Herr der Ringe – live und in echt

Einmal wie Aragorn, Legolas oder Frodo Abenteuer erleben. Das ist gar nicht so unrealistisch, wie es klingen mag. Auch ohne Virtual Reality kann jeder in fantastische Welten wie Mittelerde eintauchen. Alles was es braucht, sind die eigene Kreativität und Fantasie.

Wer kennt es nicht. Man sitzt am Wochenende gemütlich auf dem Sofa und gönnt sich einen ausgeprägten Fantasy-Marathon. Bei mir würde die Wahl auf „Der Herr der Ringe“ oder „Der Hobbit“ fallen. Und während man sich von den Abenteuern des Hobbits und der Gefährten berieseln lässt und hineingezogen wird in diese fantastische Welt, spürt man beinahe schon die wohlige Wärme des Lagerfeuers. Um sich herum eine Welt voller Elben, Zwerge und Orks, während sich Frodo, Sam, Merry und Pippin angeregt über gebackene Tomaten unterhalten. Dann, einige Filmminuten weiter, spürt man seinen eigenen Herzschlag schneller werden. Man ist bereit, sich Seite an Seite mit den Protagonisten unter einem ohrenbetäubenden Schlachtruf in die feindlichen Linien zu werfen. Bereit, bis zum letzten Atemzug für ihre Sache und ihre Freunde zu kämpfen.

Diese Momente haben sicherlich eine immense Wirkung auf den ein oder anderen Zuschauer hinterlassen und vielleicht auch den Wunsch angeregt, so etwas auch einmal zu erleben. Es muss ja nicht einmal das Kämpfen sein, sondern einfach nur das Gefühl, in seinem eigenen kleinen Fantasyfilm zu sein. Das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein und sozusagen Urlaub von sich selbst nehmen. So ging es mir zumindest. Einige werden sich jetzt fragen: „So etwas geht doch nicht, oder?“

So etwas geht eben doch! So etwas in der Art.
Es nennt sich LARP.

 

LARP – Live Action Role Playing – fristet in Deutschland noch eher ein Schattendasein abseits der Mainstream-Gesellschaft. Dies ist tatsächlich sehr überraschend, da die deutsche LARP-Szene, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, überdurchschnittlich hohes Ansehen genießt. Die Gründe dafür sind, dass ein starker Fokus auf das Ambiente gesetzt wird, also die Ausstattung der Spielorte, die Requisiten und das generelle Spielfeld. Weiterhin gibt es einen großen Unterschied in der Art des Kämpfens. Dies fand ich nach einem Gespräch mit meinem Freund Jannick aus Dänemark heraus, einem seit über zehn Jahren passionierten LARP-Spieler. Während LARP in Dänemark beinahe schon den Status eines Volkssportes hat, steht in Deutschland die Inszenierung im Vordergrund. Das heißt, dass die Treffer möglichst gut und spektakulär „ausgespielt“ werden. Ein Treffer mit einer Keule etwa wird übertriebener dargestellt, als er eigentlich wäre.

Oder, wie Jannick es sagte: „Bei euch in Deutschland geht es darum, schön auszusehen. Bei uns in Dänemark schlagen sie sich gegenseitig kaputt“. Dadurch versteht man auch, warum dänische Spieler sich bei anderen Nationalitäten zurückhalten. Sollten sie jedoch andere Dänen sehen, wird sämtliche Zurückhaltung über Bord geworfen und man könnte meinen, dass man wirklich in einer Schlacht wie beim Herrn der Ringe steht.

Eben diese, doch recht entschlossene Art des Kämpfens, hat unter anderem bei mir dazu geführt, meinen Einstieg ins LARP kurzzeitig zu überdenken.

Es begann alles im Frühjahr 2013. Ich war mitten in der Pubertät und begeisterter Konsument eben solcher Fantasyfilme wie Herr der Ringe und treuer Fan der „Assassin’s Creed“-Videospielreihe. Man könnte sogar so weit gehen und mich als Nerd bezeichnen. In diesem besagten Sommer stand ich an einem Samstagvormittag beim Sport und unterhielt mich mit einem Bekannten, Marc. Er war schon sehr aktiv in der Szene und erzählte wieder einmal von seinen fantastischen Erlebnissen bei diesem LARP. Eine Veranstaltung, die ich damals noch nicht ganz zuordnen konnte.

Ich verbrachte eine verlängerte Pause damit, ihm zuzuhören und alles über dieses Hobby aufzusaugen. Von der Geschichte über seinen Charakter, die Handlung, auch Plot genannt, bis hin zu lustigen Begebenheiten, die ihn so zum Lachen brachten, dass er mehrfach pausieren musste. All das hatte einen großen Eindruck auf mich gemacht, so groß, dass ich mich mit der Thematik ernsthaft auseinanderzusetzen begann. Die Möglichkeit, all das Erlebte aus den Videospielen selbst nachzuspielen und zu erleben, reizte mich. Nach längerem Hin und Her war ich fest entschlossen, mir dieses Spektakel doch einmal anzuschauen, lieh mir von meinem Bekannten ein Outfit und begleitete ihn auf eine Convention.

Im Nachhinein war es eventuell keine gute Idee mit einer sogenannten Großconvention zu beginnen, keiner geringerem als tatsächlich dem größten Liverollenspiel der Welt, dem Conquest of Mythodea. Die Kampagne des Spiels ging ihrem Ende entgegen, weshalb tausende Menschen aus ganz Europa dort waren. Diese enorme Größe und Reichweite wurden mir erst dieses Jahr wieder bestätigt. In der Conquest-Facebookgruppe gibt es neben Teilnehmern aus Polen, Italien und Spanien auch Anfragen, wie man denn am besten aus Kanada, Australien oder sogar Taiwan anreisen könne. Bei dieser ersten Convention strömten die unterschiedlichsten Eindrücke auf mich ein, welche ich natürlich versuchte, alle mitzunehmen. Von Großgruppen von mehr als 30 Personen, die dort ihren Jahresurlaub verbrachten, bis hin zu Einzelspielern, welche im Rahmen ihres Charakters ganze Blumen und Kräuterbeete um ihre Zelte anlegten. So interessant es war, über all diese Menschen etwas herauszufinden, so schwer war es auch, klar sagen zu können, was genau gerade eigentlich passiert. Diese totale Reizüberflutung und absolute Unwissenheit darüber, wie man sich dort verhält, sorgten dafür, dass ich in einem kleinen Probekampf eine der gepolsterten Schaumstoffwaffen unglücklich seitlich gegen das Knie bekam. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich selten solche Schmerzen gespürt und hatte kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt, diesem Hobby gleich wieder den Rücken zu kehren.

Dass dies nicht der Fall war, ist einem der großen Vorteile des LARPs zu verdanken, welche sich über die letzten Jahre und in Gesprächen mit dort gemachten Freunden immer wieder bestätigt hat. LARP ist ein dermaßen offenes Spiel mit einer ebenfalls sehr offenen und hilfsbereiten Community. Findet man etwa keinen Anschluss oder passt der anfängliche Spieltyp doch nicht, kann man sehr schnell alternative Spieltypen finden und bekommt dementsprechend helfende Hände gereicht. Das sorgt dafür, dass man fast gar nicht anders kann, als irgendwie in dieses Spiel eingebunden zu werden. Entweder spielt man eine Rolle, die der eigenen Art sehr ähnlich ist oder man nimmt den bereits erwähnten „Urlaub von sich selbst“ und spielt eine Person, mit welcher im realen Leben wenig bis gar keine Berührungspunkte bestehen.

Diese immens immersive Wirkung des Spiels sorgte dafür, dass der sogenannte „Auswurfschock“ nach dem ersten Conquest besonders hart war. Der Auswurfschock ist ein Begriff, von welchem ich zuerst von Alexander Jaensch, Autor des Magazins „Teilzeithelden“, hörte. Er beschreibt den Zustand, wenn man nach dem LARP-Event wieder in den schlichten, tristen Alltag geworfen wird und das Flowgefühl des Spieles endet. Irgendetwas fehlt, der entspannte Spielrhythmus ist weg und nur die Gewissheit bleibt, dass erst wieder 359 Tage vergehen müssen, bis er wieder eintritt. Ein sehr ekliges Gefühl.

Eben jener Auswurfschock traf mich mit voller Härte und sorgte dafür, dass ich von diesem Hobby komplett vereinnahmt wurde. Bald war nicht mehr das Conquest an sich die spannende Zeit, sondern die Vorbereitung darauf, das Bauen von Kleidung, das Überarbeiten des Charakters, das Trainieren, um etwaige weitere Knietreffer zu vermeiden. In den folgenden Jahren also baute ich meinen Charakter immer weiter aus, erschloss den Begriff LARP für mich selbst immer weiter, wobei die Definition von Alexander Jaensch doch vielleicht die genauste ist, die ich kenne.

LARP ist kein eigenständiges Hobby, wie etwa Fußball oder Tennis. Es ist eine Vermischung vieler einzelner Interessen, welche sich alle an bestimmten Punkten überlagern. Verkleidet man sich gerne, kämpft man gerne oder will man einfach nur schauspielern. Beim LARP kein Problem. All diese Vorlieben kommen zusammen und ergänzen sich wunderbar.

Eines der besten Dinge, die mir passierten? In meinem ersten Jahr schaffte ich es, einen Hobbit zu sehen und mich mit ihm anzufreunden. Es ist eine Freundschaft, die ich im Spiel wie auch im realen Leben sehr schätze und darauf bedacht bin, sie in den nächsten Jahren weiterhin bestens zu pflegen. Ebenso wie die Freundschaft mit Jannick. Wir lernten uns vor zwei Jahren kennen, drei Jahre nachdem mein Charakter unvorsichtig wurde. Er traute sich nachts mit ein paar Freunden unbewaffnet vor das Lager und wurde von einer feindlichen Patrouille überrascht. Nach einer halben Stunde war er „ausgeblutet“. Die Figur starb und konnte nicht mehr bespielt werden. Doch der Tod ist beim LARP nicht zwangsläufig das Ende, sondern öffnete mir die Tür zu dem Charakter und der Rolle, die ich seitdem spiele und in welcher ich mich sehr wohl fühle.

Als untoter Bogenschütze streife ich nun vier Tage im Jahr über das größte Liverollenspiel der Welt und treffe dort allerhand alte und neue Freunde. Es ist immer fantastisch!

Gemafreie Musik im Video von www.evermusic.de.

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