Durch die Corona-Pandemie konnten Studierenden im Sommersemester 2020 und im Wintersemester 2020/21 keine normalen Klausuren an der Hochschule schreiben.
Von Open-Book bis Essay, einiges wurde auf den Kopf gestellt. Wo neue Prüfungsformen entstehen, entstehen neue Probleme, aber auch Chancen . Rasch mussten sich Dozierende Alternativen überlegen und entscheiden wie Prüfungen trotzdem stattfinden konnten. Aber wie finden Studierende und Dozierende diese Veränderungen und könnten sie für die Zukunft übernommen werden?
Unterschiedliche Prüfungsformen kamen so in den verschiedenen Modulen an der Fakultät der Ostfalia in Salzgitter zum Einsatz. Das Spektrum an Prüfungsformen erstreckt sich von mündlichen Prüfungen über Hausarbeiten und kurzen Essays hin zu Open-Book-Klausuren. Als Open-Book-Klausuren werden schriftliche Prüfungen bezeichnet, bei denen praktisch alle schriftlichen Hilfsmittel zugelassen sind. Für Studierende klingt das anfangs gut: Denn wo Hilfsmittel zum Einsatz kommen, muss weniger auswendig gelernt werden. Allerdings achten die Dozierenden dann in der Regel darauf, die Klausur tendenziell auf Transferaufgaben auszulegen. Dadurch können diese insgesamt anspruchsvoller als herkömmliche Klausuren ausfallen. Doch nicht nur Klausuren können im Open-Book Format stattfinden, sondern beispielsweise auch als mündliche Prüfungen. Was von einigen Studierenden gefürchtet wird, ist eine Erleichterung für andere. In mündlichen Prüfungen kommt es darauf an, den Stoff spontan parat zu haben und nicht in Panik zu verfallen, wenn man den Dozierenden gegenübersitzt. Außerdem sind diese deutlich kürzer als die schriftlichen. Klausuren sowie mündliche Prüfungen können auch online stattfinden. Warum aber Open-Book und nicht einfach normale Klausuren nur online? Hier spielt das Thema Rechtssicherheit eine wichtige Rolle. Rolf Schwartmann, Professor für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der TH Köln, berichtet in einem Interview mit dem Hochschulforum Digitalisierung folgendes: „Online-Klausuren – also Aufsichtsarbeiten halte ich für unzulässig, weil Sie die Studierenden zu Hause […] dezentral nicht rechtskonform beaufsichtigen können.“ Studierende würden sich zu Hause nicht kontrollieren lassen wollen und könnten leicht schummeln oder technische Probleme vortäuschen. Die Rechtsprechung werde nach und nach eine Richtlinie für die Zulässigkeit von Online-Prüfungen hinsichtlich elektronischer Datenverarbeitung sowie der DSGVO entwickeln. Bis dahin bieten manche Hochschulen zusätzliche Prüfungsversuche oder die Möglichkeit, Prüfungen nicht werten zu lassen.
In Open-Book-Klausuren und Hausarbeiten erklären die Studierenden durch eine Eidesstattliche Erklärung, dass sie die Aufgaben ohne Hilfe oder Unterstützung Dritter gelöst haben. Grit Leßmann, Professorin für allgemeine BWL und Prüfungsausschussvorsitzende an der Ostfalia, erklärt, welche Konsequenzen im Falle eines Verstoßes gegen die Eidesstattliche Erklärung drohen: „Die Konsequenzen einer falschen eidesstattlichen Versicherung sind in §156 StGB geregelt. Es handelt sich nach Definition des Gesetzes um eine Straftat, die mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe geahndet werden kann.“ Laut ihr sei die Anzahl der Täuschungsversuche des vergangenen Semesters in Open-Book-Prüfungen nicht höher als bei den herkömmlichen Klausuren. Weitere viel genutzte Alternativen sind Essays, Hausarbeiten und Aufsätze. Je nach Vorgabe der Dozierenden wird in Gruppen oder einzeln gearbeitet und an einem vereinbarten Datum digital oder analog abgegeben. Die Themen werden entweder vorgegebenen oder sind frei wählbar. Ein Vorteil dieser Alternative ist, dass nicht im klassischen Sinne gelernt werden muss. Allerdings kommen hier Recherche und die analytische Kunst des wissenschaftlichen Schreibens zum Einsatz.
Bei der Ankündigung der alternativen Prüfungen durch die Hochschule herrschten unter den Studierenden verschiedene Stimmungen und Meinungen. Viele waren erleichtert, dass in einigen Fächern doch keine Klausur geschrieben wurde. Andere waren nicht so positiv gestimmt.
Umfrageergebnisse der Studierenden:
•Eine 61% findet die alternativen Prüfungsformen besser als herkömmliche Klausuren.
•Open-Book wird in schriftlicher Form bevorzugt.
•Der Wunsch nach zeitlich flexiblen Abgaben.
Umfrage vom 07.04.2021 online mit 41 Teilnehmern Angaben nicht belastbar (Momentaufnahme)
Melina Ternedde, Tourismusmanagement-Studentin an der Ostfalia, berichtet über die Open-Book-Klausuren, da diese in fast all ihren Modulen übernommen wurde. Für sie habe der höhere Arbeitsaufwand eher an der Ungewissheit gelegen, welche Prüfungsform sie würde ablegen müssen. Doch lastet sie die Verzögerungen weniger den Dozierenden an. „Die Corona-Bestimmungen haben sich auch ständig verändert.“ Sie könne sich vorstellen, erneut Open-Book-Prüfungen abzulegen, würde sich dann aber eine daraufhin angepasste Vorbereitung in der Lehrveranstaltung wünschen, die auf Transferaufgaben abzielt. Wie sehen das die Dozierenden aus Salzgitter? Sie haben die Alternativen erstellt und mussten in der Planung sowie Durchführung der Prüfungen umdenken. Denise Sommer, Professorin für Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft, hat ihre geplanten Klausuren durch das Schreiben von Essays ersetzt. Das habe bei ihren Studierenden für Erleichterung gesorgt. Sie betont aber auch: „Selbst drei bis fünfseitige Essays brauchen einen wesentlich höheren Korrekturaufwand […]. Das hat sicher mindestens zwei-, eher dreimal so viel Zeit in Anspruch genommen.“ Durch die höhere Erfolgsquote der Essays für die Studierenden, würde sie nichtsdestotrotz bei Gelegenheit erneut auf die korrekturintensivere Prüfungsleistung zurückgreifen. Marc-Christian Ollrog, Professor der Journalistik, hat geplante Klausuren durch mündliche Online-Prüfungen im Open-Book-Format ersetzt. Ausschlaggebend für den Journalistik-Dozenten war, eine Prüfungsform zu finden, die der ursprünglich geplanten Prüfung möglichst ähnlich ist, um der Veranstaltung und damit den Studierenden gegenüber gerecht zu bleiben. „Zudem musste die Prüfungsform rechtssicher sein und für mich als Dozent auch leistbar“. Größtenteils hätten die Studierenden positives Feedback gegeben, berichtet er. Auch die Noten seien im Schnitt besser ausgefallen als in vergangenen Jahren zuvor im klassischen Klausurformat. Natürlich waren aber nicht alle begeistert: „Es gibt nicht die eine perfekte Prüfungsform, die alle gleich gut können und finden“, sagt Ollrog. Daher sei die Vielfalt der Prüfungsformen im Studium so wichtig, um die Vielfalt der Begabungen abzubilden. Marc-Christian Ollrog plant in Zukunft öfter mit dem Alternativformat: „Hätte ich das Fach schon vom Start weg auf die alternativ gewählte Prüfungsform hin angelegt, hätte ich […] mehr diskutiert und (etwas) weniger frontal gelehrt.“ Seine Hoffnung bestehe darin, dass die transferierten Aufgaben, gelerntes bei seinen Studierenden dauerhaft hängenbleiben lässt. Zudem trainiere die mündliche Interaktion die kommunikativen Fähigkeiten und das Verhandlungsgeschick, wodurch man noch besser auf das Berufsleben vorbereitet werde.
Samir Saleh, Professor für allgemeine BWL mit den Schwerpunkten Marketing und internationales Management, hat im letzten Semester Open-Book-Klausuren und Referate als Leistungsüberprüfung durchgeführt. Sehr gutes Feedback gab es bezüglich der Referate. Bei den Open-Book-Klausuren benannten seine Studierenden in persönlichen Gesprächen den Zeitdruck als relativ hoch gegenüber herkömmlichen Klausuren. Auch Samir Saleh betont, dass der Aufwand zur Konzipierung einer Open-Book-Klausur durch das Erstellen neuer Transferaufgaben auf jeden Fall höher sei. In der Regel könnten Lehrende auf Klausuren aus dem Fundus zurückgreifen, doch im Open-Book-Format müssten neue, komplexere Aufgaben entworfen werden. Das führe auch bei den Studierenden zu höherem Aufwand. Von ihnen werde teilweise angenommen, dass die Aufgaben durch das Hinzuziehen der Skripte und Literatur aus dem Internet leicht zu lösen wären. Samir Saleh bemerkt aber: „Einfach nach einem Stichwort googlen kann dazu führen, dass vermeintliche Lösungen abgeschrieben werden, die nicht zur Aufgabenstellung passen.“ Ob seine Studierenden dem Unterricht folgen und sich so aktiv für die Klausur vorbereiten, könne er online schwer erkennen. „Eine Kontrolle des Lernerfolges ist im Präsenzunterricht um einiges leichter als in einer Videokonferenz.“ Wichtig sei aus seiner Sicht auch, dass die Studierenden voneinander lernen und sich außerhalb seines Unterrichts austauschen. Diskussionen und gemeinsames Bearbeiten von Aufgaben seien wichtige Schritte im Lernprozess. Der BWL-Dozent hält sich die Möglichkeit offen, in Zukunft wieder auf die Alternative OpenBook zurückzugreifen und glaubt daran, dass daraus neue Prüfungsformate entstehen können: „Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“ Die Meinungen unter den Studierenden zu den Alternativen sind gespalten. Viele verstehen die Umstände, unter denen die Lehrenden und die Hochschule handeln mussten. Wenige beschweren sich über zu späte Ankündigungen oder nicht ausreichende Vorbereitung. Die Mehrheit ist zufrieden mit den durchgeführten Prüfungen. Die Umgestaltung der Prüfungsformen hat besonders für die Dozierenden viel Arbeit mit sich gebracht und war zudem auch für sie neu. Trotzdem waren die Dozierenden überwiegend zufrieden mit den durchgeführten Alternativen und würden sie – mit Verbesserungen – erneut durchführen.
Beide Seiten, Studierende und Dozierende, haben durch die Corona-Pandemie neue Formen der Prüfungsleistungen entdeckt und kennengelernt. In zukünftigen Open-Book-Formaten werden Probleme wie unzureichende Vorbereitung wohl kein Thema mehr sein, da beide Parteien wissen, was auf sie zukommt. Mit ausreichender und richtiger Vorbereitung könnten die Alternativen also tatsächlich Teil des künftigen Studierens werden.