„Wir aus dem Süden denken, dass alle alten Männer im Norden reden wie Käpt’n Blaubär.“ Mit genau dieser Überzeugung zog ich im vergangenen September aus dem Süden in das – zumindest für mich – nordische Salzgitter. Nichts ungewöhnliches, vor allem Abiturienten verlassen ihre Heimat, um in einem anderen Bundesland zu studieren. Während manche von ihnen in ein angrenzendes Bundesland wechseln, gehen andere ein Stück weiter und erleben einen Kulturschock im eigenen Land. Dinge, die im heimischen Umfeld normal erschienen, wie zum Beispiel bestimmte Redewendungen, werden in der neuen Heimat zu Eigenarten und man wird täglich mit den Unterschieden konfrontiert.
In einer studentischen Gruppendiskussion zwischen Vertretern aus Nord- und Süddeutschland kommen sämtliche Vorurteile und Stereotypen zur Sprache. Drei Norddeutsche, drei Süddeutsche und eine Tüte Brezeln. Die Nordseite besteht aus Annika Winter aus Hamburg, Jona Drewes aus Bremen und Anna Janssen aus Ostfriesland. Der Süden wird von Julian Dagistan aus Frankfurt, Tamara Kopp aus Stuttgart und Laura Fiore aus Unterfranken repräsentiert. Obwohl sich alle privat gut verstehen, liegt ein gewisser Kampfgeist in der Luft. Jedes Team ist davon überzeugt, dass seine Himmelsrichtung die Beste ist.
Leichte Brise für die einen, Sturmtief für die andern
Obwohl weder Nord- noch Süddeutschland klar definierte Grenzen haben, scheint jeder der sechs Teilnehmer eine genaue Vorstellung darüber zu haben, wo die imaginäre Trennwand verläuft.
Laura Fiore: Für uns aus dem Süden ist hier in Salzgitter ja auch schon Norden.
Jona Drewes: Nee, das ist Süden für mich.
Laura Fiore: Für uns ist das halt überhaupt nicht Süden.
Anna Janssen: Ich finde alles, was mit Bergen zu tun hat, ist Süden.
Jona Drewes: Wenn man irgendwie aus dem Norden kommt und man muss mehrere Stunden nach unten fahren, dann ist das Süden. Ich fahre vier Stunden aus Bremen hierher, also mit dem Zug.
Doch die Frage nach den definitorischen Grenzen von Norden und Süden bleibt nicht der einzige Streitpunkt. Das vermeintlich harmlose Smalltalk-Thema Wetter wird im Nord-Süd- Wettstreit ebenfalls heftig diskutiert.
Julian Dagistan: Ich finde es ja schon schlimm, wenn ich morgens aus dem Haus gehe und erst mal so ein Windstoß kommt, das geht gar nicht.
Annika Winter: Ich bin froh, dass wir hier so etwas haben. Ich könnts gar nicht, wenn die Hitze hier so stehen würde.
Julian Dagistan: Doch, und du läufst gegen so ne Wand, wenn du morgens raus gehst.
Laura Fiore: Die Luft steht ja nicht immer bei uns, es weht halt meistens ein laues Lüftchen.
Bedingt durch die Nähe zum Meer und das typisch nordische Flachland „herrscht an der See häufig auch dann eine frische Brise, wenn im Landesinneren nur ein laues Lüftchen weht“, bestätigt der Deutsche Wetterdienst. Da es im Süden mehr Wälder und Hügel gibt, die einen Widerstand bieten, weht dort nur abgeschwächter Wind. Auch die Temperaturen unterscheiden sich in Nord- und Süddeutschland. Durch die Nähe zum kalten Wasser, werde es im Frühling und Sommer im Norden Deutschlands nicht so warm wie im Süden. Im Winter und Herbst hat das Wasser „eine wärmende Funktion, sodass es dann vor allem in den Nächten meist nicht so kalt wird wie im Süden“.
Essen verbindet – oder?
Von der angeregten Diskussion geschwächt, ist Essen zu diesem Zeitpunkt genau das richtige Thema. Alle knabbern an einer Brezel, die typisch mit dem Süden in Verbindung gebracht wird. Gerade bei diesem Thema gibt es viele Vorurteile über die andere Gegend, wobei der Süden eher bayerisch belastet ist, während das Meer und Fisch symbolisch für den gesamten Norden stehen. Während die Norddeutschen in der Diskussion denken, die Süddeutschen ernähren sich ausschließlich von Weißwurst, Brezeln und mehreren Maß Bier, verbinden die Süddeutschen die Nordlichter oft mit Grünkohl und Fischmarkt. Vor allem hier zeigt sich, dass viele Vorurteile eher auf einzelne Regionen zutreffen, aber dann pauschal auf den ganzen Süden beziehungsweise Norden ausgeweitet werden. Als die Diskussion auf eine bestimmte Süßigkeit kommt, spalten sich die Meinungen.
Laura Fiore: Stimmt das wirklich, dass die im Norden alle Lakritze essen?
Nordleute: Ja schon.
Südleute: Bäh.
Tamara Kopp: Magst du das auch nicht?
Laura Fiore: Nein, ich hasse Lakritze und meine Mitbewohnerin aus Hamburg kam, als wir eingezogen sind, mit einer Tüte von diesen salzigen Lakritz-Heringen an.
Jona Drewes: Das sind die Besten, nicht so weiche Lakritze, sondern so richtig hart.
Anna Janssen: Dass du dir fast die Zähne dran ausbeißt.
Julian Dagistan: Also diese Rollen von Haribo, das sind die einzigen, die ich mag. Die sind lecker.
Jona Drewes: Das ist so lasche Lakritze, wir brauchen den harten Scheiß.
Die Spaltung der Gruppe lässt im ersten Moment vermuten, dass der imaginäre Lakritz-Äquator, der oberhalb der Main-Linie verlaufen soll, tatsächlich existiert. Oberhalb dieser Linie mögen die Menschen Lakritz, darunter nicht. „Den Lakritz-Äquator gibt es nicht mehr“, sagt Rainer Theuer, Vertriebsleiter bei Jahnke Süßwaren. Für die Nordlichter verlaufe die alte Linie sowieso nicht an der Main-Linie, sondern als gerader Strich durch Bremen. Wie sich im Vertrieb bei Jahnke zeigt, wird Lakritz vor allem oberhalb von Bremen und im Ruhrgebiet gerne gegessen. Im Gegensatz dazu werde vor allem in ländlichen Gebieten Bayerns fast kein Lakritz gegessen. Dort werde die Süßigkeit oft „Bärendreck“ genannt. Wie Theuer bestätigt, bevorzugen die Norddeutschen vor allem härteres und kräftigeres Lakritz mit mehr Salzanteil, während die Süddeutschen eher zu weichem Lakritz mit intensiverem Anis-Aroma greifen. Aber auch er findet keine Erklärung dafür, das Lakritz polarisiert und die Nation zu spalten scheint. Hand in Hand mit dem Gespräch über Essen kommt die Gruppe auf eins der beliebtesten Themen für Studenten: Alkohol.
Annika Winter: Mir kam es schon so vor, als ich in München war, dass die halt wirklich sehr offen waren. So im Biergarten sind die ja alle schon ein bisschen angeheitert.
Jona Drewes: Oder einfach besoffen. Die im Süden sind einfach besoffener.
Laura Fiore: Die im Süden sind einfach trinkfester.
Julian Dagistan: Das stimmt.
Annika Winter: Ihr habt ja auch mehr, was so Bier angeht, um abends noch zusammen sitzen. Das haben wir in Hamburg halt nicht.
Julian Dagistan: Wir trinken aber manchmal auch einfach sinnlos.
Laura Fiore: Vor allem auf dem Dorf.
Annika Winter: In Hamburg macht es wahrscheinlich auch diese steife Brise. Da knicken ja alle immer ab, die nicht aus der Gegend kommen. Die gehen dann immer schön nach Hause.
Jona Drewes: Aber bei Wind und Wetter kann man auch ganz gut ein Bier trinken.
Laura Fiore: Aber wir trinken halt lieber Bier zwischen Hügeln, wo kein Wind weht und die Sonne dir aufs Gesicht scheint.
Julian Dagistan: Ab 40° C geht es uns gut.
Annika Winter: Ja da krieg ich halt gleich nen Hitzekoller. Ich war im Sommer in Nürnberg, das war so krass, wirklich. Das ist so heiß und keine Luft! Wenn die Luft dann so steht, nee. Ich will an die Alster, ich möchte ein bisschen Wind haben.
Nicht nur bei Lakritz, sondern auch bei Getränken, scheinen die Norddeutschen herbere Geschmäcker zu bevorzugen, während die Menschen aus dem Süden Süßes lieben. Der Unterschied wird vor allem beim Bier klar, das norddeutsche wird als herb beschrieben, während das süddeutsche als süffiger gilt. Wie der Deutsche Brauerbund bestätigt, werden „in den nördlichen Regionen Deutschlands die herberen Pilsbiere bevorzugt“, während „in den südlichen Regionen Weißbiere, Helle und Export-Biere konsumiert werden“. Das sei vor allem historisch bedingt, da durch den Überseehandel im Norden das schlecht gekühlte Bier durch einen höheren Hopfenanteil haltbarer gemacht wurde, was das Bier bitterer schmecken ließ. Im Süden dagegen wurde viel in Klosterbrauereien gebraut, die nur obergäriges, also milderes Bier, brauen. Bier wird von den Teilnehmern der Gruppendiskussion vor allem mit Bayern und Festen wie dem Oktoberfest in Verbindung gebracht.
Man muss die Feste feiern, wie sie fallen – zumindest im Süden
Was die Feste angeht, die gefeiert werden, zeigen sich eher Unterschiede zwischen Stadt und Dorf. Viele Traditionen werden vor allem auf den Dörfern gepflegt, hierbei sind sich die Teilnehmer deutschlandübergreifend einig. Vor allem die Tradition, nachts den Maibaum des Nachbardorfs zu klauen und Bier als Lösegeld zu fordern, scheint in jedem Dorf beliebt zu sein. Doch auch regional gibt es Unterschiede. So feiert man in Norddeutschland in Hamburg den Hafengeburtstag, in Bremen den Kohlpfad und in Ostfriesland Martini. Auch der Süden ist sich im Punkt regional beliebte Feierlichkeiten uneinig. Zwei aus der Runde lieben Fasching und sind schockiert dass ihre „fünfte Jahreszeit“ im Norden nicht auf Gegenliebe stößt, während der Dritte den Norden genau deshalb sympathisch findet.
Julian Dagistan: Der Nachteil, den wir haben, ist, dass wir Fasching feiern.
Tamara Kopp: Das ist kein Nachteil!
Laura Fiore: Das ist unser Vorteil!
Julian Dagistan: Bürgerkrieg ist das. Sexualbürgerkrieg. Jeder besäuft sich und legt alles flach, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Und selbst wenn es auf dem Baum ist, dann klettert man halt hinterher. So schlimm.
Beim Thema gesetzliche Feiertage hat vor allem eine Gruppe viel zu erzählen. Während der Süden Deutschlands im Jahr circa zwölf gesetzliche Feiertage hat, sind es im Norden nur etwa neun jährlich. Abgesehen von den bundesweiten Feiertagen, zeigen sich zusätzlich noch regionale Unterschiede, die dazu führen, dass manche Regionen mehr Feiertage haben als andere. Somit haben zum Beispiel die Augsburger durch das jährliche Friedensfest einen zusätzlichen Feiertag, den der Rest Deutschlands nicht hat. Grund für diese Verteilung ist die vorherrschende religiöse Einstellung und die Traditionen in den einzelnen Teilen Deutschlands. Im Süden waren im Jahr 2011 durchschnittlich 45,6 Prozent der Menschen katholisch und hatten deshalb mehr gesetzliche Feiertage. Die Bevölkerung in Norddeutschland ist mit nur circa 7,1 Prozent Katholiken überwiegend protestantisch oder konfessionslos ausgerichtet.
Annika Winter: Das ist auch immer so unfair, unsere Zentrale war in Nürnberg und dann hatten die dauernd das Büro zu und wir alle am Ackern und ich dachte so: Das kann doch nicht sein, das ist so unfair. Wir arbeiten mindestens, weiß ich nicht wie viel, 10 Tage mehr.
Jona Drewes: Ihr seid ein gemütliches Völkchen da unten.
Moin oder Servus?
Der Punkt, der den Norden und den Süden noch mehr zu spalten scheint als Lakritz oder die ungerechte Verteilung von Feiertagen, ist die Sprache. Obwohl alle aus dem gleichen Land kommen, wirkt es manchmal, als würde man verschiedene Sprachen sprechen. Als würde ein Holländer mit einem Deutschen sprechen, wobei der Holländer den Deutschen versteht, jedoch andersherum nicht.
Annika Winter: Ne Freundin von mir hatte einen Polizeitest in München. Kommt die wieder: „Annika, ich hab die nicht verstanden, ich weiß nicht, was der von mir wollte.“
Vor allem der Süden scheint dabei die Rolle des Holländers einzunehmen. Die verschiedenen Dialekte, die sich schon von Dorf zu Dorf unterscheiden, sind für Norddeutsche teilweise völlig unverständlich. Wie das Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas der Universität Marburg bestätigt, werden im Süden in „normalen Gesprächssituationen häufiger dialektale Merkmale verwendet. Dies ist im Norden bei mittelalten und jüngeren Sprechern nicht mehr der Fall.“ Vor allem bayerische Dörfer gelten selbst bei den Vertretern des Südens als Ausland, bei dem man verloren ist, wenn man die „Landessprache“ nicht spricht. Bei manchen grammatikalischen Eigenarten und Füllwörtern herrscht komplettes Unverständnis und Belustigung auf der Norden-Seite.
Laura Fiore: Ich wohne ja auch mit einer aus Hamburg zusammen und ich hab so das Gefühl, dass Sprache mit der größte Unterschied ist. Zum Beispiel sagen wir immer vor einem Namen den Artikel. Zum Beispiel „Die Laura hat das und das gesagt“ und das sagen die Norddeutschen nicht.
Annika Winter: Das stimmt.
Julian Dagistan: Echt, sagt ihr nicht „die“ oder „der“ davor?
Anna Janssen: Nee, wir sagen „Laura hat das und das gesagt“
Jona Drewes: Ernsthaft, sagt ihr echt „die Laura“?
Laura Fiore: Ja.
Jona Drewes: Sagt ihr auch so „Hallo, ich bin der Julian“?
Julian Dagistan und Laura Fiore: Ja!
Jona Drewes: Echt?!
Julian Dagistan: Da musste ich mich auch erst dran gewöhnen, ich hab am Anfang immer „Ei Gude“ oder „Servus“ gesagt, das war richtig schlimm.
Laura Fiore: Wir sagen auch immer „gell“ hinter den Sätzen.
Julian Dagistan: Aber das ist mir nie aufgefallen, bis ich hierher gezogen bin und jeder immer so „Du kommst aus Hessen, gell?“
Am schönsten ist es zu HausWenn Lakritz, Feiertage und Weißwürste die Nation spalten
Auf Gemeinsamkeiten zwischen Norden und Süden angesprochen, stockt die Unterhaltung kurz, nichts scheint offensichtlich genug zu sein. Doch nach kurzer Bedenkzeit fällt allen etwas ein, was beide Parteien zu hassen scheinen. Zum Beispiel Menschen aus dem Osten Deutschlands, die versuchen die Uhrzeit zu erklären.
Fast zwei Stunden und eine Tüte Brezeln später wurden viele Vorurteile widerlegt, manche bestätigt und viel über die Eigenheiten der anderen gelacht. Insgesamt ist immer noch jeder sicher, das seine Heimat die beste ist, aber alle haben sich der anderen Mentalität angenähert und verstehen sie jetzt besser. Trotzdem ist der Kampf zwischen Weißbier und Korn, zwischen Lederhose und Seemannskluft und Brezel und Fischbrötchen noch lange nicht vorbei.