Ein Treffen mit Freunden in der Bar nebenan. Die Stimmung ist gelöst, man trinkt Bier und unterhält sich über die neuesten Ereignisse. Gerade erzählt jemand etwas über das Konzert, was er vor einigen Tagen besucht hat. Zwei seiner Freunde schauen ihn dabei an und hören zu, drei weitere sitzen zwar am Tisch, sind aber mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Sie gucken auf ihr Smartphone.
Diese Situation hat vermutlich fast jede/r schon einmal erlebt, denn in Deutschland benutzen immer mehr Menschen Smartphones. Im August 2017 waren es nach einer Studie von Bitkom rund 81 Prozent ab 14 Jahren. Dass das Smartphone in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und vollkommen zur Normalität geworden ist, zeigt auch das Ergebnis einer Studie vom Statistischen Bundesamt des ersten Quartals 2016, demnach der Großteil aller Internetaufrufe über mobile Geräte getätigt wurde. 2017 nutzten rund 54 Millionen Menschen in Deutschland ein Smartphone und laut einer Statista-Umfrage verbrachten 28 Prozent damit mehr als eine Stunde am Tag.
Viele schauen auf ihr Handy, wenn sie gerade in der echten Welt Menschen gegenübersitzen. Das erweckt den Eindruck, die Beschäftigung mit einer Person allein reicht nicht aus. Man möchte auf dem neuesten Stand der Dinge sein und immer mitreden können. Dieses Phänomen hat auch einen Namen: Fear of missing out, kurz FOMO.
Dr. Lisa Aelker, Dozentin an der Hochschule Fresenius Köln, erklärt die verschiedenen Abstufungen: „Erstens, die Angst, wichtige Informationen zu verpassen. Zweitens, die Angst, gute Erfahrungen zu verpassen. Und drittens, die Angst, nicht dazu zu gehören beziehungsweise dabei zu sein.“ Innerhalb ihrer Forschung zu diesem Phänomen zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Social-Media-Nutzung und FOMO. „Das heißt, je stärker FOMO bei den einzelnen Usern ausgeprägt ist, desto länger nutzen sie Soziale Medien am Tag.“
Erreichbarkeit als höchstes Gut
Smartphone-NutzerInnen möchten jederzeit für jeden erreichbar sein und fühlen sich dadurch gezwungen, regelmäßig zu überprüfen, ob nicht vielleicht doch jemand eine Nachricht geschickt oder einen Anruf getätigt hat. Das führt dazu, dass manche Menschen minütlich auf ihr Handy schauen beziehungsweise Seiten und Feeds aktualisieren, obwohl sie nichts Dringendes erwarten. Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben rund 40 Prozent der Befragten im Alter von 18 bis 24 Jahren an, dass sie mehr als 50 Mal pro Tag auf ihr Smartphone schauen. Der Psychologe und Soziologe Peter Vorderer beschreibt diese Erwartung an Erreichbarkeit in einem Essay von 2015 als „permanently online, permanently connected“, also permanent online und permanent verbunden.
Das Fatale bei dem ständigen Wechsel zwischen realer und digitaler Welt: Man kann mehrere Dinge gleichzeitig tun, aber man kann sich nicht auf mehrere Sachen voll konzentrieren. Das heißt, dass wir zwar gleichzeitig ein Gespräch führen und Nachrichten auf dem Handy lesen können, aber nicht zu 100 Prozent alles von der einen und anderen Aktivität mitbekommen. Tatsächlich springt die Aufmerksamkeit zwischen beiden Tätigkeiten blitzschnell hin und her. Wenn man also einen Freund oder eine Freundin trifft und sich gleichzeitig die ganze Zeit mit dem Smartphone beschäftigt, widmet man sich nicht mit der vollen Aufmerksamkeit der anderen Person. Was in vielen Situationen dann dazu führt, dass die teilweise ignorierte Person auch ihr Smartphone zückt, sodass sich schließlich zwei Menschen schweigend und mit gesenktem Kopf gegenübersitzen. Man kommuniziert mit allen anderen, aber nicht mit der Person, die in diesem Moment physisch anwesend ist. Das zeigt auch eine Studie der Partnerbörse Parship: „Mehr als jedes vierte Paar (27 Prozent) gibt zu, sich in der Beziehung weniger zu unterhalten, weil beide zu viel aufs Smartphone schauen.“
Neue Werte braucht das Land
Viele Menschen empfinden gerade dieses Verhalten als unhöflich und ärgern sich darüber. Trotzdem passiert es immer wieder, unabhängig davon, ob eine Unterhaltung gerade anregend oder langweilig ist. Dies zeigt, dass durch die Verbreitung von Smartphones neue Werte und soziale Regeln im Umgang miteinander entstehen. Was gesellschaftlich akzeptiert oder unhöflich ist, bekommt so eine neue Bedeutung. Das hier Unsicherheiten entstehen, wird durch verschiedene Veröffentlichungen deutlich, die sich mit dieser Frage auseinandersetzen.
Im März erschien beispielsweise das Buch „Auf dem Parkett” von Enrico Brissa, das als ein Benimm-Handbuch der aktuellen Zeit fungiert. Ebenso wie der „Business-Knigge“, der Tipps für Umgangsformen mit dem Smartphone im Arbeitsleben auflistet. Das Magazin „t3n“ für digitales Business und Zukunftstechnologien fasst in seinem Artikel „Elf Etikette-Regeln für den Umgang mit Smartphone, Internet und sozialen Netzwerken“ aus Beiträgen des Forums Reddit zusammen. Darunter sind Gebote wie „Wenn dir jemand sein Smartphone, Tablet oder seinen Laptop gibt, um ein Foto anzugucken, swipe nicht weiter, wenn es dir nicht ausdrücklich erlaubt wurde“ oder „Starr nicht auf das Display von anderen“. Wie bei anderen gesellschaftlichen Normen gibt es auch hierfür kein festes Regelwerk, an das sich alle verbindlich halten.
Je nach Gesellschaft und Erziehung ist sozial erwünschtes Verhalten im Umgang mit Smartphones unterschiedlich. So haben ältere Menschen wahrscheinlich andere Regeln als Jugendliche in unserer Zeit. Um sich dieser neuen Werte klar zu werden, ist es hilfreich, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und mit seinen FreundInnen oder der Familie darüber zu reden – vielleicht ganz ohne Smartphone.
Digitale und reale Welt in friedlicher Koexistenz
Bedeutet das für die Zukunft, dass wir uns immer weniger im realen Leben treffen und irgendwann nur noch virtuelles Beisammensein kennen? Wahrscheinlich nicht, denn das Gefühl des tatsächlichen Zusammenseins mit Freunden und Familie, ist durch Likes und Shares nicht zu ersetzen. Antje Flades zieht in ihrem Buch „Third Places – reale Inseln in der virtuellen Welt; Ausflüge in die Cyberpsychologie“ ein ähnliches Fazit: „Kinder sind auf Spielplätzen anzutreffen und keinesfalls vollkommen verhäuslicht und ständig mit Computerspielen befasst. Der Besucherandrang bei Ereignissen wie Pop-Konzerten und Fußballspielen, die man problemlos auch medial vermittelt am Bildschirm erleben könnte, zeigt ebenfalls, dass man das Geschehen live erleben möchte.“
Soziale Beziehungen sind ein wesentlicher Bestandteil für ein glückliches Leben und können nicht ausschließlich digital geführt werden. Prof. Dr. Johannes Fromme, Experte für erziehungswissenschaftliche Medienforschung und Medienbildung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg kommt zu dem Schluss, „dass die ‚Face-to-Face-Kommunikation‘ mit dem Freundes- und Bekanntenkreis durch digitale Kommunikationsformen nicht ersetzt, sondern fortgeführt, ergänzt und zum Teil sogar vertieft werden kann.“ Über diverse Apps kann man neue Kontakte knüpfen, das wirkliche Kennenlernen findet offline statt. Gemeinsame Erlebnisse schweißen Menschen enger zusammen, lassen sich aber nur schwer über mobile Endgeräte erfahren. Dazu zählen auch Mimik, Gestik und generell Körperlichkeit, die man bei einem Zusammensein wahrnimmt und die in digitalen Unterhaltungen fehlen. Auch spontane Gespräche und Begegnungen passieren entweder nicht oder anders digital. Andererseits können gemeinsame Chats, Selfies oder geteilte Videos zur Stärkung und zum Erhalt einer Freundschaft beitragen.
Das Smartphone als Wurzel allen Übels?
Das Smartphone bringt enorme Möglich- und Annehmlichkeiten mit sich und kann Freundschaften erleichtern oder erhalten. Im Gegenzug kann eine übermäßige Nutzung zu Vereinsamung und Sucht führen, wenn man sich mit nichts anderem mehr beschäftigt und sich von seiner Außenwelt abschottet. Wie in vielen Dingen ist hier ein gesundes Maß an digitalem und realem Umgang von Nöten. Das elektronische Gerät von Zeit zu Zeit einmal beiseite zu legen, um sich mit seiner vollen Aufmerksamkeit einem Freund oder einer Aufgabe zu widmen, ist bestimmt keine schlechte Idee. Während einer Busfahrt das Handy nicht rauszuholen und wahrzunehmen, was eigentlich um einen herum passiert, ebenso.
Dabei kann man feststellen, dass sich die Welt weiterdreht, und die Angst etwas zu verpassen eigentlich unbegründet ist. Besonders Mutige machen einen ganzen Urlaub ohne Smart Device und Dauerbeschallung. All das kann auch Teil einer neu erlebten Entspannung sein. Trotzdem sind die Vorteile und Annehmlichkeiten, die unsere digitalisierte Welt bietet, nicht zu verteufeln. Eine persönliche Kommunikation unter Freunden wird es immer geben. Am nächsten Abend sitzt man in der Bar zusammen, trinkt ein Biern und schaut sich gemeinsam die Bilder vom letzten Konzert auf dem Smartphone an.