Seien wir ehrlich. Du liest dir diesen Text wahrscheinlich gerade durch, um eine andere Aufgabe zu vermeiden. Du prokrastinierst, um mit dem Prokrastinieren aufzuhören. Die Uhr tickt, also warum kannst du scheinbar einfach nicht damit aufhören? Es ist den meisten Menschen nur allzu vertraut: Wie oft erklären wir, morgen mit unserer Diät zu beginnen, endlich mit dem Lernen anzufangen oder sich nun wirklich an das Schreiben der Hausarbeit zu setzen. Man zögert und schiebt alles hinaus, nur um Gelegenheitsarbeiten im ganzen Haus zu erledigen oder nur noch die eine Episode der Lieblingsserie zu schauen. Plötzlich scheint einfach alles interessanter zu sein. Gerade in Zeiten des Internets ist es so leicht, sich abzulenken, weil alles sofort verfügbar ist. Im Studium muss man viele Arbeiten am PC erledigen. Und wo eine Netzverbindung ist, da sind für willensschwache Studierende auch Facebook, Instagram und Bilder von Babykatzen nicht weit.
Aber was ist der Grund für unser ständiges Aufschiebeverhalten? Genaue psychologische Ursachen werden noch immer diskutiert. Jedoch gibt es mehrere Gründe, warum Menschen aufschieben: Laut einer Studie der Uni Münster kann es an Versagensängsten und Perfektionismus, desorganisiertem Denken und Vergessen oder einer Depression liegen. Aus ökonomischer Sicht gibt es noch eine andere Begründung: Menschen tendieren dazu, den Wert einer Belohnung aufgrund zeitlicher Nähe zu über- oder unterschätzen. Dies wird oft als „temporal discounting“ bezeichnet.
Je weiter die Belohnung entfernt ist, desto geringer der Wert für uns
Die Wahl zwischen 100 Euro, die man heute erhält und 100 Euro in einem Monat wäre für die meisten leicht gefällt. Bei der Wahl zwischen 100 Euro in einem Jahr und 110 Euro in 13 Monaten würde allerdings die Mehrheit den zeitlichen Verzug in Kauf nehmen. Die Zeit- und Wertdifferenz ist in jedem Beispiel genau gleich. Es stellt sich heraus, dass menschliche Motivation stark davon beeinflusst wird, wie unmittelbar die Belohnung wahrgenommen wird. Je weiter die Belohnung also entfernt ist, desto mehr reduziert sich für uns ihr Wert. Dies wird oft als present bias – eine bei der Entscheidungsfindung zu starke Gewichtung auf die Gegenwart zu Lasten der Zukunft – oder hyperbolische Diskontierung bezeichnet. Über diese Phänomene schrieben O’Donoghue und Rabin schon 1999 in „Doing it now or later“.
Auf Facebook oder Reddit, Twitter oder YouTube zu sein, erscheint also lohnender als eine gute Zensur in deiner nächsten Klausur. Und deshalb stopfst du dich voll mit den Dingen, die so leicht zugänglich sind für dich – wenn es gut läuft, sogar die ganze Nacht. Darüber hinaus erhältst du jedes Mal, wenn etwas Erfreuliches passiert, eine Dosis Dopamin, die die Neuronen in deinem Gehirn verändert, sodass du das Verhalten in Zukunft eher wiederholst. Das Problem ist, dass Videospiele oder das Surfen im Internet nur kleine, schnelle und zusammenhangslose Belohnungen bieten, anders als dein Aufsatz, der eine einmalige zukünftige Belohnung bedeutet.
Gibt es eine Lösung?
Wie widerstehen wir also dem Drang, so viele Aufgaben nach hinten zu verschieben? Leider gibt es nicht die eine perfekte Lösung. Man kann versuchen, sich in Abständen mit einem Snack, dem Internet oder anderen angenehmen Aktivitäten zu belohnen. Bewährt hat sich die Pomodoro-Technik, dessen Prinzip auf einer Idee von Francesco Cirillo basiert. Hierbei verwendest du einen Timer: Nach 25 Minuten intensiver Arbeit folgt eine Pause oder Belohnung und eine Erhöhung der nächsten Schicht Arbeit. Es hat sich gezeigt, dass das Aufstellen einer selbst festgelegten Frist ein effektiver Weg ist, um seine Arbeitsgewohnheiten zu managen. Mit extern auferlegten Fristen ist das sogar noch effektiver.
Dabei kann es dir auch helfen eine Liste der Gründe zu erstellen, warum du dein Ziel erreichen möchtest. Den Grund, warum du etwas schaffen willst zu bestärken, verdrängt die Entscheidung, es nicht zu erledigen. Und die Kraft, richtig motiviert zu sein, kann dich weit bringen. Schließlich solltest du Versuchungen entfernen: Schalte das Internet aus, deinstalliere dein Lieblingsspiel oder arbeite an einem anderen Platz. Hindernisse aus dem Weg zu räumen, kann ein toller Trick sein, um bei der Sache zu bleiben.
Und wenn alles nichts nützt, dann denk einfach an den Prokrastinations-Meister Wolfgang Koeppen. Der hat zu seiner Zeit das Schreiben eines Romans letztendlich um 35 Jahre aufgeschoben. Er starb, bevor er den Roman beenden konnte. Also wenn ihr doch mal ein paar Tage oder sogar Wochen hinterherhängt, dann ist das nur ein Bruchteil der Zeit, um die Koeppen seinen Roman vertagt hat.