Im Grundgesetz verankert, wird sie aktuell auf Demonstrationen mit Füßen getreten – die Pressefreiheit. Das Gesetz soll PressevertreterInnen die uneingeschränkte Ausübung ihrer Tätigkeit garantieren. Doch Medienschaffenden schlägt auf Demonstrationen zunehmend ein eisiger Wind entgegen. Dabei bleibt es nicht mehr nur bei verbalen Beschimpfungen und Pöbeleien. Kameraleute, ReporterInnen und FotografInnen werden geschlagen, getreten, bespuckt oder gestoßen. Vereinzelt sogar mit Gegenständen und Waffen attackiert. Kameras und Mikrophone werden aus der Hand geschlagen. ReporterInnen stehen mit Sicherheitswesten und Helmen vor der Kamera. Andere JournalistInneen bleiben Demonstrationen aus Sicherheitsgründen gänzlich fern. Wird das der Pressefreiheit noch gerecht?
Polizei – dein Freund und Helfer?
Konflikte gibt es nicht nur zwischen DemonstrantInnen und PressevertreterInnen, sondern auch mit der Polizei. Nicht selten fühlen sich PressevertreterInnen von Polizeikräften als „Störer“ wahrgenommen. JournalistInnen werden vom Ort des Geschehens weggeschickt, wenn sich die Lage zuspitzt. Ebenso werden Polizisten selbst zu Pressefeinden, wie der Vorfall von Jannis Große im Hambacher Forst zeigt. „Sie nahmen mir die Kamera ab und beschlagnahmten meine Bilder, obwohl ich mich als Vertreter der Presse zu erkennen gab und einen Presseausweis zeigte“, erzählt Jannis Große, freier Foto-Journalist und Ostfalia-Student. Während einer Räumungsmaßnahme am Tagebau des Hambacher Forst Ende Oktober, setzt die Polizei Journalist Große und UmweltaktivistInnen fest. Er verbleibt über mehrere Stunden in Gewahrsam. Die Polizei bezichtigt ihn des „Hausfriedensbruchs“, da er und UmweltaktivistInnen unerlaubt in den Tagebau eingebrochen sein. Die beschlagnahmte Kamera diene der Beweissammlung für begangene Straftaten, sagt eine Sprecherin der Polizei Aachen. „Es ist nicht zu rechtfertigen, dass die Polizei einen Kollegen, der, wie die Einsatzkräfte auch, seine Arbeit macht, über viele Stunden festhält und ihm seine Arbeitsmittel abnimmt“, erklärt Christof Büttner, Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalisten-Union. „Es ist Aufgabe der Polizei, das Grundrecht auf Presse- und Informationsfreiheit durchzusetzen, nicht, es zu behindern“, sagt Büttner und fordert die Rückgabe der Kamera und Speichermedien.
Immer häufiger werden PressevertreterInnen bei der Berichterstattung von Demonstranten und Polizei gehindert. Vor allem der Fall des ZDF-Kamerateams um Journalist Arndt Ginzel am Rande einer Pegida-Demonstration in Dresden, ist medial debattiert worden. Ein Pegida-Anhänger hat das Filmen seiner Person als Straftat bezeichnet und Polizei zum Eingreifen aufgefordert. In der öffentlichen Debatte sind unter anderem die Rechte der JournalistInnen bezüglich des Filmens auf Demonstrationen debattiert worden. Welche rechtlichen Rahmenbedingungen hat das Filmen auf Demonstrationen? Campus38 befragt dazu Reimar Schmidt, Lehrkraft für Medienrecht im persönlichen Gespräch.
Es pöbelt der Neonazi, es schlägt der Opa
22 Angriffe auf Medienschaffende hat das Europäische Zentrum für Medien-und Pressefreiheit(ECPMF) bis Mitte September 2018 gezählt. 2017 waren es noch lediglich fünf Übergriffe. Der Gewaltpegel gegen JournalistInnen ist so hoch wie seit 2015 nicht mehr. Demonstrierende zeigen ihren Hass gegenüber PressevertreterInnen immer offener.
„Derart massive Übergriffe auf Journalisten hat es meines Erachtens am Rande von Demonstrationen noch nicht gegeben.“ – Ine Dippmann, Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands in Sachsen
Skinheads, Rechtextreme, Neonazis – häufig kommen die Täter der Übergriffe aus dieser Gruppe. Laut ECPMF sind die Übergriffe auf PressevertreterInnen in den Jahren 2017 und 2018 in 25 von 27 Fällen von TeilnehmerInnen rechter Versammlungen ausgegangen. Doch Gefahrenzonen sind längst nicht mehr nur Aufmärsche erkennbar extremistischer Organisationen. Zunehmend sind auch Demos der Alternative für Deutschland (AfD) und Pegida, die eine gemischte Anhängerschaft etwa gegen Flüchtlinge mobilisieren, eine Gefahr für JournalistInnen.
Seit den vermehrten gemeinsamen Kundgebungen von AfD und Pegidagibt es eine weitere Tätergruppe: die sogenannten „besorgten“ Bürger. Menschen aus dem bürgerlichen Milieu, die nicht der rechtextremen Szene zu zuordnen sind. „Früher hatte man das Gefühl, dass Leute noch dazwischen gegangen sind. Doch jetzt stehen genau diese Leute daneben und klatschen, wenn Medienleute tätlich angegriffen werden“, berichtet Reporter Johannes Filous. Sie zeigen offen die Bereitschaft, Gewalt gegenüber JournalistInnen zu tolerieren und zu legitimieren. Hinsichtlich ihres Aggressionspotentials seien diese kaum von Tätern der rechten Szene zu unterscheiden, so das ECPMF.
„In Chemnitz stand ein szenebekannter Neonazi vor mir, sodass ich mir der Gefährdung seinerseits zwar bewusst war. Wer mich aber letztendlich angegriffen hat, war ein älterer Herr mit zwei Krücken, der danebenstand.“ – Johannes Filous, Reporter des Twitter-Projekts „Straßengezwitscher“ am 1. September in Chemnitz
In Sachsen sind 2018 am meisten JournalistInnen angegriffen worden. Das ECPMF registriert bisher 13 Angriffe auf Medienschaffende, neun allein am 1. September bei den Demonstrationen in Chemnitz. Diese Tatsache wirkt sich nicht nur auf die Arbeit von sächsischen PressevertreterInnen auf Demonstrationen aus. Auch im Privatleben der JournalistInnen sind die Auswirkungen spürbar. „Heute müssen Sie als Journalist in Dresden, der über Pegida berichtet, damit rechnen von einer lieben Oma in der Straßenbahn angegriffen zu werden“, sagt Tobias Wolf, Reporter der Sächsischen Zeitung, der regelmäßig über die fremdenfeindliche „Pegida-Bewegung“ berichtet.
Gefährdung der Pressefreiheit
„Es kann nicht sein, dass Journalisten in Deutschland Angst um ihre körperliche Unversehrtheit haben müssen, nur weil sie von öffentlichen Großereignissen berichten“- Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen
„Die ein oder andere Redaktion hat sich in der Vergangenheit dazu entschlossen, ihre Reporter mit Sicherheitspersonal auszustatten, damit sie jemanden im Rücken haben, der gefährliche Angriffe abwehren kann“, sagt Ine Dippmann. Laut ECPMF seien vor allem Medienschaffende mit Kameras von Übergriffen betroffen, da diese leichter zu identifizieren sind. Häufig fühlen sich Versammlungsteilnehmer von Kameras und JournalistInnen provoziert. Um sich vor Wurfgeschossen und Gewalt zu schützen tragen JournalistInnen auf Demonstrationen zunehmend Helme und Schutzwesten. Solche Sicherheitsmaßnahmen kennt man sonst nur aus Krisengebieten.
Angesichts der Übergriffe fordert der Aufsichtsrat der Deutschen Presse Agentur (dpa) einen besseren Schutz von JournalistInnen bei Demonstrationen. Der Rat „fordert die Einhaltung der gesetzlich geschützten Pressefreiheit und Unversehrtheit der Berichterstatter“, heißt es in einer Pressemitteilung.
„Das ist ganz klar eine Einschränkung der Berichterstattung“, sagt Henrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verband. Es gäbe bereits erste Medien, die ihre JournalistInnen nicht mehr zu Demonstrationen schicken oder ihnen Begleitschutz zur Verfügung stellen müssen, so Zörner. Die Gefahr, dass durch die Gewalt gegen JournalistInnen die Pressefreiheit gefährdet wird, sei „bereits ganz real“, ist Henrik Zörner überzeugt. Die Buzzfeed-Reporterin Pascale Müller will auch weiterhin auf Personenschutz verzichten. Sie meint: „Wenn ein Polizist daneben steht, passieren manche Sachen einfach nicht.“ Mit vier Reihen Sicherheitsabstand zu den DemonstrantInnen, könne man nicht mehr richtig dokumentieren, so Müller weiter.
Die Medien- und Pressefreiheit und ihre ungehinderte Ausübung sind unverzichtbare und vom Grundgesetz geschützte Grundlagen der demokratischen Gesellschaft. JournalistInnen wollen authentisch und wahrhaftig so nah wie möglich vom Ort der Geschehnisse berichten. JournalistInnen inmitten einer rechten Demonstration können die Polizei kaum schützen. JournalistInnen im Sicherheitsabstand sehen jedoch nicht, was passiert. Ohne die Arbeit der Medien ist ein politischer Diskurs nicht möglich.
Jeder Mensch hat Angst, wenn er umringt ist von Menschen, die einen offen hassen. Das ist es, was tatsächlich besorgte Bürger umtreiben sollte: Wenn JournalistInnen in deutschen Großstädten Helme und Leibwächter brauchen, um zu berichten.