Mit Awet Tesfaiesus zog im vorherigen Jahr die erste schwarze Frau in den Bundestag ein. Neben ihr gibt es unter den 736 Sitzen zwei weitere schwarze Bundestagsabgeordnete. Doch wie kann das sein, wenn nach Schätzungen des Afrozensus über eine Million Afrodeutsche in Deutschland leben? Verhältnismäßigkeiten solcher Art gilt es zu prüfen. Werfen wir einen Blick auf die aktuellen Zahlen.
Diverses Deutschland – Diverse Politik?
Schaut man sich die genaue Sitzplatzverteilung an und kategorisiert die politisch unterrepräsentierten Menschengruppen heraus, fallen prozentual gesehen schnell Unstimmigkeiten im Vergleich zur restlichen Bevölkerung auf. Die wohl offensichtlichste Diskrepanz ist der Frauenanteil in der Politik im Vergleich zur Allgemeinheit. In Deutschland machen nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes etwa 50,7 Prozent der EinwohnerInnen Frauen aus. Dementsprechend liegen Männer mit rund 49,3 Prozent in der Minderheit. Vergleicht man dies mit der aktuellen Politik, speziell der Besetzung des Bundestages, ist dies sogar sehr deutlich umgekehrt. Der Frauenanteil im Bundestag liegt bei knapp unter 35 Prozent – das entspricht 257 Plätzen. Frauen sind und bleiben vorerst nicht nur in der Politik, sondern in verschiedensten Lebensbereichen unterrepräsentiert; ein Problem, das schon lange einen Schatten auf unsere Gesellschaft wirft.


Auffallend ist der Aktivismus und die Themenhingebung hinsichtlich der niedrigen Frauenquote in den eher linken oder libertären Parteien. Hier zeichnet sich das Bild einer stark frauenlastigen Grünen-Partei ab, die mit 59,3 Prozent sogar über das Ziel einer gleichberechtigten Partei in puncto Frauen- und Männeranteil hinausgeschossen ist. So schreiben sie auf ihrer Themenseite zur Frauenpolitik: „Unsere repräsentative Demokratie muss diverser werden.“ Dies bedeute auch, dass es dringend mehr Frauen in den Parlamenten bräuchte, vor allem dort, wo Entscheidungen getroffen würden.
Doch nicht nur das Frausein lässt einen in der aktuellen Politik zu einer Minderheit gehören. So sind MigrantInnen im Bundestag noch immer stark unterrepräsentiert. Während in Deutschland über ein Viertel der Menschen mit Migrationshintergrund leben, stammen Recherchen des Mediendienstes zufolge nur 11,3 Prozent der Abgeordneten aus Einwandererfamilien.
Einer dieser Zugewanderten ist Muhanad Al-Halak. Seit Januar 2017 ist er Mitglied der FDP und seit Ende 2021 schließlich neuer Vertreter im Bundestag. Ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass er mit elf Jahren mit seiner Familie aus dem Irak nach Deutschland floh und hier lange Zeit einen Handwerkerberuf ausübte.
Mehr Vielfalt gleich bessere Politik?

Genauso kontrovers wie die Einführung der Frauenquote, ist wohl die Frage, ob es denn auf eine qualifizierte Ausbildung oder auf Empathie und Themennähe als PolitikerIn ankommt. Dies lässt sich auch gar nicht so leicht beantworten. Armand Zorn, als einer von drei schwarzen Abgeordneten, sagt dazu in einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk, dass es im Wesentlichen auf Empathie und eigene Erfahrungen in der Politik ankommt. So könne er nie wissen, wie es ist, schwanger zu sein, ebenso wenig wie viele andere nie Rassismus erfahren müssten. Er glaubt nicht, dass Frauen per se eine bessere Politik machen, jedoch glaubt er, „dass Politik allgemeinbesser wird, […] je diverser die Menschen, die die Politik machen, wirklich sind“.
Dem schließt sich auch Tessa Ganserer an. Sie ist seit 1998 Mitglied bei den Grünen und setzt sich unter anderem für den Umweltschutz und die Queer-Politik ein. Sie ist eine der ersten transgeschlechtlichen Bundestagsabgeordneten und vertritt somit die stetig wachsende „LGBTQ+“-Community in Deutschland. Auch sie ist der Meinung,die Repräsentation von queeren Menschen komme in der Politik zu kurz. So bezieht sie den Bundestag mit dem besonderen Ziel, queerpolitische Themen wie die Abschaffung des Transsexuellengesetzes und das dafür in Kraft tretende Selbstbestimmungsgesetz voranzutreiben. Im Interview spricht Tessa Ganserer neben Muhanad Al-Halak über eine unzureichende
Repräsentation im Parlament:
Eine Partei, die sich besonders in den letzten Jahren für die Rechte und Gleichberechtigung von unterrepräsentierten Minderheiten starkgemacht hat, ist das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit – kurz: BIG Partei. Sie kämpfte 2019 erstmals um einen Platz im Europäischen Parlament und beschäftigt sich mit der Frage der Vielfalt des politischen Personals besonders in Hinsicht auf fehlende Repräsentation von MuslimInnen. In Deutschland gehören etwa 5,5 Millionen Menschen dem islamischen Glauben an. Das entspricht einem Anteil von 6,6 Prozent in der Gesamtbevölkerung. Im Bundestag hingegen bekennen sich dazu nur zwei an der Zahl, was gerade mal eine Quote von aufgerundet 0,3 Prozent ausmacht. Die BIG Partei möchte, so sagen sie in einem Werbefilm auf Twitter, die Angst vor Überfremdung nehmen und sich für kulturelle Vielfalt und Chancengerechtigkeit einsetzen. Diese Themen scheinen ihrer Ansicht nach auf der Strecke zu bleiben.
„Ein bisschen Vielfalt reicht nicht.“ Dieser Meinung ist Elisa Deiss-Helbig, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart. Sie betreibt Parteien- und Repräsentationsforschung und setzt ihren Schwerpunkt unter anderem auf deskriptive, also das exakte Nachbilden gesellschaftlicher Verhältnisse, und ungleiche politische Repräsentation. Sie begründet die Notwendigkeit von Vielfalt in der Politik in zweierlei Hinsicht: Einerseits solle eine höhere Vielfalt aufgrund von unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven zu einer besseren Interessenvertretung im Parlament führen. Daneben betrachtet sie den Gegenstand auf einer psychologischen Ebene und sagt, dass eine Interessenvertretung zu einer höheren Beteiligung der angesprochenen Gruppen führe. Außerdem hat die Repräsentation einen symbolischen Wert. Durch sie komme es zu mehr politischem Vertrauen, was wiederum auf das Partizipationsinteresse einzahlt. Jedoch gibt es Konsens in der Politikforschung, dass das Parlament nicht eins zu eins so zusammengesetzt sein muss wie die Gesellschaft, um solche Effekte zu erzielen. Eine spiegelbildliche Repräsentation ist wohl unmöglich langfristig umzusetzen. Daher zielt man auf das Konzept der substanziellen Repräsentation ab und geht davon aus, dass beispielsweise nicht nur Frauen Fraueninteressen vertreten können. Eine hohe Repräsentation sei daher lediglich „erstrebenswert“, so Elisa Deiss-Helbig.