Die Blase drückt. Das Navi zeigt an: nur noch zwei Kilometer bis zur nächsten Raststätte. Erleichterung macht sich breit beim Anblick des großen Toilettenschilds. Schnell parken, Handbremse ziehen und losrennen. Die Tür schwingt auf, fast geschafft. Ein Drehkreuz, daneben ein Schild: Ein Euro. Aber Moment mal – kostete das nicht sonst nur die Hälfte? Das Portemonnaie liegt im Auto. Nervöser Griff in die Hosentasche, die Beine verschränkt. Zweimal 20 Cent, einmal 10 Cent und fünf Zerquetschte. 55 Cent. Mehr nicht. Was nun? Viele haben so etwas schon mindestens einmal erlebt. Auf dem Weg in den Urlaub, zur Arbeit, aber auch an Bahnhöfen und in Einkaufszentren trifft man immer wieder auf Sanifair – das Tochterunternehmen der Tank & Rast, das mit dem menschlichen Bedürfnis Millionen verdient. Mit mittlerweile rund 520 WC-Anlagen, verteilt über ganz Europa, ist eine lange Reise ohne einen Stopp bei der blau-grün gekachelten Toilette fast unmöglich. Dieses Quasi-Monopol nutzt das Unternehmen gnadenlos aus: Mittlerweile bis zu einem Euro muss der Verbraucher für die eigene Erleichterung bezahlen.
Der Wertbon
Bis 2013 lag die Benutzungsgebühr bei 50 Cent. Damals war der Preis deckungsgleich mit dem Wertbon, den man bei jedem Toilettengang von Sanifair bekommt – wohl weniger als Wiedergutmachung gemeint, sondern als Anreiz, weiteres Geld auszugeben bei einem der Partner – für ein teures Heißgetränk an der italienischen Kaffeebar oder im überteuerten Raststätten-Shop. Denn an jedem Euro, der an den Raststätten ausgegeben wird, verdient Tank & Rast mit. Viele Gutscheine verfallen. Dass Tank & Rast aus nicht eingelösten Wertbons Einnahmen erzielt, bestreitet das Unternehmen. „Etwaige gegenteilige Behauptungen sind falsch. Daher sind nicht eingelöste Wertbons zwangsläufig auch nicht Teil unseres Geschäfts“, sagt ein Sprecher der Tank & Rast Gruppe. Und das Geschäft der Tank & Rast läuft gut – genau genommen sogar ausgezeichnet. 2018 stieg der Umsatz des Tank & Rast-Konzerns auf rund 679 Millionen Euro bei einem operativen Ergebnis (Gewinn vor Zinsen und Steuern) von rund 313 Euro – ein fast schon sagenhaft einträchtiges Geschäft, das seinen Eigentümern viel Freude bereiten dürfte. Zu diesen zählt seit 2015 ein illustrer Kreis aus internationalen Finanzinvestoren, zu denen Allianz Capital Partners und die Abu Dhabi Investment Authority zählen. Diese werden im Englischen als Private Equity-Investoren bezeichnet oder mit dem deutschen Begriff Beteiligungsgesellschaften, da sie in nicht börsennotierte, also private Unternehmen investieren. Ein paar Jahre später verkaufen sie die Unternehmen teurer, als sie diese erworben haben, wie Philipp Habdank, Private Equity-Redakteur beim Finance-Magazin, erläutert.
Das Unternehmen
Privat ist Tank & Rast erst seit reichlich 20 Jahren, seit der Bund im Rahmen umfangreicher Privatisierungsmaßnahmen die Nebenbetriebe der Bundesautobahnen verkauft hat. 1998 gingen die Aktien der Gesellschaft vollständig an die ersten Finanzinvestoren über und wurden seitdem schon mehrmals weiterverkauft. Ein nächster Eigentümerwechsel in den kommenden Jahren ist nicht unwahrscheinlich (vgl. Seite 14 Private Equity). Im Zuge der Privatisierung wurden politische Vorgaben an das Unternehmen gestellt. Dabei hieß es in einer Vorgabe, die im Vertrag festgehalten wurde: „Die Tank & Rast wird sich bemühen, die unentgeltliche Benutzung von sanitären Einrichtungen ganzjährig durchgehend sicherzustellen.“ Dass sich Tank & Rast an diese Vertragsklausel nicht gehalten hat, begründet das Unternehmen gegenüber Campus38: „Bereits zum Zeitpunkt der Privatisierung stand außer Zweifel, dass der erhebliche Modernisierungs- und Investitionsbedarf im Sanitärbereich eine dauerhafte unentgeltliche Nutzung der Toilettenanlagen unmöglich machen würde.“ Dabei ist festzuhalten, dass der Tank & Rast die Gebäude gehören, die Auffahrten, Parkplätze und Autobahnen jedoch nach wie vor staatlich sind und damit vom Steuerzahler bezahlt werden. Wieviel Millionen Euro Umsatz und Gewinn Tank & Rast tatsächlich mit Sanifair macht, ist unbekannt. Das Unternehmen möchte sich dazu „aus Wettbewerbsgründen“ nicht äußern. Bei einem geschätzten Einkommen von jährlich circa 60.000 Euro pro Anlage, dem Sanifair auch nicht offen entgegentritt, bei 520 Sanifair-Toiletten und der extrem hohen Profitabilität der Konzerngeschäfte ist kaum vorstellbar, dass das Geschäft mit dem menschlichen Bedürfnis nicht hoch rentabel ist. Rechnerisch ergibt sich dann allein für Sanifair ein Umsatzbeitrag von rund 31 Millionen Euro, den das Unternehmen nicht kommentiert. Rechtlich ist das nicht zu beanstanden. Ende 2013 sind die Bedingungen des Privatisierungsvertrags ausgelaufen – einen Zwang zum Gratisangebot der Toiletten gab es nie, wie Tank & Rast betont. Wer gegen Tank & Rast vorging, zog meist den Kürzeren, wie die Stadt Seesen im Harz, die sich 2011 die Gebührenerhöhung nicht gefallen lassen wollte. Tank & Rast bekam Recht. Anrüchig ist vielmehr, dass es keine sinnvolle Alternative gibt.
Neben den kostenpflichtigen Sanifair-Toiletten gibt es insbesondere auf Parkplätzen stellenweise auch kostenlose Toiletten. Diese sind aber in der Regel so verdreckt und schlicht abstoßend, dass hier nicht annähernd der Mindeststandard persönlicher Hygiene eingehalten wird. Viele Betroffene ergreifen so lieber die Alternative des nicht minder ekelerregenden und zudem illegalen Wildpinkelns. Dem Verbraucher bleiben kaum Alternativen, viele entscheiden sich aus der Not heraus für eine Sanifair-Anlage, um den eigenen hygienischen Anspruch zu erfüllen. Tank & Rast verteidigt sich durch Verweise auf den hohen Aufwand. Seit 1998 seien über 1,5 Milliarden Euro in die Modernisierung, den Erhalt und den Ausbau des Servicenetzes investiert worden. Dabei seien die meisten Raststätten umgebaut oder komplett neu gebaut und innovative Konzepte entwickelt und erfolgreich umgesetzt worden. Zudem stünden behindertengerechte Einrichtungen zur Verfügung und Kinder hätten freien Eintritt. Alles richtig, dennoch bleibt bei vielen ein Ungerechtigkeitsgefühl, auch wenn Tank & Rast in der Covid-Periode die Benutzung der Toiletten und Duschen als eigenen Beitrag zur Pandemiebekämpfung freigegeben hat. Womöglich waren den Tank & Rast-Managern mögliche Bilder von Menschenschlangen vor den Drehkreuzen ein ungewünschtes Szenario, verbunden mit einem möglichen weiteren Imageschaden. Den hat Tank & Rast nun vermieden – die Umsätze aus dem Geschäft wären durch die leereren Autobahnen ohnehin gesunken.
Ein Störgefühl bleibt. Das Störgefühl, dass es wenngleich juristisch unantastbar, moralisch nicht in Ordnung ist, dass Sanifair die Not seiner Nutzer gewinnbringend ausnutzt, indem Geld für die Privatisierung eines Grundbedürfnisses verlangt wird. Dieser Aspekt ist bei der Privatisierung der Nebenbetriebssysteme an deutschen Bundesautobahnen außer Acht gelassen worden. Nun ist es nicht mehr zu ändern. Und doch führt es regelmäßig zu Frust bei den Nutzern. Vielleicht sollte man dies im Kopf behalten, wenn regelmäßig die Frage erhoben wird, ob der Staat nicht weniger Aufgaben haben sollte und ob die Privatwirtschaft vieles nicht besser kann. Auch die Deutsche Bahn sollte privatisiert werden. Bei allen Schwächen, die der Riesenkonzern hat. Wahrscheinlich können wir froh sein, dass es nicht so gekommen ist.
Wie Tank & Rast Geld verdient
Das Geschäftsmodell von Tank & Rast besteht im Wesentlichen aus der Vergabe von Belieferungsrechten für Kraftstoff und der Verpachtung und Verfranchisung (Lizenzvergabe) von circa 320 Tankstellen, 390 Raststätten und 50 Hotels. Das Entgelt besteht aus einem fixen und einem variablen Anteil, der monatlich auf Basis der gemeldeten Netzumsätze zu entrichten ist. So steht es im Geschäftsbericht 2018 der Gesellschaft. Rund 172 Millionen (Vorjahr: circa 179 Millionen Euro) und damit rund ein Viertel der Konzernumsätze erwirtschaftet Tank & Rast in seiner Sparte Franchise- und Pachtgeschäft, zu der auch Sanifair gehört. Diese Umsätze werden an etwa 390 Restaurants, 410 Sanifair-Toiletten und 50 Hotels generiert. Der Rückgang resultiert im Wesentlichen aus Baustellen auf der Autobahn sowie zeitweisen Schließungen aufgrund von Standortumbaumaßnahmen, wie Tank & Rast ausführt.
Private Equity (PE)
… ist eine Kapitalanlageklasse ähnlich wie Aktien oder Festgeld. Große Kapitalsammelstellen wie Versicherungen und Pensionskassen machen spezialisierten Beteiligungsunternehmen Kapitalzusagen. Das Versprechen der Branche: Deutliche Überrenditen gegenüber Aktien oder Festgeld zu erwirtschaften. Die Kapitalgeber erwarten Gewinnspannen von deutlich über zehn Prozent im Jahr – weit mehr als die meisten anderen Anlageklassen abwerfen. Aus den so entstehenden Kapitalfonds erwerben die PE-Fonds Unternehmen mit dem Ziel, diese nach einigen Jahren wieder mit Wertsteigerung zu verkaufen. Dies ist notwendig, um die Renditeerwartungen der eigenen Investoren zu erfüllen. Dazu verordnen die PE-Investoren den von ihnen geführten Unternehmen häufig einen klaren Wachstumskurs (Buy&Build), da größere Unternehmen in der Regel höhere Gewinne abwerfen. Zudem versuchen Private Equity-Investoren möglichst wenig eigenes Kapital einzusetzen und möglichst viel Schulden aufzunehmen, da auch dies die Rendite steigert. Dies erzeugt aber Druck auf viele Unternehmen, die die Zinsen erwirtschaften müssen und hat den Finanzinvestoren den Kampfbegriff Heuschrecken eingetragen. Dieses Bild spielt mit der biblischen Heuschreckenplage, die ganze Landstriche verwüstet, um dann weiterzuziehen. Diese Idee ist nicht völlig falsch, aber doch stark verzerrt. Private Equity schafft durch sein Modell oft Arbeitsplätze und Wachstum, aber auch Druck, da in einem begrenzten Zeitraum von fünf bis sieben Jahren viel passieren muss. Von den PE-Gewinnen profitieren auch ganz normale Menschen, die etwa eine Lebensversicherung mit vier Prozent Rendite haben, da Lebensversicherungen besonders viel in PE investieren. Private Equity bevorzugt durch sein Modell oft besonders stabile und sichere Unternehmen mit besonders planbarem Geschäft – wie Tank & Rast.