Mit dem ersten Lockdown 2020 sind nicht nur die Corona-Infektionszahlen gestiegen, sondern auch die Zahl der Vierbeiner in den deutschen Haushalten. Offizielle Zahlen bestätigen den Haustier-Boom. Laut einer Statistik des Industrieverbandes Heimtierbedarf ist die Zahl der Heimtiere allein im Zeitraum von 2019 bis 2020 um eine Million auf fast 35 Millionen Haustiere in Deutschland gestiegen. Im Vergleich zu den Vorjahren ist dies ein enormer Anstieg. Dabei sind insbesondere Katzen unter den Deutschen sehr beliebt und werden vermehrt gekauft. Im Zeitraum von zwei Jahren ist die Anzahl der Hauskatzen um rund zwei Millionen gestiegen. Und auch die Anzahl der Hunde nahm in den letzten Jahren immer weiter zu. Hier ist ein eindeutiger Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sowie den damit verbundenen Lockdowns und Home Office-Tätigkeiten zu verzeichnen.
Auch die zunehmenden Ausgaben für den Heimtierbedarf bestätigen den Haustierzuwachs. Laut des Zentralverbands Zoologischer Fachbetriebe ist der Umsatz der Heimtierbranche in Deutschland um gute zehn Prozent auf circa sechs Milliarden Euro angestiegen. HaustierbesitzerInnen gaben dabei vor allem Geld für Futter aus, aber auch verschiedene Bedarfsartikel und Zubehör wurden vermehrt nachgefragt und erworben.
Haustier-Boom – und nun?
Zunächst hat es den Anschein gemacht, als hätte der Haustier-Boom nicht allzu negative Folgen. Vielen Familien schenkte der neue Vierbeiner Trost in einer hoffnungslosen Zeit, die von Kontaktbeschränkungen, Lockdowns und Einsamkeit geprägt war. Doch mit der immer weiter voranschreitenden Rückkehr zur Normalität ist auch der gewohnte Alltag zurückgekehrt. Inzwischen haben einige frische TierbesitzerInnen gemerkt, dass ihr Corona-Familienzuwachs neben Arbeit, Familie und Hobbys gar nicht so leicht zu händeln ist. „Viele Leute dachten, sie haben Home-Office und viel Zeit. Doch dann geht es wieder ins normale Leben zurück und auf einmal passt das neue Haustier nicht mehr rein.“, erzählt Nicole Schatz, Tierpflegerin im Tierheim Salzgitter. Besonders neue HundehalterInnen fühlten sich schnell überfordert. „Viele haben sich die Tiere unüberlegt angeschafft. Manche hatten vorher zum Beispiel noch nie ein Haustier und somit gar keine Erfahrung.“, meint Nicole. Vor allem Junghunde fordern viel und oft unterschätzen die frischen BesitzerInnen die erforderliche Arbeit und Erziehung. Die zeitweise coronabedingte Schließung der Hundeschulen erschwerte die Situation zusätzlich. Und auch seit der Wiedereröffnung der Hundeschulen besteht keine Garantie, in einen Kurs zu kommen, denn durch den enormen Anstieg der Haushunde sind die Plätze begehrt und die Wartelisten lang. Die Überforderung steigt, der Zeitmangel nimmt zu. Für viele Corona-Vierbeiner lautet das Urteil dann leider Tierheim.
Auch der Tierschutz in Salzgitter bemerkte in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg an abgegebenen oder ausgesetzten Tieren. „Nach der Corona-Anfangszeit klingelte bei uns täglich das Telefon mit sehr vielen Abgabeanfragen.“, erklärt Tierpflegerin Nicole. Doch auch bei Tierheimen ist der Platz nicht unbegrenzt. Wenn die Kapazitäten aufgebraucht und die Plätze in den Gehegen besetzt sind, können keine weiteren Tiere aufgenommen werden. In Salzgitter ist dieser Zustand im Juni 2021 eingetreten. „Bei den ganzen Anfragen konnten wir irgendwann nicht mehr alle aufnehmen.“, ergänzt die Tierheimmitarbeiterin. Kurze Zeit später war auf der Homepage des Tierschutzes Salzgitter folgende Meldung zu lesen: „Wegen Überfüllung – Aufnahmestopp!“ Fatalerweise hat dies dazu geführt, dass immer mehr Tiere ausgesetzt wurden. Mit diesem Problem haben die Tierheime auch jetzt noch zu kämpfen. In Salzgitter ist dies vor allem bei Kaninchen der Fall. „Der Stadtpark in Lebenstedt ist der neue Hotspot.“, weiß Nicole. In den letzten Monaten hat das Tierheim mindestens sieben Kaninchen gefunden, die dort ausgesetzt worden sind – manchmal in Kartons oder ganzen Käfigen, teilweise irgendwo angebunden oder einfach abgesetzt.
Tinder für Tiere will überfüllte Tierheime unterstützen
Gerade zu diesen Zeiten sind die Tierheime äußerst bemüht, für so viele Tiere wie möglich ein neues Zuhause zu finden. Doch der Vermittlungsprozess ist aufwendig und kostet viel Zeit. Zusätzlicher Personalmangel in vielen Tierheimen erschwert den Prozess weiterhin. Und auch für Tiersuchende ist es nicht einfach, ein neues Familienmitglied zu finden, das wirklich zu einem passt. Denn jedes Tierheim nutzt andere Plattformen, Verfahren und viel Bürokratie, um letztendlich ein Tier vermitteln zu können. Vier Studenten aus Magdeburg haben es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Problemen entgegenzuwirken und den Prozess der Tiervermittlung zu vereinfachen. Seit Sommer 2021 entwickeln sie in diesem Zuge die App FindUs. Die kostenlose App soll sowohl die Tierheime unterstützen als auch diejenigen, die gerade auf der Suche nach einem neuen Haustier sind. Können Nicole, ihre MitarbeiterInnen und die Tiere damit auf eine bessere Zukunft hoffen? Das Design der FindUs-App erinnert stark an die Dating-Plattform Tinder. Und auch das Prinzip funktioniert ähnlich, nur mit Tieren anstatt mit Menschen.
So funktioniert FindUs:
Für Tierheime:
1. Ein Foto des zu vermittelnden Tieres machen
2. Daten über das Tier angeben (Name, Alter, Geschlecht, besondere Hinweise, etc.)
3. Warten bis jemand das Tier zu seiner Favoritenliste hinzufügt
Für Tiersuchende:
1. Den integrierten Selbstauskunfts-Fragebogen ausfüllen (Infos zur Wohnsituation, Kinder im Haushalt, Rauchen, etc.)
2. Alle passenden Tiere werden angezeigt
3. Gefällt dir das Tier = nach rechts swipen, Tier wird automatisch zur Favoritenliste hinzugefügt, Kontakt zum Tierheim wird hergestellt
4. Gefällt dir das Tier nicht = nach links swipen, das nächste Tier erscheint auf dem Bildschirm
Ein Match entsteht, wenn die Daten des Tieres mit den angegebenen Daten des Tiersuchenden kompatibel sind. Sebastian Ries, einer der Gründer von FindUs, veranschaulicht das Vorgehen: „Der Tiersuchende gibt zum Beispiel an, dass er in einer 30 Quadratmeter Wohnung lebt und deshalb wird ihm dann kein Husky vorgeschlagen. Oder ich bin Raucher und dann wird mir keine asthmakranke Katze angezeigt.“
Bei der Gestaltung ist die App jedoch nicht die erste, die sich an Tinder orientiert. Auch Patzo – eine Plattform für Dogsitting und Gassi-Service – nutzt das Prinzip swipen und matchen. Der Unterschied zu FindUs besteht in der Funktion. Denn FindUs legt seinen Fokus insbesondere auf die Beschleunigung des Adoptionsprozess von Tieren und integriert somit neben Privatpersonen auch Tierheime in die App. Für diese sei die Nutzung von FindUs laut Sebastian eine deutliche Zeitersparnis und damit ein großer Nutzen: „Wir haben mit den Tierheim-MitarbeiterInnen gesprochen und sie sagen, dass sie durchschnittlich etwa zwei Stunden brauchen, um ein Tier zu inserieren. Das ist ziemlich viel Zeit, die nicht genutzt werden kann, um sich um die Tiere zu kümmern.“ Mit FindUs dauere es nur zehn Minuten. Des Weiteren biete die App die Möglichkeit an, das Profil mit vorhandenen Social Media-Kanälen zu verknüpfen. „Das heißt, die Tierheime können mit einem Klick nicht nur in der App posten, sondern auch auf Instagram und Facebook, ohne das Ganze nochmal tippen zu müssen.“, ergänzt der Mitgründer. Mithilfe dieser Funktion wird nicht nur Zeit gespart, sondern auch eine größere Reichweite erzielt. Der geringe Aufwand und die einfache Nutzung der App soll den Vermittlungsprozess von Tieren deutlich beschleunigen – und das unabhängig von der Art des Tieres. Denn auch wenn die Fotos auf der Website der App vermuten lassen, dass sie nur für die Vermittlung von Katzen und Hunden geeignet ist, sind alle Tiere bei FindUs willkommen. Auch Wellensittiche, Kaninchen oder Meerschweinchen können vermittelt werden.
Die Idee hinter der App
Die Initialidee kam den Magdeburger Studenten durch den Podcast „Gemischtes Hack“ von Felix Lobrecht und Tommi Schmitt. In einer Folge reden die zwei Podcaster darüber, dass es lustig, aber auch praktisch wäre, wenn es Tinder für Tiere gäbe. Doch auch eine intrinsische Motivation spielte bei der App-Entwicklung eine Rolle, denn die FindUs-Gründer haben selbst eigene Erfahrungen gemacht. Sebastian erzählt: „Ich habe mit meiner Freundin auf den üblichen Tierheimseiten im Internet nach einem Hund gesucht. Und da haben wir schnell gemerkt, dass das echt nervig ist, weil viele Seiten gar nicht aktuell sind. Das macht überhaupt keinen Spaß.“ FindUs solle genau diesen Suchprozess vereinfachen. Die Rückmeldung, die die Studenten bereits für ihre App erhalten haben, sei bis jetzt durchweg positiv. Und das sowohl aus der Sicht von Privatpersonen als auch von den Tierheimen.
Auch das Tierheim in Salzgitter hat bereits von FindUs gehört und findet die Idee interessant. Laut Nicole Schaltz funktioniere der tierheimeigene Vermittlungsprozess in Salzgitter momentan schon recht gut. Lediglich bei der Vermittlung der Hunde könnte sie sich vorstellen, aus der App einen Nutzen ziehen zu können. „Denn unsere Website ist leider nicht immer so ganz aktuell.“, fügt die Tierpflegerin hinzu.
In Zukunft soll FindUs jedoch nicht nur Tierheime und Tiersuchende unterstützen, sondern auch diejenigen, die bereits ein eigenes Haustier haben. Die App-Gründer haben in diesem Zuge vor, die bisherigen Funktionen der App auszubauen und zu erweitern. „Wir wollen auf jeden Fall auch für Tierbesitzende verschiedene Features anbieten. Zum Beispiel Dogsitter, Hundekumpel für deinen Hund oder die beste Hundewiese in der Nähe“, erklärt Sebastian. Ob es die App allerdings schafft, sich hier gegenüber anderen bereits existierenden Angeboten, wie beispielsweise Patzo oder Hundelieb durchzusetzen, wird sich zeigen.
In der aktuellen Zeit ist es vor allem dringend notwendig, den Vermittlungsprozess der Tierheimtiere zu beschleunigen und damit abgegebenen Corona-Vierbeinern ein neues Zuhause zu schenken. Ob FindUs jedoch wirklich dazu beitragen kann, dieses große Problem zu beseitigen, bleibt abzuwarten. Wenn die App halten kann, was sie verspricht, könnte dies eine große Entlastung der Tierheime bewirken. Das unüberlegte Anschaffen von Haustieren kann FindUs jedoch nicht bekämpfen. Hier bleibt nur zu hoffen, dass sich Menschen mit Haustierwunsch in Zukunft genauer informieren und verantwortungsbewusster handeln.