High-Five, es wird abgeklatscht. Jeder einzelne der jungen Fußballer wird freundlich begrüßt: „Hi Sören!“, kommt es von einigen der Jugendlichen. An diesem Montagabend treffen nach und nach verschiedene Altersgruppen von Nachwuchsfußballern in der Karl-Laue-Halle in Barsinghausen ein, denn heute steht ein Leistungstest für die verschiedenen Trainingsgruppen an. Hier am DFB-Stützpunkt werden sie neben dem Vereinstraining zusätzlich gefördert. Einer ihrer Trainer ist der Ex-Bundesligaspieler Sören Halfar. Für den Leistungstest betreut der ehemalige Profi die Station, bei der es darum geht, einen Parkour zu absolvieren, während der Ball mit den Füßen in der Luft gehalten werden muss. Er hat sichtlich Spaß daran, dem Nachwuchs seine Erfahrung in Form von Tipps weiterzugeben. Immer wieder greift er selbst zum Ball und zeigt den Jugendlichen die richtige Technik für diese Aufgabe. Die Leichtigkeit, mit der er diese Übung absolviert, zeugt von seiner Erfahrung als Profifußballer. Auffällig ist jedoch, dass er sich nach einigen Bewegungen gelegentlich dehnt. Er greift zum Knie, denn Sören Halfar ist Sportinvalide und kann nicht mehr aktiv Fußball spielen.
Wenn das Ende schneller kommt als gedacht
Als Profifußballer hat man es geschafft und ausgesorgt. Diese Behauptung trifft jedoch auf weniger Spieler zu, als man denkt. Die Vereinigung der Vertragsfußballer, kurz VDV, stellte 2014 in einer Tendenzstudie fest, dass gerade einmal 20 Prozent der befragten Ex-Profis mehr als zwölf Jahre im Profigeschäft verbracht haben. Ganze 40 Prozent konnten gerade einmal drei Jahre im Profibereich als Fußballer Geld verdienen. Der darauffolgende Übergang in die Karriere nach der Fußballkarriere falle vielen Spielern schwer, da sie keine nennenswerten beruflichen Qualifikationen vorweisen können.
Sören Halfar ist mit seinen 30 Jahren eigentlich noch im besten Fußballeralter, um als Profi Geld zu verdienen, musste jedoch 2013, mit 26 Jahren, seine Karriere aufgrund von andauernden Verletzungen beenden. Zwei Kreuzbandrisse und Operationen im Leistenbereich drängten ihn zu einem frühzeitigen Karriereende. „Du hast gerade erst angefangen, da denkst du nicht an aufhören oder ans danach“, war anfangs seine Sichtweise, trotz des zweiten Kreuzbandrisses mit gerade einmal 20 Jahren – eine Verletzung, die aufgrund ihrer Schwere oft das Karriereende bedeutet. Vor etwa zehn Jahren, in den Jahren 2005 und 2007, absolvierte er 17 Bundesligaspiele an der Seite von Spielern wie Robert Enke und Per Mertesacker für Hannover 96. Im Anschluss folgten noch einige Spiele in der 2. und 3. Bundesliga bei Vereinen wie SC Paderborn, Wacker Burghausen und SV Sandhausen. Er war ein talentierter junger Spieler, der sogar in die U21-Nationalmannschaft berufen wurde. Ehemalige Mitspieler aus dieser Zeit wie Manuel Neuer, Jerome Boateng und Mats Hummels sind gestandene Nationalspieler. Sören Halfar lebt dagegen nun ein „normales Leben“, macht eine kaufmännische Umschulung und ist nebenbei DFB-Stützpunkttrainer. Dass er es überhaupt zum Bundesligaspieler geschafft hat, ist jedoch schon ein Erfolg.
Ein Traum, für den es sich zu kämpfen lohnt?
In Kreisen von Fußballverbänden geht man davon aus, dass nicht einmal zehn Prozent aller Jugendspieler von Bundesligavereinen den Sprung in das Profigeschäft schaffen. Trotzdem geben die Jugendlichen alles für diese geringe Chance, den Fußball zum Beruf zu machen. „Wenn du im Leistungszentrum bist, lebst du nur für den Sport“, so Sören Halfar, der vor etwa 15 Jahren dieses Szenario erlebte. Bei Hannover 96 waren es zu der Zeit vier Tage Training, die direkt im Anschluss an die Schule stattfanden. Fahrdienste gab es zu seinen Zeiten noch nicht, dieses sei heute sicher anders. Hinzu kam ein durchstrukturiertes Wochenende, mit Ligaspielen und zeitraubenden Anfahrten, welches wenig Raum für alternative Aktivitäten ließ. „Es ist ein Fulltime-Job nach der Schule, auch in der Jugend schon“, resümiert Halfar. Im Herbst 2016 hat sein ehemaliger Verein Hannover 96 mit der Eröffnung seiner Akademie eine Maßnahme ergriffen, um Jugendspieler bei diesem Spagat zu unterstützen. Es sei zudem eine Hausaufgabenbetreuung in der Akademie geplant. Vor 15 Jahren, zu der Jugendzeit von Sören Halfar, gab es das alles nicht: „Meine Eltern haben natürlich ein Auge darauf geworfen.“
Man kann die aufopferungsvollen Jahre in den Jugendmannschaften als die ausgiebige Ausbildung für den Beruf des Profifußballers sehen. Jedoch ist die Chance auf einen Job am Ende der Ausbildung in den meisten anderen Berufsfeldern deutlich höher. Neben dem Fleiß, der schon in jungen Jahren gefordert ist, braucht ein Profifußballer nämlich auch viel Talent und eine große Portion Glück.
Fußballer seien dumm? Weit gefehlt!
Davon kann auch Timo Heinze ein Lied singen. Er hatte einen ähnlichen Karriereverlauf als Fußballer wie Sören Halfar, jedoch hatte sein Karriereende eine andere Ursache. Der ehemalige Nachwuchsspieler des FC Bayern München beschreibt in seiner 2012 erschienenen Autobiographie „Nachspielzeit – Eine unvollendete Fußballkarriere“ seinen Karriereweg, der im Alter von 24 Jahren mit dem frühzeitigen Karriereende als Fußballer abschließt. Ähnlich wie Sören Halfar war Timo Heinze ein talentierter Nachwuchsspieler, der durch viele Verletzungen in seiner Entwicklung zurückgeworfen wurde. Heinze hat jedoch im Nachwuchsbereich vom deutschen Rekordmeister FC Bayern München gespielt und somit eine deutlich geringere Chance auf den Sprung in den Profikader. Die Konkurrenz durch starke Mitspieler ist hier zu groß. Hinzu kam, dass er in der Amateurmannschaft kein Glück gehabt habe und innerhalb kurzer Zeit vom Kapitän der Mannschaft zum fast vergessenen Ersatzspieler abrutschte. Nachdem seine anschließende Station bei der Spielvereinigung Unterhaching ähnlich ernüchternd verlief, entschloss er aus eigenen Stücken, dass ihm die große Fußballkarriere verwehrt bleiben wird: „Der Gedanke, die Schuhe an den Nagel zu hängen, war mir schon vor längerer Zeit gekommen. Zumindest im absoluten Leistungsbereich.“
Er ist einer der wenigen Nachwuchsspieler, die sich schon während ihrer jungen Fußballkarriere Gedanken gemacht haben, was nach den Profijahren folgt: „Mir war ein guter Schulabschluss immer wichtig gewesen, für den Fall, dass es zum großen Wurf im Fußballbereich nicht reichen würde.“ Heinze entschloss sich zu einem Fernstudium im Bereich Journalismus. Zum einen, um die Menge an Freizeit neben dem Fußballplatz zu füllen, zum anderen, um den „Grips hin und wieder zu trainieren“. Ohne das Abitur, welches ihm von Anfang an wichtig war, wäre ihm diese Chance verwehrt geblieben. Nach dem Entschluss zum Karriereende hat er das Journalismusstudium erfolgreich abgeschlossen und befindet sich aktuell in einem zweiten Studium in Köln: Die Reflexion seiner Karriere zur Erstellung des Buches, sowohl die Tiefen als auch die Höhen, weckten sein Interesse am Studienfach Psychologie.
Neben Timo Heinze gibt es viele weitere Fußballer, die sich Gedanken um ein Studium machen. Die VDV zeigte 2015 in ihrer Bildungstendenzstudie auf, dass immer mehr Spieler großen Wert auf einen guten Schulabschluss legen. Ein Abitur oder eine Fachhochschulreife erlangten 72 Prozent der Teilnehmer, wohingegen es 2012 noch 60 Prozent waren. Neben dem Fußball sind 16,5 Prozent der Bundesligaspieler für ein Studium eingeschrieben. Sogar der aktuelle Nationalspieler Jonas Hector studiert trotz seines beruflichen Erfolges per Fernstudium BWL und auch der ehemalige Nationalspieler Tobias Rau beendete mit 27 Jahren seine Karriere und studierte im Anschluss Lehramt. Er kehrte dem Profifußball den Rücken zu und ist mittlerweile Lehrer in seiner Heimatstadt Bielefeld.
Einen Plan B gab es nie
Bei Sören Halfar gab es keinen so schnellen Übergang von der „Parallelwelt Profifußball“, wie er sie nennt, in das „normale Leben“. Nachdem ihn die andauernden Verletzungen im Knie- und Leistenbereich zum Karriereende zwangen, war er noch ein ganzes Jahr mit verschiedenen Maßnahmen beschäftigt, um seinen Körper zu rehabilitieren. Er zog in dieser Zeit zurück nach Hannover und schaute zudem wenig Fußball, um etwas Abstand zu gewinnen. In ein richtiges Loch sei er jedoch nie gefallen, was wohl auch daran lag, dass in der Zeit sein erster Sohn zur Welt kam. Da er sich nie Gedanken um einen Plan B gemacht hat, fing er im zweiten Jahr an, sich zu überlegen, wie es weitergehen könnte. Sein Interesse am Fußball stieg wieder, sodass er Trainerlehrgänge beim DFB-Stützpunkt in Barsinghausen absolvierte und seine C- und B-Lizenz als Trainer machte. Eine finanzielle Absicherung sei durch sein Profidasein nicht gegeben. Zwar verdienen Profis in der 2. und 3. Bundesliga jährlich einen sechsstelligen Betrag, er habe aber nie „vom ganz großen Geld was abbekommen“. Der große Durchbruch sei ihm nicht gelungen und die Verletzungen bremsten ihn aus. Somit musste ein neuer Beruf her, der als finanzielle Absicherung dient.
Viele langjährige und bekannte Spieler bekommen im Anschluss an die Karriere oft Angebote für Trainerposten im Jugendbereich der eigenen Vereine oder als Experten im Fernsehen. Es werde sich mehr um Spieler gekümmert, die sich im Verein verdient gemacht hätten. Da Sören Halfar diesen Status nie erreichen konnte, war er bei der Berufssuche auf sich allein gestellt. Mehrere Beratungsgespräche bei der Berufsgenossenschaft, bei der er als Sportinvalide abgesichert ist, haben ihm geholfen. Letztendlich entschied er sich für eine kaufmännische Umschulung im Groß- und Außenhandel. Bis er im Sommer 2018 die Ausbildung abgeschlossen haben wird, arbeitet er auch parallel an seiner Trainerausbildung. Als Grundlage für die angestrebte A-Lizenz muss er eine einjährige Trainertätigkeit vorweisen.
Alte Kontakte verhalfen ihm 2015 zu einem Posten als Co-Trainer beim Regionalligisten TSV Havelse. Die Tätigkeit in einer Liga, die er noch nicht kannte, sei für ihn eine große Bereicherung gewesen. Aufgrund der zu großen Entfernung von seinem Wohnort zum TSV Havelse entschied er sich jedoch nach einem Jahr dazu, diese Stelle aufzugeben. Zur selben Zeit meldete sich sein Ex-Verein SV Sandhausen bei ihm, ob er nicht ab und zu als Scout für den Verein arbeiten wolle. Dieses Angebot nahm er gerne an, sowie einen Posten als DFB-Stützpunkttrainer in Barsinghausen, den er seit August 2016 innehat. Auch dieser Job kam über einen alten Kontakt aus seiner Fußballkarriere zustande.
Der Fußball hat ihn zurück und das soll, sofern es nach ihm geht, auch in Zukunft so bleiben. Fußball ist seine Leidenschaft: „Ich sitze 40 Stunden im Büro, das erfüllt mich nicht. Ich muss raus auf den Platz.“ Dennoch sieht er die Ausbildung nicht als verlorene Zeit an, sondern als Chance, sich persönlich zu entwickeln. Die Ausbildung sei aber nur sein Plan B. Der Plan A: „Fußball ist Leidenschaft und Hobby, aber es wäre super, wenn er wieder zum Beruf wird.“ Deshalb steht er gerne an diesem Montagabend in der Halle in Barsinghausen und trainiert junge Nachwuchsspieler.
Die Karriere nach der Karriere kommt, so oder so
„Ganz klar, Schule muss an erster Stelle stehen. Ich kann einem 13-Jährigen nicht sagen, er sei der nächste Profi, dann würde ich ihn anlügen“, stellt Sören Halfar klar. Dieser Meinung sind auch die Verbände und Vereine wie Hannover 96, die durch Internate versuchen, den Spagat zwischen einer fundierten Schulbildung und einer erstklassigen Fußballausbildung zu schaffen. Bei Hannover 96 wird dieses Internat sogar als Akademie betitelt, was vermutlich den Stellenwert als Schul- und Ausbildungseinrichtung untermalen soll. Doch selbst wenn ein Spieler den Sprung zum Profigeschäft schafft, zeigen Beispiele wie Sören Halfar, Timo Heinze und weitere, dass die Karriere trotz dessen frühzeitig enden kann. Welche Gründe auch immer zum Karriereende führen, es ist von Vorteil, wenn man neben dem Fußball einen guten Schulabschluss erlangt hat. Das Berufsleben nach dem Fußball holt jeden ein, egal ob Profispieler oder nicht. Timo Heinze schreibt in seinem Buch, dass der Übergang vom Profifußball in einen normalen Job sehr schwierig sein kann. Man solle in der kurzen Zeit als Profi „so viel Geld wie möglich hamstern und dennoch an die Zukunft nach der Karriere denken.“ Ein Drahtseilakt, bei dem viele schon gefallen seien. Für Sören Halfar ist jedoch klar: „Profifußballer zu sein ist ein Traum, für den es sich zu kämpfen lohnt.“