Ein Tag vor dem Experiment. Das Gefühl, sein Handy für eine gewisse Zeit beiseite zu legen, fühlt sich merkwürdig an. Die Reaktionen meiner Familie und Freunde auf meinen Selbstversuch sind – wie erwartet – von allen gleich. „Du ohne Handy?“ oder „Dir ist das Handy doch schon angewachsen“ sind nur einige Reaktionen, die ich bereits erhalten habe. Ich habe ein mulmiges Gefühl. Wie schwer wird es mir fallen, zehn Tage ohne das Gerät, welches mir in keiner Sekunde von der Seite weicht, auszukommen? Schließlich begleitet mich das Smartphone bereits seit acht Jahren durchs Leben.
Der große Hype um die Technologie des Smartphones begann im Jahr 2007, als Apple das erste iPhone vorstellte. In den letzten zehn Jahren hat sich viel verändert und mittlerweile ist für den Großteil der deutschen Bevölkerung ein Leben ohne Smartphone kaum mehr vorstellbar. 76 Prozent der Bevölkerung besitzen ein internetfähiges Handy. Im Jahr 2012 waren es gerade einmal 36 Prozent. Ob wir Fotos und Videos mit Freunden teilen, Hunde-Selfies über Snapchat versenden oder doch eine unserer 20 WhatsApp-Gruppen unterhalten wollen – es gibt immer genug Gründe, warum das Smartphone uns in keiner Sekunde von der Seite weicht und stets ein treuer Begleiter ist. Gedanken wie „Reicht der Akku noch für den Tag oder sollte ich lieber nochmal laden“ oder „Nur noch 200 MB für den Rest des Monats – könnte knapp werden“ kennt wohl jeder aus unserer Generation.
Das Smartphone raubt wertvolle Zeit
Das Smartphone ist in Deutschland das meistgenutzte Gerät für den Internetzugang. Knapp zwei Drittel der Bevölkerung gehen über ihr Handy ins Netz – bei den 14- bis 29-Jährigen tut dies nahezu jeder. Eine Studie der britischen Marketing-Agentur „Tecmark“ belegt, dass der durchschnittliche Smartphone-Nutzer 214 Mal pro Tag auf sein Handy schaut. Täglich surft der Nutzer im Durchschnitt drei Stunden und sechzehn Minuten mit seinem Smartphone im Netz. Das bedeutet, dass wir in einer Woche knapp 22 Stunden, sprich fast einen kompletten Tag, ausschließlich mit unserem Smartphone beschäftigt sind.
Freitagmorgen, sieben Uhr. Die Vögel zwitschern. Die Sonne scheint. Normalerweise greife ich direkt nach dem Erwachen zu meinem Handy, um unter anderem die Uhrzeit, WhatsApp und Snapchat zu checken. Da ich keinen Wecker besitze, gab ich meiner Schwester einen Abend zuvor Bescheid, mich am frühen Morgen zu wecken. Mit diesem Problem stünde ich wohl nicht alleine, denn in Deutschland ersetzt jeder Dritte den Wecker durch sein Smartphone. Ein Wecker war bei mir nicht erforderlich, da ich gegen circa sieben Uhr von alleine aufgewacht bin. Da ich den Abend zuvor nicht noch Stunden in den sozialen Netzwerken surfen konnte, ging ich am Tag zuvor früh schlafen.
Der versenkte Blick auf das Handy
Samstagmittag, die Stadt und die Straßen sind voll mit Autos und Menschen. Jedoch lässt mich das Gefühl nicht los, dass jede Person in ihrer eigenen Welt lebt und ihre Umgebung und Mitmenschen nicht bewusst wahrnimmt. Auch heute scheint die Sonne. Offene Cabrios füllen die Straßen. Die Bäume lassen mit ihrer Blütenpracht das Herz aufgehen und Frühlingsgefühle dabei erwachen. Viele kleine Momente und Augenblicke, die Glücksgefühle in mir auslösen. Die Menschen leben am realen Leben vorbei. Der Spaziergang durch die Innenstadt, die Atmosphäre und der Geruch im gut besuchtem Restaurant oder die sympathische Ausstrahlung des Kellners – es sind die kleinen Augenblicke, die wir durch unsere Handys nicht mehr intensiv wahrnehmen und schätzen. Wir müssen lernen, den Moment wieder leben und genießen zu können.
Wir posten Fotos auf Instagram und Facebook, versenden bei Snapchat Fotos von unserem Essen, oder schicken an etliche WhatsApp-Kontakte tolle Urlaubsbilder. Das Bedürfnis, sich und sein Leben mitzuteilen, gewinnt immer mehr an Aufmerksamkeit.
Samstagnachmittag. Der vorletzte Tag in meinem Selbstversuch. Es ist Derby-Zeit in Niedersachsen. Mein Vater hatte mich wenige Tage zuvor gefragt, ob ich Karten für das Derby Hannover 96 gegen Eintracht Braunschweig bekommen möchte. Als großer Fußballfan stimmte ich mit voller Begeisterung zu. Die Vorfreude stockte für kurze Zeit. Schließlich konnte ich meine Begeisterung nicht über soziale Netzwerke wie WhatsApp mit Freunden teilen.
Konkurrenzkampf durch soziale Medien
Die hitzige Stimmung in der Stadt ist zu spüren. Rot von Blau-Gelb klar getrennt. Polizei auf den Straßen mehr vertreten als Fans. Die HDI-Arena in Hannover ist bis auf den letzten Platz ausverkauft. Die Stimmung im Stadion ist gigantisch. Gerne würde ich die Choreographie und die Stimmung im Stadion mit der Handykamera festhalten und das ein oder andere Foto an meine Freunde schicken. Ich muss mir eingestehen – mein Mitteilungsbedürfnis ist klar erkennbar.
Auf der anderen Seite stelle ich fest, dass es auch sehr angenehm sein kann, nicht über soziale Netzwerke wie Snapchat und Instagram sehen zu müssen, was andere in ihrer Freizeit so treiben.
Gedanken wie „Oh wie gerne wäre ich jetzt auch im Urlaub“ verschwinden komplett aus meinen Gedanken und somit auch aus dem Alltag. Das Sprichwort „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ trifft die Beziehung zu den sozialen Medien gut. Sobald ich Abstand zu den Netzwerken bekomme, verliere ich jegliches Interesse daran, wissen zu wollen, was die Welt so treibt.
Ein Vergleich mit anderen Menschen kann echt deprimierend sein, denn schließlich versucht jeder auf irgendeine Art und Weise sein „perfektes Leben“ über Social Media mitzuteilen. Man hat das Gefühl, die Kontrolle nicht nur über sein eigenes Leben haben zu müssen, sondern auch über viele andere. Besonders Frauen kennen die Situation, wenn man beispielweise seinen Schwarm stalkt, Dinge sieht, die einen verletzen und trotzdem jedes Mal aufs Neue wieder auf seine Seite stößt. Wir ziehen uns freiwillig unbewussten Schmerz zu, der sich eigentlich einfach vermeiden ließe. Auch ein Stück Lebensfreude kann uns durch soziale Medien genommen werden, da wir uns ständig im Vergleich zu anderen sehen und unsere Schwächen mit den Stärken anderer vergleichen. In der handyfreien Zeit konzentriere ich mich zu 100 Prozent auf mein Leben.
Aus zehn werden drei Freunde
Ein weiterer Tag in meinem Selbstversuch. Ein Treffen ohne Handy zu vereinbaren nimmt viel Zeit in Anspruch. Laptop einschalten. Mails schreiben, um nach einem Treffen mit Freunden zu fragen. Warten auf eine Antwort. Es kann eine Stunde dauern, aber auch fünf Stunden. Denn schließlich überprüfen nicht alle stündlich ihren Mail-Account. Auch wenn ich versucht habe, meine Tage frühzeitig zu planen, indem ich einige Tage vorher die Treffen mit Freunden vereinbarte, verursachte ein Tag später der Selbstversuch bei mir schlechte Laune.
Es ist Freitagabend. Die Absage für das heutige Treffen mit einer Freundin trifft in meinen Posteingang ein. Ganz plötzlich stand ich da – ohne Abendpläne und das am Wochenende. Frustration, Gereiztheit und Wut sind nur einige Gefühle von denen, die in mir brodeln. Normalerweise würde ich in solchen Situationen Freunde über WhatsApp kontaktieren, um nach Alternativen zu fragen. Ohne Handy kann ich auf diese Option nicht zurückgreifen. Da meine Laune ihren Tiefpunkt erreicht hat und es bereits 20 Uhr ist, werde ich den Abend wohl alleine verbringen müssen. Ein Moment, in dem ich mein Handy wirklich vermisse.
Spontanität und Flexibilität existieren so gut wie gar nicht mehr, wenn man ohne Smartphone durchs Leben geht. Mit Freunden klären, was spontan am Abend noch geht oder ob man den Treffpunkt um eine Stunde verlegen kann, weil man die Bahn verpasst hat, ist ohne Handy einfach nicht möglich. Ebenso viele Kontakte zu pflegen, wäre ohne das Internet und die sozialen Netzwerke nicht vorstellbar. Über WhatsApp mit einem Freund schreiben, um nachzufragen, wie ihm das gestrige Champions League-Spiel gefallen hat, macht man eher, als über Festnetz bei ihm anzurufen. Ohne diese Möglichkeiten, die einem das Smartphone bietet, würde ich mich auf zwei bis vier enge Kontakte beschränken, da über Festnetz telefonieren und Mails schreiben auf Dauer mehr von einem fordert, als kurz und knapp über WhatsApp zu schreiben.
Des Weiteren ersetzt das Smartphone so viele Dinge, die einem erst bei einem Verzicht bewusstwerden. Die Uhr, der Wecker, Google Maps oder der Kalender sind nur einige Beispiele von vielen, die durch das Handy ersetzt werden.
Das Experiment ist zu Ende. Voller Aufregung und auch mit ein wenig Vorfreude schalte ich mein Smartphone nach zehn Tagen Abstinenz wieder ein. 413 WhatsApp-Nachrichten, acht Abonennntenanfragen bei Instagram, 17 Benachrichtigungen auf Facebook und 87 Snaps erreichen mich am frühen Morgen. Gefühle von leichter Überforderung, aber auch Erleichterung überkommen mich. Nachdem ich einen groben Überblick über die verpassten Nachrichten erhalten habe, durfte ich schnell feststellen, dass die Wichtigkeit der meisten Nachrichten enorm gering ist und ich auf 95 Prozent der erhaltenen Nachrichten auch gut verzichten hätte können. Diese Feststellung zeigt mir, dass ich die Zeit, die ich normalerweise mit meinem Handy verbringe, für viele unnötige Sachen vergeude.
Wenn ich auf die letzten zehn Tage zurückblicke, würde ich zusammenfassend festhalten, dass ein Leben ohne Smartphone zwar noch möglich ist, man dadurch allerdings in vielen Punkten eingeschränkt ist. Das Smartphone kann in vielen Situationen das Leben erleichtern, sodass es einen kompletten Verzicht kaum zulässt. Vielmehr jedoch sollte ein bewusster Umgang mit dem Smartphone gelernt werden. Das Handy sollte öfters ausgeschaltet werden, oder erst gar nicht mit aus dem Haus genommen werden, da die Verlockung, es alle zehn Minuten zu checken, bei jedem wohl zu groß wäre. Auf ein Leben ohne soziale Medien lässt sich wiederrum sehr gut verzichten. Schließlich rauben uns Apps wie Facebook und Instagram wertvolle Zeit und Energie. Anstatt dem Handy täglich mehr als drei Stunden Aufmerksamkeit zu schenken, sollten wir die Zeit lieber sinnvoll nutzen. Ich werde jedenfalls in Zukunft darauf achten, dass nicht zu viel Zeit mit dem Handy verbracht und der Fokus bewusster auf andere Dinge gelegt wird.