Da sitzen wir nun im Kreis, nach unserem verlorenen Punktspiel, bevor es in die „Coronapause“ geht. Ich bin wütend. Wieso haben wir verloren, lag es an meiner Leistung? Ich lehne mich zurück und gucke in den blauen Himmel, der mit weichen Wolken gezeichnet ist. Ich mache mir Vorwürfe und zweifle an meiner fußballerischen Fähigkeit.
Meine Karriere als Fußballerin begann im Alter von vier Jahren. Mein erstes großes Vorbild war Miroslav Klose, welcher zufälligerweise 2001 sein DFB-Elf Debüt gab – jenes Jahr, in welchem mir meine Eltern erlaubten, auch bald in einen Fußballverein einzutreten. Nicht nur Klose gilt für mich als eines meiner frühen Vorbilder, auch Bellarabi prägte mich stark. Ich würde mich jetzt nicht als Eintracht Braunschweig-Fan outen, aber er ist und bleibt eben einer der größten Vereine in der Region. Auch weibliche Vorbilder gab es in meiner Fußballlaufbahn. Hier vor allem Birgit Prinz und Alexandra Popp. Wieso prägten mich primär Fußballer und weniger Fußballerinnen? Meine Trainerin Sina erklärt: „Wir sind – umgeben von Jungs – mit Fußball groß geworden, da ist das schon naheliegend. Die jetzige Generation hat nun auch viel mehr weibliche Vorbilder, zum Glück.“
Leider hat mein geliebter Fußball nicht nur schöne Seiten im Laufe meines Lebens hervorgebracht. Gerade da es damals ein eher Männer dominierter Sport war, ist es leicht zu erklären, wieso ich in einer Jungenmannschaft begonnen habe. In der Nähe des Dorfes, in dem ich aufgewachsen bin, gab es so gut wie keine Mädchenmannschaften, die für meine Altersklasse infrage kamen. Für mich war es nie ein Problem und für die Jungs der Mannschaft auch nicht. „Später, das heißt, je älter wir wurden, hat man körperlich schon einen Unterschied bemerkt, aber fußballerisch gesehen nicht“, erklärte mir mein ehemaliger Mitspieler Bene. Wieso war es für „meine“ Jungs kein Problem, mit mir zu spielen, aber für viele gegnerische Teams schon? Einen guten Ansatz lieferte mir hier meine Trainerin Sina, sie vermutet, dass Jungs, die mit Mädchen zusammen Fußball spielen, ganz anders sensibilisiert sind.
Sobald die Pubertät kam, gab es viele Situationen, in denen ich gemerkt habe, dass ich eine Fußballerin bin und kein Fußballer. Manchmal wurde ich sogar von erwachsenen Trainern belächelt und gefragt, ob ich mich vor Spielen schminken würde oder die Jungs aus meiner Mannschaft wurden bemitleidet mit mir, als Mädchen, spielen zu müssen. Ich habe mir nie viel aus solchen Sprüchen gemacht. Es gab auch Jungenmannschaften, die mich ausgelacht haben: „Ein Mädchen? Die kann doch eh nichts!“ Daraufhin war ich noch viel mehr angespornt, mein Bestes zu geben. Auch die Jungs aus meiner Mannschaft durchliefen die Pubertät. Bene erzählte mir mit einem Lachen, dass auch sie den einen oder anderen Witz auf meine Kosten gemacht haben. Jedoch nicht aufgrund meines Geschlechts, sondern auf mein fußballerisches Talent bezogen: „Wenn dein Schuss nicht so stramm aufs Tor kam, habe ich, glaube ich, dann mal sowas gesagt wie ‚Oh Gott, war das peinlich’.“ An einen Vorfall während eines Hallenturniers kann ich mich noch gut erinnern. Damals haben Jungenmannschaften von der Tribüne, laut dem Veranstalter, frauenfeindliche Lieder gesungen. Ich weiß noch, dass für die Jungs die einzige Konsequenz war, dass sie per Lautsprecher aufgefordert wurden, damit aufzuhören. Aber pubertären Jugendlichen sind solche Worte egal und so gingen die Sprüche und das Grölen weiter. Ich versuchte das alles, so gut es ging, zu ignorieren. Sprüche wie „Du hast einen richtig schönen Arsch in diesem Trikot“ möchte keine Fußballerin hören. Ich möchte nicht auf mein Äußeres reduziert werden, vor allem nicht im Fußball. Manchmal bleibt es aber nicht nur bei verbalen Belästigungen. Meine Mitspielerin Alina erzählt: „Da gab es einen Vorfall auf einem Charity-Turnier, als ein Junge zu mir kam, mich am Arsch gepackt hat und Sachen gesagt hat wie, was für eine Verschwendung, eine Frau hat hier nichts zu suchen‘. Das war wirklich der Moment, als ich dachte, okay krass.“ Selbst die Leute, die den Vorfall beobachtet haben, taten nichts. Leider werden solche Vorfälle oft abgetan mit „sowas passiert eben“ oder „stell dich nicht so an!“.
Wir beide haben mit den Jahren gelernt, bei solchen Sprüchen auf Durchzug zu stellen oder einfach Gegenfragen an den Kopf zu werfen. Denn warum wird der Frauenfußball noch immer so niedergemacht? Ich denke, viele Vorfälle werden gar nicht als sexistisch wahrgenommen oder gar abgetan. Vor allem im Frauenfußball ist Vieles noch mit altbekannten Klischees behaftet, die schon im Laufe der Jahre immer weiter abgelegt wurden. Eins kommt mir persönlich dabei immer in den Sinn: Die Frauenfußballnationalmannschaft gewann 1989 die Europameisterschaft und als Prämie bekam jede Spielerin, anders als die Männer, ein Kaffeeservice vom DFB. Nur ein Jahr später gewannen die Fußballer und bekamen pro Kopf umgerechnet etwa 64.000 Euro. Zum Glück ist man heute, vor allem in Sachen Prämien, von solchen Dingen weit weg, aber noch lange nicht gleichauf.
Die Liebe zum Fußball bleibt
Ich werde trotz dieser Erlebnisse weiterhin dafür einstehen, dass Frauenfußball mehr ist als ein angeblicher Amateursport. Davon sollte sich keine Fußballerin, keine Sportlerin und keine Frau unterkriegen lassen. Auch, wenn es einen im ersten Moment verletzt oder wütend macht. Ich wünsche mir aber nicht nur mehr Mut und Kraft für Frauen, sondern Solidarität und Empathie von Männern. Zudem auch eine viel klarere Haltung des DFBs zum Frauenfußball. Ich sehe hier vor allem die Pflicht, Frauenfußball interessant und zugänglich für alle zu machen und nicht nur das Eröffnungsspiel der ersten Frauenbundesliga kurz im Sportstudio zusammenzufassen. Die Übertragung des DFB-Pokals der Frauen gilt für mich als ein wichtiges Zeichen. Das heißt aber nicht, dass sich ich nicht auch begeistert Männerfußball (außer natürlich die WM in Katar 2022) schaue. Aber auch Frauenfußball ist über die Jahre viel attraktiver und spannender geworden. Die Akzeptanz des Frauenfußballs hat sich im Laufe der Zeit wirklich sehr ins Positive gewandelt. Heute wird man als Fußballerin seltener belächelt, sondern von vielen bewundert. Meine Mitspielerin Alina sagte mir, dass sie, als man älter wurde, auch ganz viele positive Erfahrungen gemacht hat. Immer mehr Menschen finden es „cool“, dass sie Fußball spielt und sie erfährt Respekt und Unterstützung.
Meine heutigen Vorbilder sind nun nicht mehr ausschließlich Männer. Heute schaue ich zwar weiterhin auf einen Bellarabi oder Volland. Aber auch auf Fußballerinnen, wie Alex Popp oder Sara Daebritz – für mich mehr als nur gute Fußballerinnen. Ich hoffe inständig, dass die aktuelle positive Entwicklung nicht stagniert oder sich gar rückschrittlich entwickelt.