Denkhaus, wissenschaftliche Angestellte am Zentrum für Gesundheitsethik Hannover, vermutet, „dass die allermeisten kryokonservierten Eizellen letztlich ungenutzt bleiben.“ Das bestätigen auch die Ergebnisse einer belgischen Studie. Nur 7,6 Prozent der Patientinnen greifen auf ihre Reserve zurück. Oftmals erfüllt sich der Kinderwunsch doch auf natürlichem Wege.
„Ethisch nicht relevant“
Social Freezing ist insbesondere in ethischer Hinsicht ein sehr umstrittenes Thema. Welche Herausforderungen das Einfrieren von Eizellen für den natürlichen Lauf des Lebens mit sich bringt, erklärt Ruth Denkhaus im Campus38-Interview.
Unsere Gesellschaft unterliegt einem ständigen Wandel, so auch in Sachen Familienplanung. Frauen werden immer später Mutter. Doch das hat manchmal auch gute Gründe. Wir wollen unsere Chancen nutzen und nicht immer das Ticken der biologischen Uhr im Hinterkopf hören. Social Freezing bietet uns zwar keine Garantie, aber eine reelle Chance auf eine Zukunft mit Familienglück, wenn man sich diesen Wunsch jetzt noch nicht erfüllen kann oder will. Natürlich hat Social Freezing auch Grenzen – biologische Grenzen. Und man muss Kosten und Nutzen abwägen. Nutzt man das Verfahren in dem empfohlenen Zeitraum, so ist die Chance hoch, dass sich die Gegebenheiten in den nächsten zehn Jahren ändern oder man doch noch den richtigen Partner findet. Das Einfrieren hatte dann zwar keinen greifbaren Nutzen, aber es hat doch ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, was individuell auch eine wichtige Rolle spielen kann. Am Ende bleibt Social Freezing eine persönliche Entscheidung, die gut überlegt sein sollte. Doch auf jeden Fall ist es eine Chance, durch die Frauen an Selbstbestimmung gewinnen.
Die wichtigsten Fakten auf einen Blick:
- Social Freezing: Das Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund.
- Das beste Alter zur Entnahme liegt zwischen 20 und 30 Jahren.
- Die Zellen werden bei minus 196°C schockgefrostet und können jahrzehntelang ohne Qualitätsverlust gelagert werden.
- Die Kosten für die Beratung, die Medikamente und die Behandlung liegen bei 3.000 bis 4.000 Euro, hinzu kommen die Lagerkosten von etwa350 bis 500 Euro jährlich.
- Nur 7,6 Prozent der Patientinnen greifen auf ihre eingefrorenen Eizellen zurück.
- Eine erfolgreiche Schwangerschaft ist trotz des Social Freezings nicht garantiert, erhöht jedoch die Chancen.