Teenie-Mütter – Erwachsenwerden in 38 Wochen

„Bist du die Schwester oder etwa selbst die Mama?“ Junge Mütter treffen oft auf Entsetzen, Kritik und Vorurteile. Dass sie sich ganz allein um einen kleinen Menschen kümmern können, traut man ihnen kaum zu.

Negative Reaktionen sind für viele Teenie-Mamas, wie die Mütter im Alter von circa 14 bis 19 Jahren spätestens seit dem bekannten RTL II-Format nur noch genannt werden, Alltag. Schiefe Blicke oder Anfeindungen sind oft das erste, was ihnen mit Blick auf ihren Babybauch oder den Kinderwagen begegnet.

Die psychische Belastung ist schwerwiegender als die physische

Aber was genau macht eine Schwangerschaft für die Jugendlichen so schwierig? Das sei vor allem die psychische Belastung, weniger die physische. Rein körperlich sind Mädchen ab dem Einsetzen der Regelblutung genauso für eine Schwangerschaft bereit, wie ältere Frauen – wenn nicht sogar besser. Alle Organe sind voll ausgebildet und der Körper ist noch vitaler, als der reiferer Frauen. „Diese gehören, im Gegensatz zu Jugendlichen, zur Risikogruppe während der Schwangerschaft“, berichtet Gynäkologe Lothar Eisfeld.

In seiner Berufslaufbahn hatte er in mehreren Fällen mit jugendlichen Müttern zu tun, die oft mit psychischen Problemen kämpften. „In solchen Fällen habe ich die jungen Frauen schon früh an Hebammen oder Therapeuten weitergeleitet. Da kann ein Frauenarzt wenig helfen.“ Aus seiner Erfahrung berichtet der pensionierte Arzt, dass das Phänomen Teenie-Schwangerschaft in Großstädten verbreiteter ist, als auf dem Land. Der Umgang mit Sexualität, Liebe und Verhütung sei dort offener, und der erste Kontakt mit den Themen früher. Genauso glaubt er, dass die Zahl der jungen Schwangeren über die Jahre zurückgegangen ist. Die Situation, Chancen und Reaktionen in der Gesellschaft seien besser geworden. Besser als noch vor 26 Jahren. Damals verbrachte die Abiturientin Cordula ein Aupairjahr in Spanien. Sie war gerade 19 Jahre alt. Dass sie beim Abflug schon schwanger war, wusste sie zu dem Zeitpunkt noch nicht.

 

Sozialarbeiterin empfindet Zahl der Schwangeren konstant

Ganz anders als der Arzt aus Schleswig-Holstein sieht das Sozialarbeiterin Kristina Schmitz. Sie arbeitet seit zehn Jahren in der ProFamilia-Beratungsstelle Braunschweig mit jungen Schwangeren und ihrem Umfeld zusammen. Jeden Donnerstag betreut sie in einem Jugendtreff eine Teens plus Babys-Gruppe – ein wöchentlicher Treffpunkt für Schwangere und werdende Mütter bis 21 Jahre. Die Frauen sollen die Möglichkeit haben, Gleichaltrige in ähnlichen Situationen kennen zu lernen und sich auszutauschen. „Ich habe das Gefühl, dass die Zahl relativ konstant bleibt“, sagt Schmitz. „Hier in der Region kommen eigentlich seit Jahren in etwa gleich viele Jugendliche in die Beratung. Und auch die Probleme sind zwar immer individuell, im großen Ganzen aber doch die gleichen. Die Mädels sind halt noch Teenager. Natürlich spielen Pubertät, der erste Freund und Stress mit Mama und Papa eine große Rolle.“ Die werdenden Mütter haben also mit dem ganz normalen Teenie-Wahnsinn zu kämpfen. Welche Sorgen, Probleme, und Vorurteile eine Schwangerschaft mit sich bringen würde, darüber haben sich Siebt- bis Zwölftklässler einer Schule in Schleswig-Holstein Gedanken gemacht.

Das Kind als Ausschlusskriterium für eine berufliche Zukunft?

Neben den aktuellen Problemen müssen sich alle jungen Frauen auch mit dem beschäftigen, was nach der Geburt erst einmal weit weg scheint – der eigenen Zukunft: Ist eine Auszeit von der Schule oder der Ausbildung sinnvoll? Oder lassen sich Kind und Bildung miteinander vereinbaren? Ein neues Auszeitgesetz, das im Januar 2018 in Kraft getreten ist, bietet neue Perspektiven. Der nun festgelegte Mutterschutz ermöglicht den Mädchen, sich sowohl sechs Wochen vor der Geburt als auch acht Wochen nach der Geburt von Unterricht, Studium oder Ausbildung beurlauben zu lassen – vorher war das nicht möglich. Dadurch waren bis 2018 viele junge Mütter gezwungen, die Schule abzubrechen, die Ausbildung zu schmeißen und ihre Zukunftsperspektiven einzuschränken. Zu ihnen gehörte auch Rosalie. Sie war 15 Jahre alt und Schülerin der neunten Klasse, als sie herausfand, dass sie Mutter werden würde.

Neben der beruflichen Laufbahn sieht Schmitz von ProFamilia das Problem auch noch an anderer Stelle: „Nach unserer Erfahrung sind die Schwangeren oft aus Problemfamilien. Häufig Schulabbrecherinnen, die auch dem Jugendamt schon bekannt sind. Über die Zukunft machen die sich da erst mal noch gar keine Gedanken, aber Angst haben sie natürlich trotzdem.“

„Gesellschaftlich muss sich noch einiges tun“

Wichtig ist der Sozialarbeiterin dennoch, dass nicht pauschalisiert wird, wie es gesellschaftlich häufig gang und gäbe ist: Den Müttern wird oft nicht zugetraut, sich ausreichend zu kümmern und die Verantwortung der Mutterrolle zu tragen. Sie werden von Fremden, Freunden oder der eigenen Hebamme negativ abgestempelt. Das ist zum Beispiel Melena nach der Geburt ihres Sohnes passiert.

Das Thema Teenie-Mütter hat viele Facetten und es werden unterschiedliche Meinungen vertreten. Jeder Blickwinkel setzt unterschiedliche Schwerpunkte. Ein Rat, bei dem sich aber alle einig sind, ist, dass alles kann und nichts muss. Jede Mutter sollte ihre persönlichen Erfahrungen machen und eigene Entscheidungen treffen. Dass dazu auch Fehler gehören, aus denen man lernt, ist wie in jedem anderen Lebensbereich normal. Und bei all der Diskussion über das Thema, sollte immer noch das Wohl von Kind und Familie im Vordergrund stehen.

Teenie-Schwangerschaften – Was muss man wissen?

Offizielle Zahlen zu U-20-Schwangerschaften in Deutschland werden lediglich vom statistischen Bundesamt veröffentlicht. Die aktuellsten Zahlen aus dem Jahr 2017 zeigen, dass circa 7.000 Mädchen im Alter unter 20 Jahren Mutter geworden sind. Die Zahl der U20-Schwangerschaften ist außerdem von Jahr zu Jahr rückläufig. Zusätzlich zu dieser offiziellen Zahl gibt es allerdings eine große Dunkelziffer Sie entsteht, weil nicht alle Krankenhäuser ihre Zahlen veröffentlichen und Geburten in Hebammenpraxen sowie Hausgeburten nicht berücksichtigt werden. Deswegen sehen Experten die tatsächliche Zahl deutlich höher – sie wird auf doppelt so groß eingeschätzt. In der Region 38 scheint also weiterhin großer Bedarf an Hilfe zu sein. Beratungsstellen sind beispielsweise die Caritas, Donum Vitae oder ProFamilia. In der Umgebung sind alle Organisationen in Braunschweig, Salzgitter, Wolfenbüttel, Wolfsburg oder Goslar vertreten. Genauso werden örtlich eingerichtete Familienhebammenstellen, die junge Familien über die Geburt hinaus begleiten, immer populärer.  Auch wenn seit Jahren die Zahl der deutschlandweiten Schwangerschaftsabbrüche sinkt, im Jahr 2017 haben sich allein 101.209 Frauen für diesen Schritt entschieden. Wie aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervorgeht, waren im vergangenen Jahr auch circa 8.000 unter 20-Jährige darunter.

Die Schwangerschaft abbrechen oder das Baby behalten?

Wenn sich die Mutter für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, gibt es einige Richtlinien, die erfüllt werden müssen.

Sorgerecht für Minderjährige?

Entscheidet sich die Mutter jedoch für ihr Ungeborenes, kommen neben den ganz normalen Muttersorgen auch noch weitere Komplikationen auf sie zu. Dann müssen Regelungen gefunden werden, die den jungen Familien den bestmöglichen Start bieten. Beispielsweise ist es U18-Eltern nicht erlaubt, das Sorgerecht für ihr Neugeborenes zu tragen. Die rechtliche Grundlage zu diesem Thema erklärt Sozialarbeiterin Kathrin Dlugosch von ProFamilia

Wer zahlt Unterhalt?

Gerade minderjährige Mütter leben häufig noch mit ihren Eltern zusammen, und die wenigsten bleiben mit dem Kindsvater liiert – gerade bei der ersten Teenager-Liebe. Finanzielle Sorgen sind da vorprogrammiert. Dass alle Mütter ein Recht auf finanzielle Hilfe haben, wissen die wenigsten. Neben dem normalen Kindergeld kann zum Beispiel eine Erstlingsausstattung beim Jugendamt beantragt werden. Genauso steht den Alleinerziehenden Unterhalt zu.

…und was ist mit dem Vater?

Wenn Dir als Leser bei all diesen Beiträgen die männliche Perspektive zur jungen Schwangerschaft fehlt, hast Du recht. Im Verlauf der Recherche haben wir versucht verschiedene Teenie-Väter zu Statements zu bewegen – leider ohne Erfolg. Das könnte daran liegen, dass jungen Eltern immer noch ein negativer Stempel aufgedrückt wird. Nicht nur diverse TV-Formate unterstützen das weiterhin, auch zu wenig Information und nicht richtig kommunizierte Hilfe spielen hier mit rein. Sozialarbeiterin Kathrin Dlugosch berichtet aus ihrer Berufserfahrung aber auch, dass sich die Väter bei den großteils ungewollten Schwangerschaften eher zurückhalten. Viele Beziehungen halten nicht über die Schwangerschaft hinaus. Die Väter haben häufig wenig Kontakt und geben Erziehung und Verantwortung an die Mütter ab.

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