Wann sind wir am Zug?

Der Bus ist zu spät und vom Zug nach Braunschweig sieht man nur noch die Rücklichter. Nun heißt es warten. Tim Gerhold kennt das nur zu gut. Eine Kolumne über den ÖPNV in Salzgitter.

Ein eisiger Novembersonntag, kurz nach 15 Uhr am Bahnhof Lebenstedt in Salzgitter. Eigentlich hätte ich hier in meinen Zug nach Braunschweig steigen sollen, aber daraus wird nichts. Denn der Bus hatte Verspätung und so ist der Zug längst weg. Und mit ihm der Tatendrang, der mich in die Unibibliothek der Löwenstadt tragen sollte. Der nächste Zug kommt erst in einer Stunde. Aber eine ganze Stunde im winterlichen Lebenstedt klingt nun wirklich nicht nach Spaß, oder? Da fahre ich lieber wieder nach Hause und versuche mein Glück unter der Woche erneut.

Alle 30 Minuten nach Braunschweig

Ich bin vor gut drei Monaten aus Kassel nach Salzgitter gezogen, um mein Studium an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaft zu beginnen. Ärgerlicherweise war es mir bisher nur sehr selten vergönnt, pünktlich mit dem Bus an meinem Ziel anzukommen. Verwundern sollte das einen aber nicht. Schließlich sorgt die für eine Großstadt doch recht eigenartige Struktur Salzgitters dafür, dass Busse ellenlange Routen abfahren, des Öfteren in Staus stehen oder, wie etwa in Gebhardshagen, gefühlt an jeder Laterne halt machen. Vor allem an Wochenenden ist es daher besonders bitter, seinen Anschlusszug zu verpassen.

Fairerweise muss man aber auch sagen, dass sich das Angebot der Verbindungen zwischen Lebenstedt und dem Braunschweiger Hauptbahnhof zumindest zwischen Montag und Freitag deutlich gebessert hat. Dank des Regionalbahnkonzeptes 2014+ fahren die Regionalbahnen seit Dezember 2017 immerhin alle halbe Stunde auf der Strecke. Das ursprüngliche Projekt des Regionalbahnkonzeptes, das bereits Mitte der 1990er Jahre entstand, sah jedoch nicht nur Änderungen am Fahrplan vor. Das Konzept einer Regio-Bahn wurde, wie es zunächst in Karlsruhe und später auch unter anderem in meiner Heimatstadt Kassel umgesetzt wurde, als Großprojekt im Rahmen der Expo 2000 in Hannover in Angriff genommen, konnte allerdings nie realisiert werden. Schlussendlich waren die Zweifel an der Wirtschaftlichkeit und die zu tragenden finanziellen Lasten zu groß. Darüber hinaus ergaben sich Bedenken bei der Stadt Salzgitter. Nicht unbegründet, denn es steht wohl außer Frage, dass eine Direktverbindung in die Braunschweiger Innenstadt innerhalb einer knappen halben Stunde garantiert kein Segen für Kaufleute in Salzgitter gewesen wäre.

Eine Zuganbindung an den Hochschul-Campus?

Reizvoll allerdings, vor allem für Studierende und solche die es vielleicht werden wollen, wäre definitiv eine Anbindung der Hochschule an das Streckennetz. Immerhin führen Bahngleise direkt neben dem Campus entlang bis nach Salzgitter-Bad, wo sie an die Schienen anschließen, die von dort nach Braunschweig führen. Klingt großartig, oder? Wäre es auch, wenn besagte Infrastrukturen nicht im Besitz der Verkehrsbetriebe Peine Salzgitter (VPS) wären, ihres Zeichens einhundertprozentige Tochter der Salzgitter AG. Von der VPS werden die Gleise ausschließlich für den Güterverkehr genutzt und lassen allein schon deshalb keinen regelmäßigen Personennahverkehr zu, weil immer nur ein Zug auf der Trasse fahren darf und sich der ÖPNV in dieser Sache unterordnen müsste. Hinzu kommt, dass im Falle eines Aufkaufs der Infrastruktur, Umbaumaßnahmen vorgenommen werden müssten, etwa zur Sicherung von Bahnübergängen. Allein für den genannten Teilabschnitt wären Kosten von fast 90 Millionen Euro fällig. Ein Betrag, der für die Stadt Salzgitter und umliegende Kommunen nicht gerade leicht erschwinglich scheint und eine Realisierung des Ganzen wohl auf absehbare Zeit unmöglich macht.

Und so scheint es, als würde die Bereitschaft der Verkehrsgesellschaften über die Anpassung der Fahrtrouten oder Abfahrtszeiten darüber entscheiden, ob ich in Zukunft noch mehr kalte Wintersonntage in den – bei allem Respekt – nicht gerade einladenden Zentren Bad und Lebenstedt warten. Dabei wäre diese definitiv wünschenswert, zumal gerade der öffentliche Nahverkehr von seiner Verlässlichkeit lebt. Und wenn man dann Stunden in der Kälte verbringen muss, weil der Bus einige Minuten zu spät kam, geht das Vertrauen in ihn verloren und die Leute greifen lieber auf Autos zurück. Und gerade die machen in der Region38 dem ÖPNV das Leben ohnehin schon schwer genug.

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