„Die Liebe zur Kälte hat mich zu einem neuen Menschen gemacht. Und das kannst du auch lernen!“. Euphorie liegt in der Stimme des kauzigen kleinen Mannes, der mir von meinem Computerbildschirm entgegengrinst. Im Schneidersitz hockt er auf einer Yogamatte und erklärt mir das Geheimnis hinter seinen außerordentlichen Fähigkeiten: mentale Kontrolle über die Körperreaktionen. Dadurch sei es ihm gelungen seine exorbitante Kälteresistenz aufzubauen und sein Immunsystem enorm zu stärken. Seit Jahrzehnten will er nicht mehr beim Arzt gewesen sein.
Jeder, behauptet Hof, könne ähnliche Fähigkeiten erlernen, wenn er die Trainingsmethode des Niederländers anwendet. Einen Online-Grundkurs mit zwei Übungen bietet der Iceman kostenlos an. Die Vollversion beinhaltet eine Vielzahl an Übungen und Fachwissen, kostet aber stolze 160 Euro. Ich schmunzelte spöttisch und verließ die Webseite. Trotzdem hat mich die skurrile Geschichte dieses Mannes nicht ganz losgelassen. Im Internet stieß ich auf eine Studie über Wim Hof: Wissenschaftler der Wayne State University in Detroit bescheinigten ihm tatsächlich die Fähigkeit, seine Körpertemperatur durch mentale Kraft kontrollieren zu können.
Ganz ausgelöscht war meine Skepsis deswegen noch nicht. Aber der Gedanke, ob und inwiefern diese Methode auch mich verändern könnte, ließ mich einfach nicht los. Die „Fundamental Class“ kostete ja nichts, warum sollte ich es nicht mal ausprobieren? Also meldete ich mich an. Sekunden später hatte ich auch schon eine Mail im Postfach. Mit einem Video von Wim, wie er auf seiner Yogamatte sitzt und die Übungen erklärt.
Übung 1
Bequeme Sitz-oder Liegeposition einnehmen. 30 Mal tief einatmen und langsam wieder ausatmen. Ein bis zwei Minuten die Luft anhalten und von vorne beginnen.
Autor Leon beim Selbsversuch. (Quelle: Leon Klein)
Wim Hof warnte im Video davor, dass diese Übung sehr intensiv sei. Man könne sogar kurz das Bewusstsein verlieren. Ich erwartete mir aber relativ wenig bis nichts. So war es auch – vorerst. Im zweiten Durchgang fühlten sich meine Gliedmaßen dann plötzlich ungewohnt leicht an. Im Kopf begann ein angenehmes Schwindelgefühl einzusetzen. Wim nennt das im Video „high on own supply“. Als ich mich wieder aufsetzte, war das Schwindelgefühl wie weggeblasen. Stattdessen spürte ich ein angenehm warmes Kribbeln im ganzen Körper. Und den Drang mich zu bewegen.
Übung 2
Jetzt kommt die Kälte. Es geht unter die Dusche. Erst mit sehr warmem Wasser abduschen, dann den Temperaturregler konstant nach unten drehen. Auf der kältesten Stufe circa 2 Minuten verweilen.
Kalt duschen zählte bisher nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Trotzdem stellte ich mich widerwillig unter die Brause. Zuerst bei angenehmen 30 Grad. Meine bisherige Standardtemperatur. Aber diesmal war mir das Wasser viel zu heiß. Schnell drehte ich den Regler nach unten. Bei ungefähr 10 Grad war es schon sehr viel besser. Ich seifte mich ein und wusch mich ab, ohne die Kälte dabei als unangenehm zu empfinden. Dabei hatte ich sonst nicht einmal die Dusche betreten, wenn das Wasser nicht schon warmgelaufen war. Zum Abschluss wagte ich mich noch einen Schritt weiter: Ich drehte den Temperaturregler so weit nach unten wie möglich. Acht bis fünf Grad Celsius Wassertemperatur. Je nach Jahreszeit und Wetter. Dann hielt ich die Luft an und erwartete den Kälteschock. Doch ein Schock kam nicht. Das Wasser war merklich kälter als zuvor, aber es fühlte sich nicht unangenehm an. Eher erfrischend. Als ich aus der Dusche kam, grinste mich mein Spiegelbild breit an. Ich fühlte mich pudelwohl in meiner Haut. Voller Energie und Tatendrang. Unglaublich welchen Effekt ein paar Atemübungen und eine kalte Dusche haben können. Der restliche Tag war sehr arbeitsreich: Eine 5 Stunden-Blockvorlesung und diverse Projektarbeiten standen an. Wider Erwarten war ich aber die meiste Zeit höchst konzentriert. Meine gute Laune zog sich noch durch den ganzen Tag.
Mehrere Monate sind seither vergangen. Ich freue mich jeden Morgen auf meine Atemübungen und die kalte Dusche. Und tatsächlich kann ich über die Monate einige positive Veränderungen beobachten:
- Ich bin sehr viel entspannter geworden
- Stress und Zeitdruck belasten mich weit weniger
- Ich war in der Zeit tatsächlich nicht ein einziges Mal krank
- Ich komme mir konzentrierter vor
- Und die allmorgendliche gute Laune nach der Dusche ist unbezahlbar!
Deshalb bin ich allerdings noch lange nicht zum Iceman geworden. Seine Kälteresistenz ist wohl auch eher genetisch begründet: 2014 zeigte eine Studie, dass Wim Hofs Zwillingsbruder ähnlich immun gegen eisige Temperaturen ist. Dabei habe er nie dafür trainiert. Beide Brüder weisen jedoch eine besonders große Menge an braunem Fettgewebe auf, das als primäres Heizmittel des menschlichen Körpers gilt.
Wim Hofs Team verspricht mir aber weiterhin, dass ich wie er werden könne. Regelmäßig bekomme ich nun Werbemails für das volle Programm. Der Iceman ist eben auch nur ein Geschäftsmann. Atemübungen, Meditation, kalte Duschen und Bäder – der gesundheitliche Nutzen dieser Heilpraktiken ist seit Jahrhunderten bekannt. Wim Hof vermarktet ihn bloß neu. Ob das volle Programm ähnliche Fähigkeiten hervorruft wie bei ihm selbst, ist fraglich. Aber zumindest die Grundübungen kann ich weiterempfehlen. Sie sind fester Bestandteil meiner Morgenroutine geworden.