Tanzen statt Knast

Mit einem Bein im Knast, mit dem anderen auf dem Tanzparkett. Hanno Liesner gründete auf Umwegen das Projekt Funky Movement. Dabei folgte er seiner größten Leidenschaft – dem Tanzen.

Der Eingang verbirgt sich in einer kleinen Einbuchtung, ab von der Bremer Straße. Mitten in Münster. Eine schmale Spindeltreppe führt zum Herzen des Hauses. „Funky e.V.“ steht auf einem großen, lilafarbenen Plakat. Mit jeder bewältigten Stufe werden Stimmen immer deutlicher zu hören. Dynamische Musik schwingt aus einem der Räume und regt zum Mittanzen an. Im Zentrum des Hauses warten zirka 40 strahlende Tänzer auf den Beginn ihres Trainings. Eine kunterbunte Truppe. Eine Atmosphäre zum Wohlfühlen. Unter ihnen ein Mädchen, die einen Flyer von den Funkies in der Hand hält. Sie zeigt mit ihrem Finger gezielt auf einen jungen Mann. „Das hier ist mein Freund.“ Das Mädchen hat Downsyndrom. Der Mann auf den sie zeigt, ist ihr Coach Hanno Liesner.

Hanno steht mitten im Raum, ein breites Grinsen auf dem Gesicht, umgeben von seinem Ensemble. Seinen Tänzern und Kollegen. „Es vergeht kein Tag im Jahr, an denen die Funkies nicht im Mittelpunkt meines Lebens stehen.“ Das war nicht immer so.

Sex, Drugs and Rock’n’Roll: Hanno blickt auf eine Zeit voller Abenteuer zurück. Er arbeitete als Animateur auf Ibiza. Partys, Alkohol und Drogen bestimmten sein Leben. Bis er in eine Polizeikontrolle geriet. Er fuhr in betrunkenem Zustand Auto. So kehrte er nach Deutschland zurück, mit der Auflage 365 Sozialstunden ableisten zu müssen. Hannos Weg führte zur Lebenshilfe nach Münster. „Hätte ich nicht so eine Aufgabe in meinem Leben gefunden, an die ich mich so festhalten kann, dann hätte mein Leben sicherlich im Knast oder in der Gosse geendet.“

Über Umwege zur eigentlichen Leidenschaft

Als Hanno klein war, wollte er Werbekaufmann werden. Er schmunzelt. „Ich habe immer schon an etwas Kreatives gedacht.“ Eins war schon früh klar: „Der Junge muss tanzen“. Hannos größte Leidenschaft? Das Tanzen. „Bereits mit sechs Jahren wurde ich zum Rock’n‘Roll angemeldet.“ Er lacht. Hanno erzählt von seinem großen Potpourri an Dingen, die er bereits gemacht hat. Er ist gelernter Hotelkaufmann und Choreograph. Zwischenzeitlich arbeitete er als Produktmanager bei einem Pharmaunternehmen. „Was Schönes auf die Bühne bringen, zu präsentieren, das war immer schon mein Beruf.“

Erst seit einem Jahr ist Hanno fest beim Funky e.V. angestellt. Er verdient dort kleines Geld. Seine Selbstständigkeit im Bereich PR, Eventmanagement und Moderation ist deshalb unabdingbar. „Meine Mitbewohnerin und ich haben das Projekt am Anfang alleine finanziert. Keiner wollte uns Geld geben, weil niemand an dieses Projekt geglaubt hat.“ Die Gründung und Führung hat Hanno ehrenamtlich gemacht. Nebenbei arbeitete er immer in einer Vollzeitstelle. „Mir begegnet auch immer wieder Neid in meinem Leben. Aber es gab auch Zeiten, da wusste ich nicht, wovon ich mir Essen kaufen sollte. Ich musste mich durchkämpfen.“ 60 bis 80 Stunden arbeitet er pro Woche, immer erreichbar. „Zugefallen ist mir in meinem Leben gar nichts, außer mein tolles Elternhaus.“

Stolz ist er vor allem auf seine Tänzer. „Weil ich mich mit den Tänzern identifiziere. Sie stehen auf der Bühne und verkörpern meine Emotionen.“ Ihn motiviert zudem das Vorantreiben der Inklusion. Für den Funky e.V. möchte er zukünftig noch vieles erreichen. Ein Umzug steht vor der Tür, da die Tanzschule zu klein und nicht barrierefrei ist. „Wenn es um meine Person geht bin ich stolz darauf, dass ich alle Fäden zusammenhalten kann mit Sponsoren, Ehrenamtlern, Aushilfen und den Tänzern.“

Den Schlüssel zum Erfolg sieht Hanno darin, Dinge auszuprobieren, aber niemals den Zeitpunkt zu verpassen aufzuhören, wenn man dabei Bauchschmerzen hat. „Erfolg ist für mich, wenn ich einen Job habe, der mich ausfüllt, mich fordert, der mir Spaß macht und der mir ein halbwegs sorgenfreies Leben beschert.“ Es gibt Dinge in seinem Leben, die Hanno bereut. „Ob ich irgendwas anders machen würde kann ich gar nicht sagen. Ich glaube nicht. Alles hat mich in irgendeiner Weise weitergebracht und mir Erfahrung geschenkt.“ Hanno hat sein persönliches Lebensabenteuer gefunden. Auf Umwegen. „Ich war für mich eigentlich schon angekommen. Hier bei den Funkies ist mein Herz.“

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