Deutschland ist ein Fleischland. Seit den 1970er Jahren wurden Fleischprodukte jahrzehntelang als Hauptbestandteil einer ordentlichen Mahlzeit gesehen. Auch wenn der Konsum in den letzten Jahren zurückgegangen ist: 2020 deckt der durchschnittliche Deutsche noch immer einen Großteil seines Proteinbedarfs mit Fleisch. Sicher, man weiß, dass diese Ernährungsweise nicht unproblematisch ist. Massentierhaltung: finden wir schrecklich. Klimaschutz: ist man grundsätzlich dabei. Und wer den CO2-Ausstoß für ein Kilogramm Fleisch zusammenrechnet, stellt erstaunt fest, dass dieser einer Fahrt zur Arbeit mit dem SUV entspricht. Der NABU und die deutsche Gesellschaft für Ernährung fordern daher eine „Rückkehr zum Sonntagsbraten“. Nur so könne man dem Pariser Klimaabkommen gerecht werden. Für eingefleischte Liebhaber von Burger, Würstchen und Co. wäre das aber eine Horrorvorstellung. Fleischersatzprodukte dürften daher eine Hauptrolle in der zukünftigen Ernährung spielen. Soja, Weizen und andere Hülsenfrüchte. Worauf bisher die meisten Substitutionsprodukte beruhen, können den Geschmack und die Konsistenz von Fleisch aber nur bedingt nachahmen. Zudem sind sie im Mengenverhältnis meist teurer und haben einen geringeren Proteingehalt. Sportler mit erhöhtem Eiweißbedarf oder Menschen mit geringem Einkommen greifen daher doch lieber zu Fleisch. Ein moralisches Dilemma – auf den ersten Blick.
Auf den zweiten Blick gäbe es noch eine andere Lösung: Florian Berendt, 32 Jahre, aus Bremen, hat sie bereits erkannt: In seinen 20ern bewohnte der studierte Agraringenieur eine alternative Lebensgemeinschaft am Stadtrand. Als er eines Morgens Frühstückseier für seine Mitbewohner holte, kroch ihm die Lösung buchstäblich vor den Füßen herum: Insekten. Käfer, Würmer, Grillen. Beute der omnivoren Hühner, womit diese effizienten Eiweißlieferanten ihren eigenen Proteinbedarf decken. Seitdem ließ ihn der Gedanke, Insekten für den menschlichen Verzehr zu züchten, nicht mehr los und er gründete das Unternehmen „EntoSus“. Eine Firma, die Grillen züchtet und daraus verschiedene Nahrungsmittel herstellt. Weltweit gibt es circa 1.900 Insektenarten, die auch ein menschlicher Körper problemlos verwerten kann. Und Millionen von Menschen, die diese Möglichkeit nutzen.
Nur in Europa scheint sich bisher kaum jemand mit diesem Gedanken angefreundet zu haben. Dabei muss man nur weit genug in der Geschichte zurückgehen, um sogar Prominente und wohlhabende Europäer zu finden, die Insekten noch als Delikatesse ansahen. Der griechische Philosoph Aristoteles, bezeichnete Heuschrecken doppeldeutig als „sechsbeiniges Geflügel“. Berichte aus dem alten Rom erzählen von Raupen, die als besondere Leckerbissen auf großen Banketten gereicht wurden. Selbst im Frühmittelalter wurden Insekten noch von allen Schichten verspeist. Anders als viele Fleischsorten, wurden Insekten als Nahrungsmittel weder durch die Bibel, noch den Koran oder die Tanach verboten. Im Gegenteil: In all diesen heiligen Schriften, finden sich Hinweise auf den Verzehr von Insekten. Und zwar göttlich genehmigt. Domestiziert wurden sie in Europa allerdings nie, sondern bei Gelegenheit wild gesammelt. Je mehr aber die Domestizierung anderer Tierarten und die landwirtschaftliche Erschließung der Naturräume voranschritt, desto unbequemer wurden die Sechsbeiner. Sie legten ihre Larven in Milchprodukte und gelagertes Getreide oder befielen Fleisch und Gemüse. Anstelle einer nahrhaften Beilage, wurden sie bald als nahrungsverderbende Schädlinge angesehen und mit Fäulnis oder Krankheiten in Verbindung gebracht.
Als Jahrhunderte später die Ära der industriellen Nahrungsmittelproduktion hereinbrach, dachte hier niemand mehr daran, Insekten mit einzubeziehen. So manches Problem der Moderne hätte man dadurch abschwächen können. Den Klimawandel zum Beispiel. Denn ein Kalbsschnitzel hat eine äußerst unappetitliche Öko-Bilanz: Schon ein einziges Rind stößt im Jahr circa 100 Kilogramm Methan aus. Jenes Treibhausgas, dem Klimaforscher eine 21 mal stärkere Wirkung als dem allseits bekannten CO2 zurechnen. Füttert man die Kühe, wie in der Massentierhaltung durchaus üblich, mit Soja, wofür Regenwälder gerodet werden, kann man etwa 23 Kilogramm CO2 pro Kilogramm Rindfleisch dazurechnen. Ähnlich sieht es beim Futterverbrauch aus. Ein durchschnittliches Mastrind verschlingt rund 25 Kilogramm Futter pro Kilogramm produziertes Fleisch. Weil das nun mal nicht vom Himmel fällt, wird auf 33 Prozent der weltweiten Anbauflächen ausschließlich Futter für die Massentierhaltung angebaut.
Mit nur einem Fünftel dieser Getreidemenge, würden alle hungernden Menschen auf der Welt satt werden. Und nicht nur das: Auf die zwei Millionen Hektar Anbaufläche in Deutschland, könnten natürliche CO2-Speicher wie Moorgebiete zurückkehren. Damit wäre der deutsche Flugverkehr von fast zwei Monaten ausgleichen. Würde der gesamte deutsche Proteinbedarf mit Pflanzen gedeckt werden, bräuchte man nur 60.000 Hektar Anbaufläche.
Aber wie sieht es mit Insekten aus? Insekten benötigen zwölfmal weniger Futter als Rinder. Müsste man das Futter anbauen, käme in etwa ein ähnlicher Flächenverbrauch wie für Soja heraus. Es ginge aber noch Platzsparender.
Zwölf Millionen Tonnen unverdorbene Nahrungsmittel landen in Deutschland jährlich auf dem Müll oder fallen als Restprodukte in der Lebensmittelindustrie an. Selbst unter der Annahme der Zukunftsdeutsche würde ebenso viele Insektenprodukte konsumieren wie heutzutage Fleisch, also circa 60 Kilo pro Jahr, würden, gerechnet mit einem Futterverbrauch von zwei Kilo pro Kilogramm in Insekten, nur 9,6 Millionen Tonnen Futter pro Jahr benötigt.
Doch Zahlen, Daten und Fakten können noch so positiv sein. Gegen ein schlechtes Image kommen sie offenbar nicht an. Aktuelle Marktforschungsdaten belegen, dass sich 46 Prozent aller Deutschen auf keinen Fall vorstellen können, Insekten zu essen. Nur fünf Prozent würden ohne Zögern zugreifen. Der Grund für die Ablehnung: Ekel und gesundheitliche Bedenken. Insekten werden oft als unhygienisch wahrgenommen. Man glaubt, sie seien besonders anfällig für Keime. Von Befürwortern dagegen werden sie Nährwertetechnisch als regelrechtes „Superfood“ dargestellt. Nils Grabowski von der Tierärztlichen Hochschule Hannover erforscht seit 2005 essbare Insektenarten. Für Campus38 hat er eine wissenschaftliche Einschätzung zu den Nährwert-Aspekten der Sechsbeiner gegeben.
Aber wie schlagen sich Insekten preislich? Ein Hauptgrund für Deutschlands exzessiven Fleischkonsum ist, dass Fleisch sehr günstig zu haben ist. Besonders der arme Student greift doch immer wieder mal, wenn auch mit schlechtem Gewissen, zu den vier Euro Hähnchenbrustfilets aus der Aldi-Tiefkühltruhe, wenn rein pflanzlicher Tofu im Mengenverhältnis fast doppelt so teuer wäre. Können Ersatzprodukte aus Insekten da preislich mithalten? Es käme darauf an, sagt Florian Berendt.
Ethisch vertretbar, bei Subventionen günstig zu verkaufen, ein Nährwertespektrum, das alle Bedürfnisse abdeckt und nicht einmal durch Religionen verboten ist. Es scheint als würde den Insekten rein objektiv nichts mehr im Wege stehen. Um sich wirklich auf dem Verbrauchermarkt zu etablieren, sollte ein Lebensmittel aber vor allem eines: geschmacklich befriedigen. Können Grillen und Würmer die Lücke füllen, die ein saftiges Steak hinterlässt? Immerhin handelt es sich noch immer um tierisches Protein. Florian Berendt weist zudem darauf hin, dass Insekten das typische Fleischaroma Umami enthalten. Würde man überhaupt Unterschied zu Fleisch schmecken?
Mit Fleisch verwechseln kann man Insekten offenbar nicht. Zumindest nicht im direkten Vergleich. Dennoch scheinen sie unseren Testessern zu schmecken. Der Grund für den neutralen Geschmack unserer Burger ist laut Berendt die Dosierung und Art der Insekten. Wie auch Dr. Nils Grabowski weist er darauf hin, dass Insektenarten sehr unterschiedlich schmecken würden. Das Aroma von Grillen und Heuschrecken würde dem von Hühnchen sehr nahekommen. Tatsächlich haben die von uns verkosteten Grillen, frisch aus dem Ofen von EntoSus, ein Aroma, das je nach Würze an Erdnüsse oder knusprige Hähnchenhaut erinnert. Buffalo-Würmer dagegen seien bekannt für ihren neutralen Geschmack. Und der Grillenanteil in unseren Test-Burgern lag unter fünf Prozent. Derart geringe Prozentsätze sind, preislich bedingt, bei bisherigen Insektenprodukten der Regelfall. In Finnland gibt es aber bereits Versuche, Hackfleisch und ähnliche Produkte mit bis zu 80 Prozent Insektenanteil herzustellen. Diese seien von Textur und Geschmack „nicht mehr weit von Fleisch entfernt“, meint Berendt. In Deutschland aber leider nicht zu bekommen. Die Entwicklung stecke eben noch in den Kinderschuhen.
Aber ob nun als Burger oder in anderer Form: Insekten haben durchaus das Potenzial einen Platz auf dem zukünftigen Speiseplan einzunehmen. Noch ist die Ablehnung in der Bevölkerung groß. Auch für Menschen, die grundsätzlich keine Tiere essen möchten, kommen Insekten natürlich nicht in Frage. Ob sie sich unter Fleischessern etablieren werden, ist schwer zu sagen.