„Treib ab, oder ich mache Schluss!“, „Erst wenn Sie aufhören zu studieren, bekommen Sie Hartz IV!“, „Du bist meine Mama und mein Papa zugleich!“ – drei Sätze, die das Leben der jungen Rosalie bis heute prägen. Alles begann vor 13 Jahren, als sich die Welt der Teenagerin auf den Kopf stellte. Mit 15 Jahren war sie nicht nur Tochter einer sehr religiösen Familie und Schülerin der neunten Klasse, sondern fand heraus, dass sie zusätzlich noch Mutter werden würde. Vollkommen sorglos machte sie damals mit ihrer besten Freundin auf einer öffentlichen Toilette – „nur so zum Spaß“ – einen Schwangerschaftstest. Das Ergebnis war eindeutig: Schwanger. Die heute 28-jährige Frau schmunzelt: „Es war ein totaler Schock, ich weiß noch genau, was ich als Erstes zu meiner Freundin gesagt habe: Von welchem Geld soll ich mir denn Schwangerschaftsklamotten kaufen?“
Eine Abtreibung war für sie kein Thema: „Ich hätte es niemals übers Herz gebracht. Für mich ist sowas einfach Mord.“ Ganz anders sah es der 18-jährige Vater. Er reagierte zu Rosalies Entsetzen sehr negativ. Er und seine Mutter setzten sie unter gewaltigen Druck das Baby abzutreiben. Die blauen Augen der 28-jährigen Frau schauen mit eisiger Miene in die Ferne und sie streicht sich dabei eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht: „Er hat sogar einen Selbstmordversuch vorgetäuscht, damit er sein Ziel erreicht.“ Doch da stieß er bei Rosalie auf Granit. Sie dachte bei sich: „Lieber bringt er sich selbst um, als dass ich mein Kind umbringe.“ Zwölf Jahre lang musste sie auf Unterhaltszahlungen warten und bis heute hat weder sie noch ihre Tochter Kontakt zu ihm. Doch nicht nur von seiner Seite aus wurde Druck ausgeübt. Auch ihre Eltern wollten mit dem Baby nichts zu tun haben: „Sie haben sie nicht einmal gehalten, damit ich duschen gehen konnte und mein Vater verbot es auch meinen drei Geschwistern meine Tochter auch nur zu berühren.“ Auch finanziell konnte sie von ihren Eltern nichts erwarten: „Als erstes habe ich gar kein Geld bekommen, da mein Vater die staatlichen Hilfen auf seinen Namen laufen ließ. Ich bekam zwar dann Geld für Babykleidung und Windeln, musste die Rechnungen aber immer mit ihm abgleichen.“ Rosalie lächelt starr. Nach sieben Monaten schaffte sie es mit Hilfe des Jugendamtes, die staatlichen Unterstützungsgelder auf ihr eigenes Konto zu leiten.
Mit der Geburt von Chanelle wuchs ihr Wille, das Beste aus ihren Leben zu machen. Mit einem abgeschlossenen Hauptschulabschluss machte sie zunächst ein Jahr Pause und ging dann wieder zur Schule, um ihr Abitur nachzumachen. „Ich wurde gut in der Schule durch die Schwangerschaft“, erzählt Rosalie. „Ich hatte meistens nur ungefähr zwei Stunden Schlaf, aber Chanelle hat mir so eine Kraft gegeben, dass ich in der Schule die Fünfen in Einsen verwandelte und eine der Klassenbesten wurde.“ Während der Schulzeit war Chanelle bei einer Tagesmutter, doch auf Klassenfahrten und Ausflügen durfte sie mitkommen: „Berlin, Paris, in Theaterstücken für den Deutsch-Unterricht – sie war überall mit dabei und war schon so ein richtiges Klassenmaskottchen.“ Nach ihrem Schulabschluss zog es Rosalie aus ihrem Heimatort Dieburg nach Frankfurt am Main, um dort ein Lehramtsstudium zu beginnen. Doch auch hier wurden der jungen Mutter Steine in den Weg gelegt. „Ich habe verzweifelt nach einer Wohnung gesucht“, erzählt Rosalie. Doch niemand wollte eine alleinerziehende Studenten-Mutter als Mieterin. „Meine Eltern wollten keine Bürgschaft übernehmen und der BAföG-Antrag zog sich in die Länge“, sagt sie. Aus der Verzweiflung heraus, fragte sie beim Job-Center nach, wovon sie denn leben solle und bekam als Antwort: „Erst wenn Sie aufhören zu studieren, bekommen Sie Hartz IV!“ Rosalie hat ihre Hände zu Fäusten geballt und guckt ins Leere. „Das fand ich so furchtbar“, erinnert sie sich. „Da will man etwas tun und bekommt dann so eine Antwort.“ Nach langem Suchen fand Rosalie schließlich eine Wohnungsbaugesellschaft, die Verständnis hatte und ihr gestattete die Miete zu bezahlen, sobald der BAföG-Antrag genehmigt war. „Es war so gut endlich bei meinen Eltern ausziehen zu können“, sagt Rosalie. „Mit denen habe ich heutzutage auch nur noch wenig Kontakt auf neutraler Ebene. Ich habe mit meiner Tochter so ein inniges Verhältnis, was ich mit meinen Eltern nie hatte.“
Mittlerweile arbeitet Rosalie seit drei Jahren als Haupt- und Realschullehrerin. Ihr Studium absolvierte sie mit einer 1,2 im Abschlusszeugnis. Wenn sie zurückschaut, sieht sie einen langen und schwierigen Weg. Doch mit einem Lächeln auf den Lippen erzählt sie: „Im Nachhinein muss ich sagen, dass meine Tochter das Beste ist, was mir geschehen konnte. Ich würde alles wieder genauso machen.“ Jedoch hätte sie wohl die Unterstützung einer Schwangerschaftsberatung beispielweise bei ProFamilia, in Anspruch genommen. „Ich dachte damals, da geht man nur hin, wenn man abtreiben möchte“, sagt Rosalie. „Eine Freundin von mir war damals dort und hatte es so empfunden, dass man sie dort sehr stark zur Abtreibung drängte und deshalb bin ich gar nicht erst hingegangen.“
Anderen jungen Müttern rät Rosalie: „Ignoriert das, was andere sagen. Besonders die, die immer sagen: `Du kann das alles gar nicht hinbekommen, was du da vorhast. ´ Denn man kann eigentlich alles schaffen, wenn man es wirklich will. Am Ende klappt es immer – irgendwie.“