Flüchtlinge in Salzgitter

Sami Alhnydi musste aus seinem Heimatland flüchten und wird seine Familie nie wiedersehen. Glücklicherweise bekam er in Salzgitter Hilfe bei seiner Integration. Wie das alles für ihn war, hat er uns erzählt.

In 2015 und den folgenden Jahren kamen viele Flüchtlinge nach Deutschland. Die meisten können niemals zurück nach Syrien. Der Versuch würde ihnen von den deutschen Behörden verwehrt werden. Außerdem sind die Chancen hoch, dass die Terrormiliz IS sie schon bei der Ankunft am syrischen Flughafen abfängt. Dann würde ihnen Schreckliches angetan werden, da sie beim IS als Volksverräter gelten. Auch Sami Alhyndi vermisst seine Familie, aber er selbst sagt dazu: „So ist das Leben“. Jedenfalls für ihn und viele andere Flüchtlinge.

Auch 4 Jahre nach der Flüchtlingskrise in Europa wandern viele Menschen nach Deutschland aus. Anhand des EASY-Systems, einem Computerprogramm des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, werden die Asylsuchenden auf die deutschen Bundesländer verteilt. Dadurch kommen seit Anfang des Jahres folgende Zahlen für Niedersachsen zustande:

 

Ungefähr 1000 registrierte Flüchtlinge kommen also immer noch monatlich nach Niedersachsen. Diese Zahl berücksichtigt außerdem nur die registrierten Asylbewerber.

Sami Alhnydi hat mittlerweile auch einen offiziellen Aufenthaltstitel. Über ein Patenschafts-Programm bekam Sami zwei Paten an seine Seite gestellt: Kathleen und Ralf Schärer. Die beiden wohnen in Salzgitter-Lesse und halfen ihm, sich hier zu integrieren.

Der 32-jährige Syrier wohnt in einer Wohnung in Lebenstedt. Er ist etwas zurückhaltend, aber sehr aufmerksam. Auf die Bitte hin, seine Flucht-Geschichte zu erklären, erzählt Sami eine Geschichte, die stark an eine Odyssee erinnert. Eine lange Irrfahrt mit vielen Hindernissen, die im Norden Syriens begann und nach etlichen Umwegen in Salzgitter in Deutschland endete.

Vorstellungen und Erwartungen hatte Sami nicht als er alleine seinen Weg angetreten ist. Wie auch? Das Ziel seiner Reise war unbekannt. „Damals habe ich mir keine Gedanken gemacht, Hauptsache weg“ erzählt er. Nachdem er Frau Fohrmann von der Evangelischen Familienbildungsstätte, kurz EFB, kennengelernt hatte, vermittelte ihn das Patenprojekt an Kathleen und Ralf Schärer. Sie halfen ihm die deutsche Kultur zu verstehen. Manche Flüchtlinge haben Angst erzählt er, weil sie glauben Integration würde bedeuten alles ganz genau so zu machen wie die Deutschen. Sie denken, sie müssten zum Beispiel Schweinefleisch essen. Wenn Sami sich unsicher war, fragte er Schärers um Rat, wie dies oder jenes in der deutschen Kultur gehandhabt wird. Für ihn gab es anfangs sehr viele Dinge, die er unüblich fand.

Einige der Dinge, die Flüchtlingen aus Syrien anfangs sehr seltsam erscheinen, sind auf den folgenden Bildern abgebildet.

Integration bedeutet für Sami Alhnydi vor allem Folgendes: „das Allerwichtigste finde ich ist, dass man Freunde hat und Kontakt mit der Gesellschaft.“ Für ihn zählt am Meisten, dass man versteht, dass Integration nicht bedeutet alles ganz genauso zu machen. Sondern, dass man die andere Kultur kennenlernt und akzeptiert, mehr nicht.

Durch die große Ungewissheit über die Kultur der Flüchtlinge, entstehen immer wieder unangenehme Situationen für Sami. Manchmal traut er sich nicht mal alleine auf die Straße, weil er Angst hat die Leute würden wieder komisch gucken. Nicht aus Neugierde oder Interesse, sondern als „hasserfüllt“ beschreibt Sami die Blicke, die ihn dann treffen. Einmal wurde er mit der Frage „Why are you in my country?“ angesprochen und ist dann aus Angst einfach weggelaufen. Er erzählt, die Menschen würden ihn oft direkt auf Englisch ansprechen. Sie denken, weil er anders aussieht, könne er kein Deutsch. Genügen würde es ihm, wenn man einfach ein wenig langsamer sprechen würden.

Denn eigentlich kann Sami recht gut Deutsch und hat auch einige interessante Gedanken zu teilen. Leicht aufgebracht berichtet er von seinem Missverständnis gegenüber der App „Wahl-O-Mat“. Für ihn sei es verwerflich, sich von dieser App eine fertige Meinung vorlegen zu lassen. Genauso wie sich seine Meinung einfach aus der Zeitung, dem Fernsehen oder bei Freunden und Familie abzugucken. Er selbst nahm an Demonstrationen teil, die ihn sein Leben hätten kosten können, um richtige Freiheit oder zuerst einmal Meinungs- und vor allem Gedankenfreiheit zu erlangen. Sami findet, in Deutschland vergeuden manche Menschen ihre Freiheit, indem sie zum Beispiel gar nicht erst an Wahlen teilnehmen.

Sami behauptet von sich selbst, er könne „den Mund nicht halten“, wenn es um solche Angelegenheiten geht. Deshalb ist er auch geflüchtet. Syrer, die sich der Politik in Syrien gegenüber kritisch äußern, werden nicht nur sich selbst sondern auch ihrer ganzen Familie zur Gefahr. Das wollte Sami nicht. Deshalb hat er nur wenig Kontakt zu seiner Familie. Bis vor einiger Zeit gab es gar keinen Kontakt, denn die Terrormiliz IS überwachte seine Heimatstadt sehr stark. Doch seit ungefähr einem Jahr ist es ihm möglich gelegentlich mit seiner Familie zu telefonieren. Auf die Frage hin, ob seine Familie denn auch plant irgendwann aus Syrien zu flüchten antwortet Sami ganz klar mit „Nein“. Seine Schwestern hätten Kleinkinder, für die die Flucht über das Mittelmeer tödlich enden könnte. Ebenso sei sie zu gefährlich für seine alten Eltern. Die sind einfach froh, dass Sami selbst in Sicherheit ist.

Neben seiner Ausbildung zum Elektroniker arbeitet Sami ehrenamtlich mit Flüchtlingskindern zusammen. Er betreut sowohl Kinder- als auch Jugendgruppen, indem er Ihnen hilft Deutsch zu lernen. Aber auch persönliche Probleme mit der Familie oder mit Freunden werden besprochen. Auch ein Punkt den Sami für sehr wichtig hält. Er erklärt uns, dass es für ihn am Anfang sehr schwierig war allein zu sein. Er wusste nicht, mit wem er über seine persönlichen Probleme sprechen kann. „Man muss man immer Freunde haben, mit denen man reden kann, vielleicht können sie dir überhaupt gar nicht helfen, aber zuhören. Das hilft“, findet er. Wenn man mit niemanden sprechen kann, dann bekommen viele psychische Probleme, weil sie ganz allein sind.

Jetzt wo Sami sich in Deutschland eingelebt und angepasst hat, steht er manchmal vor einem großen Problem. Bekannte aus Syrien sagen er sei zu deutsch geworden und habe seine eigene Kultur vergessen. Doch im Gegenzug schauen die Menschen auf der Straße ihn immer noch manchmal komisch an, weil er eben nicht Deutsch ist. Er fragt sich dann manchmal, wer er denn dann überhaupt ist. Weniger verwirrt und komplett aufgenommen, fühlt Sami sich in der Gesellschaft seiner „Pateneltern“, mit denen wir ebenfalls gesprochen haben.

Auch Ralf und Kathleen Schärer leben ebenfalls in Salzgitter. Länger schon hatten sie mit dem Gedanken gespielt sich aktiver in die Flüchtlingsintegration einzubringen. Doch der springende Funke war ein anderes Erlebnis. Die beiden berichten von einer Geburtstagsfeier im Freundeskreis Anfang 2016. Dort fallen Sätze wie „Die Flüchtlinge nehmen uns alles weg. Aber von meinem schwerverdienten Geld gebe ich nichts ab“ aus den Mündern von Bekannten, die selbst einen Migrationshintergrund besitzen. Sehr schockiert von diesen Aussagen, schreiben Schärers am nächsten Tag eine Mail an die EFB. „Wir wollten gar keine Paten werden. Wir wollten einfach irgendwas in dem Projekt machen.“, so Kathleen. Eine Woche später folgt der Termin in der EFB und Ralf und Kathleen verließen mit ihrem erwachsenen „Patenkind“ Sami das Gebäude.

Das liegt über 3 Jahre zurück. Mittlerweile hat ganz Familie Schärer, inklusive der zwei erwachsenen Töchter, Sami ins Herz geschlossen. Ralf muss grinsen und erklärt: „Wir sagen immer Sami ist unser drittes Kind. Der ist vom Alter genau zwischen unseren beiden Mädels. Der Sohn, den wir nie hatten“. Gerade am Anfang der Patenschaft aber, war das unvorstellbar. Vor allem von Samis Seite aus. Ralf Schärer ist Polizeibeamter und es kostete Sami einige Monate, um Vertrauen zu ihm aufzubauen. Die syrische Polizei ist ganz anders als die in Deutschland. Dort wird sich nicht an Recht und Gesetz orientiert und auch Folter ist ein Thema. Etwas schwierig war auch die Verständigung zu Beginn, da für Sami kein Platz war in einem Sprach- oder Integrationskurs war. Seine Sprachkenntnisse sind allein das Ergebnis von vielen Gesprächen. Schnell gehörte bei jeder Feier von Freunden und Familie dazu. Nur in großen Runden merkt man ihm etwas Unbehagen an. Ralf hat Verständnis, weil er sich gut vorstellen kann, wie man in großer Runde trotz Fremdsprachenkenntnis schnell den Überblick verliert. Wohler fühlt sich Sami in kleinen Runden, wenn zum Beispiel nur die Töchter der Schärers Zuhause sind. Sie sprechen dann über alles Mögliche. Die Lage in Syrien, aber auch alltägliche Dinge wie Rezepte werden besprochen.

Anfangs finden die Treffen noch ein bis zwei Mal wöchentlich statt. Kathleen begleitet Sami zu vielen Behördengängen. Die Spaziergänge und Gespräche mit Schärers helfen Sami die Sprache und Kultur besser zu verstehen. Schärers selbst können Einiges lernen. Sie berichten begeistert von kulturellem und vor allem kulinarischem Austausch. Aber auch von sogenannter interkultureller Kompetenz. Das bedeutet für sie zuzuhören und sich über andere Denkweisen im Klarem zu werden. Somit seien sie auch in der Lage anderen Arabern offener gegenüber zu stehen. Lange hatte Sami Hemmungen zu Schärers nach Hause zu kommen. Ralf erklärt uns„Das Schlimmste für einen Araber ist wenn er Gäste hat und er kann diesen Gästen nichts anbieten. Oder wenn er irgendwo eingeladen ist und kein Gastgeschenk hat. Du kannst tausendmal sagen du kannst hierherkommen und wir erwarten nicht, dass du uns etwas mitbringst, aber das ist total schwierig“.

Probleme mit Sami hatten die beiden nie. Nur mit den Behörden, was Sami betrifft. Im August sollte Sami die Verlängerung seines Aufenthaltstitels verweigert werden, da er keinen Integrationskurs belegt hatte. Dass Sami aber längst eine Ausbildung macht, bei der er Klassenbester ist, sollte nicht reichen. Ralf sagt, da könne er sich auch nur noch an den Kopf fassen. Nach langen Gesprächen mit dem Jobcenter und der Abgabe von Samis Zeugnissen aus der Ausbildung, waren die Behörden dann doch bereit den Aufenthaltstitel zu verlängern. Kathleen gibt zu, die emotionale Bindung zu Sami sei mittlerweile so groß, dass sie schlechter schlafe, wenn sie weiß, dass Sami Schwierigkeiten hat.

Mittlerweile kommt Sami besser allein zurecht. Die Treffen sind seltener geworden. „Wir sehen ja unsere Kinder auch nicht jeden Tag“ argumentiert Kathleen. Das Verhältnis ist deshalb aber nicht weniger eng. Wenn Sami ein Problem hat, dann meldet er sich nach wie vor bei Ralf und Kathleen.

Das Patenprojekt existiert zwar nicht mehr, aber trotzdem haben wir Schärers zum Abschluss gefragt, was sie jemandem raten würden, der Flüchtlinge unterstützen will. Kathleen antwortet: „Einfach machen.“ Ralf ergänzt: „Du kannst nichts falsch machen. Alles was du für die Menschen tust, die aus einem fremden Land hierherkommen und hier Fuß fassen wollen, das kann nur gut sein.“

Es gibt auch andere Menschen, Organisationen und ganze Firmen die Anderen helfen wollen. Die Firma Sophia ist eine gemeinnützige Gesellschaft, die geflüchteten Menschen Unterstützung anbietet. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Nachhilfeunterricht von Flüchtlingen für Flüchtlingskinder, es gibt aber auch Sprachkurse und andere Bildungsangebote für jede Altersklasse. Im folgenden Video waren wir zu Besuch bei einem Nachmittag mit Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung für Kinder jeglichen Alters.

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VON Ebru Erol