Start-up Gründerinnen – innovativ, weiblich und benachteiligt?

Der Anteil an Gründerinnen auf dem Start-up Markt ist für den sonst so fortschrittlichen Ruf der Branche sehr gering. Wie sehr hängt diese Tatsache mit Stereotypen und dem Mindset der Gesellschaft zusammen?

Ernüchternde 15,1 Prozent der Start-ups, die für den Female Founders Monitor des Deutschen Start-up-Verbandes befragt wurden, wurden von mindestens einer Frau mitgegründet. Im Vergleich ermittelte die Studie der Boston Consulting Group (BCG) gerade mal vier Prozent an befragten Start-ups in Deutschland, die von reinen Frauen Teams gegründet wurden. „Eine gängige These für den geringen Anteil an Start-up-Gründerinnen ist die fehlende Bereitschaft von Frauen, berufliche Risiken einzugehen“, beschreiben die Verantwortlichen des Female Founders Monitors (FFM). Demnach heißt der Lösungsvorschlag meistens, dass Frauen in ihrem Verhalten mutiger werden und mehr Risiko wagen sollten. Dabei wird im FFM kritisiert, dass „diese Interpretation viel zu kurz greift.“ Betrachtet man nämlich das allgemeine Gründungsgeschehen, liegt der Anteil an Frauen bei 37 Prozent. Das Potenzial an mutigen und unternehmerischen Frauen mit Ideen besteht, jedoch wird es nicht ausgeschöpft. Im Rahmen der Studie „Neue Welt und alte Rollen?“ des Vodafone Instituts für Gesellschaft und Kommunikation stimmen 64 Prozent der befragten Gründerinnen darin überein, dass Frauen es immer noch schwieriger bei der Unternehmensgründung haben als Männer. Der niedrige Anteil ist nicht hauptsächlich vom Verhalten der Frauen abhängig, sondern die Ungleichbehandlung auf dem Start-up Markt ist systembedingt.

Es bedarf spezieller Frauenförderung. Jedoch wird die Notwendigkeit, Frauen zu unterstützen und geschlechtsspezifische Barrieren abzubauen, häufig infrage gestellt. Gerade beim Thema Geschlecht ist es besonders schwierig, „da es sehr emotional beladen ist und zum Beispiel bei High Tech Start-ups zielgruppenadäquate Förderung selbstverständlich und anerkannt ist, während spezielle Frauenförderung hinterfragt wird“, kritisiert Cornelia Klaus vom Projekt GründerinnenConsult der hannoverimpuls GmbH. Dabei meint Frauenförderung nicht die Bevorzugung der Frau oder das Schaffen nichtssagender Quoten, sondern die Gestaltung von Rahmenbedingungen, die ermöglichen, dass Frauen die gleichen Chancen auf dem Markt haben wie Männer. Man sollte bedenken, dass Männer und Frauen sich in ihrem Gründungsverhalten unterscheiden und demnach unterschiedliche Rahmenbedingungen geschaffen werden sollten, um den Gründenden die gleichen Möglichkeiten auf Erfolg einzuräumen, erklärt Viktoria Vorwachs vom Projekt GründerinnenConsult der hannoverimpuls GmbH.

Die Hürde der externen Finanzierung

Mit Blick auf das Ökosystem stellt vor allem die Kapitalvergabe eine Herausforderung für Frauen dar. „Gründungen von Frauen in Deutschland werden mit 18 Prozent geringerer Wahrscheinlichkeit gefördert als andere Start-ups“, ermittelte die BCG in ihrer Studie. Ein Grund dafür ist der geringe Anteil an Investorinnen auf dem Kapitalmarkt. Nicht mal sechs Prozent der Entscheider-Positionen in deutschen Venture Capital Unternehmen werden laut Manager-Magazin.de von Frauen besetzt. Zum Großteil treffen eben immer noch Männer die Entscheidungen bei der Kapitalvergabe und bevorzugen dabei vor allem Gründer. Eine schwedische Studie von 2017 zeigt, dass Kapitalgeber Gründerinnen schlechter bewerten als Gründer. Während der durchschnittliche Gründer als „jung und viel versprechend“ beschrieben wird, wurde jungen Gründerinnen die Eigenschaft „unerfahren“ zugeschrieben. Zudem werden Frauen beim Investitionsgespräch kritischere Fragen gestellt als Männern. Einerseits können die Investoren zum Teil weniger etwas mit den Ideen von Gründerinnen anfangen, wenn sich diese vor allem auf weibliche Themenfelder und Probleme beziehen. Andererseits sind die Bewertungsstrukturen bei der Kapitalvergabe stark mit der Definition des rein technologieorientierten Start-ups und etablierten Gründerbildes verknüpft, kritisiert Viktoria Vorwachs. Andere Herangehensweisen werden demnach kaum berücksichtigt.

Mit dem Begriff Start-up werden neben hohen Erfolgsaussichten vor allem rasante Gewinne und ein schneller Exit verbunden. An dieser Definition angelehnt, besteht auf dem Markt ein Gründerideal, dass sich meist durch eine provokante Form der Selbstdarstellung auszeichnet und sich vor allem auf die als männlich geltende Herangehensweise bezieht. Der erfolgreiche Gründertyp präsentiert sich nicht nur als selbstsicher und zielstrebig, sondern kann mit hochangesetzten Zielen und Wachstumsaussichten die Investoren überzeugen. Das Problem: Frauen mögen nicht „diese Selbstdarstellung, dieses Übertreiben und dieses Überselbstbewusstsein, was Männer an den Tag legen“, beschreibt Alice Deißner vom Vodafone Institut.

Das auf dem Markt fest verankerte Ideal beeinflusst dabei nicht nur das Mindset der Investoren, sondern auch die Ausrichtung der Rahmenbedingungen des Marktes an der männlichen Vorgehensweise. In der Studie „#femalestartupsnds“, die vom Projekt GründerinnenConsult veranlasst wurde, konnte als weitere Herausforderung für Gründerinnen die festgefahrenen Strukturen der Startup-Kultur abgeleitet werden. „Frauen wollen mit dem, was sie tun, überdurchschnittlich häufig einen Mehrwert stiften“, erklärt Viktoria Vorwachs die Motivation bei weiblichen Gründungen. Laut dem FFM machen Gründerinnen zu 49,6 Prozent ihr Geschäftsmodell an gesellschaftlichen Problemstellungen fest und „bilden damit eine wichtige Säule modernen Unternehmertums.“ Gründerinnen definieren Erfolg nicht ausschließlich darüber, schnell Gewinne zu erwirtschaften, sondern vielmehr legen sie den Fokus auf einen nachhaltigen Gründungsprozess. „Dabei steht nachhaltiges Denken und Wachsen immer noch sehr konträr zur allgemeinen Definition eines Start-ups“, kritisiert Vorwachs die bestehenden Strukturen.

Die Start-up Kultur muss sich öffnen und so verändern, dass zwischen Mehrwert und Profit kein Widerspruch mehr besteht. „Ein Start-up kann durchaus ein stark wachsendes und innovatives Unternehmen sein, was aber eben auch eine solide Basis, eine nachhaltige Ausrichtung und einen Mehrwert für die Gesellschaft vorweisen kann“, führt Vorwachs aus. Deshalb müssen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die verschiedensten Herangehensweisen auf dem Markt integriert werden können. Mit Blick auf die Frauenförderung gilt auf Seiten der Finanzierung zum Beispiel Kredit- und Investitionspakete zu gestalten, die auch niedrige Investmenthöhen zulassen. Zudem müssen erfolgreiche Unternehmerinnen in der Öffentlichkeit mehr präsentiert werden, „sodass erreicht wird, dass es ganz normal ist, dass eine Frau ein Technologie Start-up gründet“, so Vorwachs.

Mut hängt mit Vorbildern und Netzwerken zusammen

Auf dem deutschen Start-up Markt fehlen jedoch gerade weibliche Vorbilder. Auf den Bühnen der Messen und in den Medien sind kaum erfolgreiche Gründerinnen zu sehen, an denen sich junge Frauen ein Beispiel nehmen könnten. Über die Hälfte der befragten Gründerinnen der Vodafone Studie kritisierten das Fehlen von Mentorinnen und Vorbildern. „Sichtbarkeit ist eines der wichtigsten Dinge, je mehr es selbstverständlich wird, desto mehr Frauen werden auch in die Bereiche reingehen!“, sagt Martina Machulla vom Verband Deutscher Unternehmerinnen. Mit dem Medienangebot „Frauen unternehmen“ versucht das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erfolgreiche Unternehmerinnen mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen. Mithilfe von Mentorinnenprogrammen wie das „TWIN“ Programm der Käte-Ahlmann Stiftung werden Projekte geschaffen, die jungen Gründerinnen ermöglichen, von den Erkenntnissen erfahrener Unternehmerinnen zu profitieren.

Die Gründer Michelle Grüne und Arved Bünning des Start-ups Amberskin haben bisher positive Erfahrungen als gemischtes Team auf dem Start-up Markt gemacht und möchten vor allem Frauen die Angst davor nehmen zu gründen.

Der Austausch mit anderen Gründenden in der Start-up Branche ist das A und O, sodass insbesondere „das Bilden von Netzwerken ein entscheidender Faktor der Förderung ist“, erklärt Julian Räke von der Zukunft GmbH Braunschweig. Martina Machulla sieht in Netzwerken vor allem die Möglichkeit „Frauen in ihrem Mut zu unterstützen, da das darüber sprechen mit anderen und sehen, dass es funktioniert“, besonders wichtig für junge Gründerinnen ist.

Anikó Merten und Joachim Casper haben mit dem GründerinnenForum in Braunschweig ein Netzwerk gegründet, das speziell auf Frauen ausgerichtet ist. Ihnen sind in ihrer Tätigkeit mit Gründenden die Unterschiede zwischen den Geschlechtern besonders aufgefallen. Sie haben beobachtet, dass es Frauen eher schwerfällt, sich zu öffnen, wenn sie in gemischten Räumen sind, da sie sich zunehmend von den Männern verunsichern lassen. Das GründerinnenForum soll „wie ein sicherer Hafen sein für Frauen, wo sie sich mit anderen austauschen und voneinander lernen können“, erzählt Anikó Merten. „Wenn das eine reine Frauengruppe ist, dann entsteht mehr ein Empowerment, weil die Frauen besser mitgenommen werden und sich wahrgenommen fühlen“, begründet Joachim Casper die Notwendigkeit zielgruppenorientierter Unterstützung.

Neben privaten Vereinen wurde vom Staat die „bundesweite gründerinnenagentur“ (bga) ins Leben gerufen, die als Informations- und Servicezentrum für Gründerinnen und Unternehmerinnen gilt und Frauen ein branchenübergreifendes Angebot an Information, Beratung, Weiterbildung und Vernetzung liefern soll. Cornelia Klaus vom Projekt GründerinnenConsult, dem niedersächsischen Ansprechpartner der bga, betont dabei, dass junge Frauen aus den offenen und frauenspezifischen Angeboten der Wirtschaftsförderung öfters die Frauenspezifischen wählen, da sie sich von den Beraterinnen eher verstanden fühlen.

Vorbilder und Netzwerke sind erste Maßnahmen, jedoch sollte die Förderung von Frauen auf dem Start-up Markt nicht nur an der Oberfläche des Problems kratzen. Bis eine Chancengleichheit zwischen Gründerinnen und Gründern in der Branche erreicht wird, ist noch viel Arbeit zu leisten. „Frauenförderung ist kein Selbstläufer,“ so Cornelia Klaus. Es muss erkannt werden, dass die Geschlechter unterschiedlich handeln und dementsprechend auch verschiedene Rahmenbedingungen benötigen, um erfolgreich ein Unternehmen aufzubauen. Dafür muss sich die Start-up Kultur öffnen und vor allem die verschiedensten Herangehensweisen ans Gründen integrieren. Das Ziel der Frauenförderung ist dann erreicht, wenn die Innovation im Vordergrund steht und die Frage des Geschlechts keine Rolle mehr spielt.

Information zur Studie „#femalestartupsnds“:

Im Rahmen des Landesprogrammes FIFA konnte mit europäischen Mitteln und Mitteln der Ministerien für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung sowie Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung die bisher einzige niedersächsische frauenspezifische Studie zu diesem Thema ermöglicht werden, die sich diesen Fragen gewidmet und konkrete Handlungsempfehlungen für Akteur*innen des Startup-Ökosystems entwickelt hat. Die hannoverimpuls GmbH, Wirtschaftsfördergesellschaft von Stadt und Region Hannover, hat in seinem FIFA-Modellprojekt „Female Start-ups“ das Forschungsprojekt initiiert, und koordiniert sowie die Handlungsempfehlungen entwickelt. Die Studie wurde in Kooperation mit der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, Juniorprofessur Female Entrepreneurship realisiert, die verantwortlich für Studiendesign und –durchführung war.

Total
0
Shares
Ähnliche Beiträge
Mehr lesen

Fußball: Alles nur noch Kommerz?

Vor 46 Jahren kam der Kommerz in den Fußball: Als erster Verein präsentierte sich die Eintracht Braunschweig mit einem Trikotsponsor. Mit dem Jägermeisterhirsch hat die Kommerzialisierung in Deutschlands Fußballoberhaus Einzug erhalten. Linus Burkel sorgt sich um den Sport.
VON Linus Burkel
Mehr lesen

Was taugen Persönlichkeitstests?

Wir sind die Generation, die auf der Suche nach Antworten ist. Wir hinterfragen. Wir suchen nach Lösungen. Persönlichkeitstests sollen Antworten liefern. Doch wie viel Persönlichkeit steckt in solchen Verfahren?
VON Angelique Domke