Als Heinrich Schliemann, deutscher Kaufmann und Archäologe, im Jahr 1873 das antike Troja entdeckte, waren die Kunst der Archäologie und seine Methoden noch innovativ und neu. Nach Homers Legende über den trojanischen Krieg, der Ilias, vermutete Schliemann die historische Stadt vergraben unter Sand und Steinen inmitten des Osmanischen Reichs. Nach einer langen Suche entdeckte er den Schatz des Priamos und eine ganze altertümliche Stadt dazu. Eine Sensation, Schliemann selbst wurde, trotz seiner heute kritisch gesehenen Methoden, weltberühmt. In den kommenden Dekaden entwickelte sich die Archäologie von einem Hobby für Abenteuerreisende zu einer ernsthaften Wissenschaft.
Seitdem sind 150 Jahre vergangen und die Vorgehensweise für ArchäologInnen hat sich grundlegend verändert. Archäologie ist heute alltäglich, fast überall finden sich Bruchstücke aus längst vergangenen Zeiten. Forschungsreisen aus reinem Entdeckergeist sind selten geworden. Wissenschaftliche Fragestellungen ergeben sich meist aus den Befunden, die aus der Notwendigkeit her entstehen, diese vor der Zerstörung zu bewahren, zum Beispiel bei Bauprojekten.
Ein Befund im archäologischen Sinne sind die gefundenen Strukturen, zum Beispiel Mauern oder Bodenverfärbungen, oder der archäologische Fundkontext. Befunde sind, im Gegensatz zu Fundstücken, in der Regel nicht beweglich.
Nichtsdestotrotz erfreut sich die Archäologie auch heute noch eines starken öffentlichen Interesses. Doku-Reihen im Fernsehen und eine erhöhte Nachfrage nach Vorträgen und Exkursionen zu diesem Thema, zeugen von einem gesellschaftlichen Bedürfnis, welches ArchäologInnen heute nur allzu gerne erfüllen. Gegenwind gibt es meist nur, wenn Investoren Kosten übernehmen müssen.
Archäologie in Niedersachsen
Archäologie ist in Deutschland über die Länder organisiert, einzelne Städte oder Landkreise haben eigene Dienststellen. Das Regionalreferat Braunschweig des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege ist dabei für die gesamte Region des ehemaligen Regierungsbezirks Braunschweig zuständig, zwischen Wittingen in der südlichen Lüneburger Heide und Hannoversch-Münden an der Landesgrenze nach Nordhessen. Zuständig sind sie hauptsächlich für die Erfassung von Fundstellen, die Durchführung von Ausgrabungen und die Prüfung von Bauplanungen. Gearbeitet wird nicht projektorientiert, hauptsächlich wird der Bedarf, von allem was gefunden wird, abgedeckt.
„Archäologen finden, sie suchen nicht unbedingt“, so Michael Geschwinde, seit 1993 Referatsleiter des Instituts in Braunschweig. „Das Bild, dass in der Öffentlichkeit sehr häufig zu finden ist und an der Realität vorbeigeht, ist das des Archäologen, der durch das Land zieht und dann irgendwo in eine Baugrube guckt und dann einen tollen Fund entdeckt. Das ist eigentlich ein schlechter Archäologe. Der gute Archäologe ist der, der im Vorfeld prüft“, so Geschwinde. Aus Kosten- und Aufwandsgründen kann nur da ausgraben werden, wo man bereits im Vorhinein von einem Fund ausgeht. ArchäologInnen, die wie Indiana Jones nach der Bundeslade oder ähnlichen großen Goldschätzen suchen, gibt es nicht.
So wird schon in der Bauleitplanung auf ein archäologisches Potential geprüft und gegebenenfalls während der Baumaßnahmen jeder Schritt überwacht. Das Landesamt ist dabei in das gesamte Baugeschehen eingebunden. Je früher das passiert, desto erfolgreicher können solche Maßnahmen sein. Wenn nötig, werden auch Stromtrassen oder Autobahnen um ein Projekt herumgelegt, um langwierige und teure Ausgrabungen zu vermeiden.
Trotz aller modernen Technik ist die klassische Handarbeit der Archäologie im Berufsalltag nicht gänzlich verloren. Oft wird zum Beispiel zwar der Oberboden mit Hydraulik abgetragen, das wichtige Freilegen kann aber trotzdem noch mit der Hand geschehen. Fundstücke werden nach dem Freilegen geborgen und der Fundposition zugeordnet, danach dokumentiert und in die Dateien aufgenommen. Im Institut werden sie dann gewaschen, getrocknet, beschriftet und archiviert, der Prozess der wissenschaftlichen Auswertung beginnt danach. Dabei werden Funde fotografiert, zeichnerisch dokumentiert und analysiert, gegebenenfalls auch restauriert. Nur ein ganz kleiner Teil (zwei Prozent) des Gesamtbestandes wird dann von Museen übernommen, der Rest wird im Archiv verwahrt.
Verschiedene archäologische Welten
Die ältesten Fundberichte aus der Region stammen aus dem 16. Jahrhundert. So wurden die Lübbensteine bei Helmstedt, schon damals von der lokalen Universität und deren Gelehrten als antike Steingräber erkannt und beschützt. Als Symbol des Helmstedter Universitätslebens und als Teil von Freiluftvorlesungen verhinderte die Professur regelmäßig deren Zerstörung für anderweitige Bauprojekte.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es dann ein zunehmendes Interesse an Archäologie. War diese Profession zunächst ein Hobby für Gelehrte, Pastoren oder Lehrer, entwickelte sich die Archäologie zunehmend zu einer ernstzunehmenden Wissenschaft. Im Gebiet des heutigen Niedersachsens gibt es seit 1913 einen Landesarchäologen, der die archäologische Arbeit gebietsübergreifend betreut und leitet.
Dabei bieten die einzelnen Fundstellen ganz unterschiedliche archäologische Welten. Schon zwischen einzelnen Regionen in Niedersachsen unterscheiden sich die Befunde teils erheblich, angefangen bei anderen Kulturen und anderen Besiedlungen ergeben sich ganz verschiedene archäologisch wissenschaftliche Schwerpunkte.
In niedersächsischem Boden lassen sich dabei Funde und Befunde aus allen Epochen der Menschheitsgeschichte entdecken. So sind die Schöniger Speere, mit ihrem Alter von knapp 300.000 Jahren, die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Welt.
Das wohl größte und wichtigste aktuelle Projekt in der Region ist das Römerschlachtfeld am Harzhorn. Am Westrand des Harzes fanden um das Jahr 235 nach Christi mehrere Kampfhandlungen zwischen einigen tausend römischen Legionären und den lokalen Germanen statt. Zu den über 3.000 Fundstücken zählen viele Geschosse, wie Pfeil- oder Lanzenspitzen, Überreste römischer Wagen oder Rüstungsteile. Von hoher Bedeutung sind dieser Fund und die dazugehörige Datierung, weil solche großen militärischen Aktionen für diese Zeit und an diesem Ort für nicht möglich gehalten wurden. Die römische Geschichtsschreibung und der Einfluss des Reichs auf das Gebiet des heutigen Norddeutschlands mussten seitdem in einem anderen Licht betrachtet werden.
Moderne Methodiken
Auch die Ziele von ArchäologInnen damals und heute unterscheiden sich. Waren frühere Ausgräber häufig kaum von Grabräubern und Schatzsuchern zu unterscheiden, stehen heute andere Erkenntnisse im Mittelpunkt. „Archäologische Kunst ist es, nicht eine Scherbe, sondern ein Haus zu finden“, so Michael Geschwinde. Außerdem gibt es zunehmend Erkenntnisse, was alles als archäologische Quelle nutzbar gemacht werden kann. So können heute Bakterien in antikem Boden Auskünfte über dessen Nutzung geben. Boden, dem vor 100 Jahren noch niemand Bedeutung geschenkt hat. Aus fossilen Pollen können WissenschaftlerInnen heute die ganze Umwelt rekonstruieren. So lassen sich erst seit wenigen Jahren mit aDNA (von englisch ancient DNA‚ „alte DNA“) zum Beispiel Verwandtschaftsbeziehungen von Menschen klären, die schon viele tausend Jahre tot sind. Es können so unter anderem das Alter und die Todesursache, oder die Herkunft der ersten Menschen in Europa festgestellt werden. Zusätzlich können heute unter anderem Luftbilder wichtige Erkenntnisse über ehemalige Baustrukturen aufzeigen. Mit der sogenannten „Archäoprognose“ können so umfassende Erkenntnisse schon im Vorhinein einer wissenschaftlichen Fragestellung gewonnen und eine immer bessere Planung für archäologische Maßnahmen entwickelt werden.
2022 wäre Heinrich Schliemann 200 Jahre alt geworden, von den Methoden, die der heutigen Welt einen Einblick in längst vergangene Zeiten bieten, konnte er damals nur träumen.