Mehr als 40 Jahre liegen schwach und mittelradioaktive Abfälle in unserer Region schon vergraben. Das Problem: Die Schachtanlage Asse II im Landkreis Wolfenbüttel ist marode. Täglich laufen tausende Liter Salzlauge in die Anlage. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ist Betreiberin der Asse-Anlage und für die gesetzlich beschlossene Rückholung verantwortlich. Doch nicht nur an den vorgelegten Rückholplänen gibt es Kritik.
Der Beginn der Misere
„Man hat hier sicherlich mit guten Absichten begonnen. Aber natürlich ist es nicht richtig, 120.000 Fässer einzuladen, das als Forschungsarbeit zu betiteln und damit den Zweck der Endlagerung zu unterlaufen und zu verschleiern“, beginnt Thomas Lautsch, technischer Leiter der BGE. Damit verweist er auf die vermeintlich ausschließlich wissenschaftlichen Begründungen, die laut Angaben des damaligen Helmholtz-Zentrums München zur Einlagerung von 47.000 Kubikmetern schwach- und mittelradioaktiven Abfällen geführt haben. Ausgegangen war der Kauf der Anlage und die Einlagerung damals vom Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung.
In der elfjährigen Einlagerungsgeschichte der Schachtanlage Asse II im Landkreis Wolfenbüttel wurde fast der gesamte strahlende Abfall aus der alten Bundesrepublik verklappt. So beherbergt das alte Salzbergwerk knapp 126.000 Gebinde des unliebsamen Atommülls, die teils mit fragwürdigen Methoden in den ehemaligen Abbaukammern verlegt wurden. Das Bild der sogenannten „Versturztechnik“ legt dies eindrücklich dar. Es zeigt zugleich: Die Fässer sollten dort verbleiben und niemals mehr zurückgeholt werden.
Der Anfang vom Ende
1988 markiert aus heutiger Sicht einen Wendepunkt in der Geschichte der Asse. Erstmals konnte Zufluss von Salzlauge festgestellt werden, der nicht wieder verschlossen werden konnte. Das Problem hält bis heute an. Lautsch bestätigt: „Ja, das Bergwerk kann jederzeit absaufen.“ Das Absaufen dürfe man sich allerdings nicht so vorstellen, dass heute Wasser eindringt und morgen die Grube unter Wasser stehe. „Das ist ein Prozess, der über Monate oder Jahre geht“, erklärt er. Vertrösten sollte uns das jedoch nicht. Die Rückholung soll erst 2033 beginnen, das letzte Fass in den 2060ern die Oberfläche erreichen. Jederzeit bestehe die Gefahr, dass es einen unkontrollierbaren Lösungszutritt gibt, der die Rückholung zum Erliegen bringt. Für diesen Fall werden Vorsorgemaßnahmen getroffen und ein Notfallplan erstellt. Die Umsetzung der Maßnahmen dauere allerdings auch mehrere Jahre, beschreibt Lautsch weiter. Er fügt hinzu: „Im besten Falle erkennen wir das Absaufen mehrere Jahre im Voraus.“ Doch was passiert, wenn nicht der „beste Fall“ eintritt? In jeder Situation verbleiben dann wohl noch etliche Fässer im Bergwerk. Es fällt auf: Dieses Worst-Case-Szenario ist schwer zu prognostizieren. Kein gutes Omen dürften auch die Schächte I und III der Asse sein. Diese sind bereits abgesoffen.
Während 2007 schon ein Abschlussbetriebsplan zur Schließung der Schachtanlage vorlag, kommt wieder Bewegung in die Asse-Thematik. Bis dato lief das Bergwerk ausschließlich unter dem Bergrecht, da es offiziell nicht als Endlager galt – faktisch wurde es jedoch so betrieben. Das Atomrecht allerdings, das eigentlich für Endlagerstätten gelten sollte, stellt besondere Anforderungen an die Schließung. Beispielsweise muss ein Nachweis geführt werden, der die Langzeitsicherheit des Atommüllendlagers feststellt. Dieser fehlte 2007. Heike Wiegel ist Vorstandsmitglied des Vereins AufpASSEn, der sich vor Ort zum Thema Asse II engagiert. Sie erinnert sich an die Anfänge: „Wir haben sehr lange Zeit immer wieder gefordert, dass für Asse II – natürlich – das Atomrecht eingesetzt werden muss. Es liegt dort erheblicher Atommüll in dem Schacht und es kann doch nicht sein, dass das nur unter Bergrecht läuft!“ Als dann noch bekannt wurde, dass der damalige Betreiber, die Gesellschaft für Strahlenforschung, ohne Genehmigung mit kontaminierter Salzlauge im Bergwerk umgegangen ist, führt Wiegel an, sei es auch bei den politischen Vertretern zum Umdenken gekommen. So beschlossen 2008 drei zuständige Bundes- und Landesministerien, die Asse-Anlage offiziell als Endlagerungsstätte anzusehen. Besser spät als nie, könnte man an dieser Stelle anfügen. Und trotzdem ist es aus heutiger Sicht unverantwortlich, dass dies erst 30 Jahre nach der eigentlichen Einlagerung des strahlenden Mülls geschieht. Mit der Anwendung des Atomrechts war nun das Bundesamt für Strahlenschutz Betreiber. Für die Schließung wurde dann auch der Langzeitsicherheitsnachweis notwendig. Ein darauffolgender Optionenvergleich zwischen Verfüllung, Umlagerung und Rückholung brachte die Entscheidung, die bis heute Bestand hat. Im Jahr 2013 beschloss der Bundestag diese Rückholung sogar gesetzlich im sogenannten „Lex Asse“.
Milliarden für die Rückholung
Im letzten Jahr hat die BGE, welche seit 2017 Betreibergesellschaft ist, ihre Rückholplanung der Öffentlichkeit vorgestellt. Bis diese zum geplanten Zeitpunkt 2033 starten kann, müssen laut der Betreiberin jedoch noch einige Maßnahmen an und in der Asse getätigt werden. Beispielsweise müsse ein neuer Schacht ausgehoben und errichtet werden, der an das Bestandsbergwerk angeschlossen wird. Außerdem sorge man aktuell mit Bautätigkeiten unter Tage dafür, dass man gegen ein Absaufen bestmöglich gewappnet ist. Hinzu kommen Genehmigungsverfahren bei den verschiedenen Behörden, für die weitere Daten erhoben werden müssen. Die Kostenberechnung für die nächsten 12 Jahre: 3,35 Milliarden Euro. Läge man diese Anzahl an 1-Euro-Münzen übereinander, käme man auf einen Turm, der mehr als 7.800 Kilometer misst. Heike Wiegel dauert das zu lange: „Die BGE fängt jetzt erst an, die ferngesteuerte Bergetechnik zu erproben. Da reden wir seit circa 10 Jahren drüber.“ Zugleich kritisiere sie, dass sich die Betreiberin bisher überwiegend auf die Verfüllung und die Notfallplanung unter Tage konzentriert habe und die eigentliche Rückholung kaum vorangetrieben wurde. Vorstandsmitglied Wiegel sieht sogar deutliche Anzeichen dafür, dass die Rückholung von der Betreiberin und den Genehmigungsbehörden nicht mehr ernsthaft verfolgt werde. Dabei verweist sie insbesondere auf die rechtlichen Aspekte, denn die geänderte Strahlenschutzverordnung könne dazu führen, dass nun ein Langzeitsicherheitsnachweis mit Verbleib des Atommülls in der Schachtanlage Asse II möglich wäre: „Damit wäre die Rückholung wohl nicht mehr rechtsfähig und wohl auch nicht mehr genehmigungsfähig.“ Wiegel setzt fort: „Es scheint, als würde der Abbruch der Rückholung eingeläutet werden.“ Außerdem erwähnt sie, dass die Planung der BGE auch bei anderen Bürgerinitiativen vor Ort auf Kritik stoße. Offiziell halten die Politik und die Betreiberin allerdings weiter am Rückholungs-Auftrag fest.
Ein Zwischenlager muss her
Der aktuell größte Streitpunkt in der Region scheint das geplante Zwischenlager für den zurückzuholenden Müll zu sein. Aus der BGE-Planung geht hervor, dass die Behälter nach der Rückholung und Umverpackung Asse-nah gelagert werden sollen. Zumindest die Abfallbehandlung muss, laut BGE, vor Ort stattfinden. Die darauffolgende Lagerung könne man deshalb auch gleich dort planen, um somit nur ein Gebäude bauen zu müssen und Steuergelder zu sparen. Ein Argument gegen den Abtransport des zurückgeholten Mülls sieht die Betreiberin auch in der höheren Strahlenbelastung, die durch die Verlagerung in ein weiter entferntes Zwischenlager entstehe. Auf das Zwischenlager angesprochen, versichert der technische Leiter:
„Das Zwischenlager wird so gebaut, dass keine Gefahr von der Anlage ausgeht. Es spielt für die Bevölkerung überhaupt keine Rolle, ob das Zwischenlager in Remlingen oder woanders steht.“
AufpASSEn-Mitglied Wiegel sagt dazu: „Bei der Standortauswahl des Zwischenlagers und der Konditionierungsanlage müssen auch Standorte einbezogen werden, die größere Abstände von mindestens vier Kilometer von der nächsten Wohnbebauung entfernt sind.“ Dabei verweist sie auf eine Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz. Diese belege, dass eine radioaktive Belastung der Bevölkerung im Störfall erst ab vier Kilometern deutlich abnehme. So macht sie den Vorschlag, auch bundeseigene Liegenschaften wie Truppenübungsplätze, Bunker- und Tunnelanlagen für Asse-ferne Standorte des Zwischenlagers einzubeziehen. Zu Asse-fernen Zwischenlagern argumentiert die BGE jedoch immer wieder, dass es andernorts Probleme mit der Akzeptanz gäbe, die wiederum zu Problemen in der Genehmigungsphase vor Ort führen könnten. Doch warum sollten die Anwohner rund um die Asse dieses Zwischenlager für von der BGE geschätzte 200.000 Kubikmeter strahlenden Müll akzeptieren? Zwangsläufig kommt es ebenfalls durch die nicht abzuschirmenden Gase, die die Konditionierungsanlage emittiert, zu einer höheren Strahlenbelastung in der Asse-Region. Der technische Leiter der BGE relativiert diese Dauerbelastung allerdings und meint: „Wir bauen die Anlage nicht alleine. Wir werden sehr streng reguliert und kontrolliert.“ Letztendlich scheint die gesamte Frage des Umgangs mit dem zutage geförderten Atommüll aus einem abwägenden politischen Prozess heraus entstehen zu müssen. Die Annahmen zu Berechnungen müssen wissenschaftlich geprüft und von allen mitgetragen werden. Aspekte wie Generationengerechtigkeit müssen bedacht werden, falls auch in den nächsten Jahrzehnten nach der Rückholung kein Endlager gefunden ist. Eine Entscheidung heutzutage darf nicht erneut zukünftige Generationen belasten.
Harald Rau ist der durch Bündnis 90/Die Grünen und SPD unterstützte Oberbürgermeister-Kandidat für die Stadt Salzgitter. Hier soll das erste Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle Deutschlands entstehen. „Für mich ist es ganz wichtig, die Zahl der Perspektiven zu erhöhen. Denn damit kommt man erst in die Lage, wirksam zu werden“, meint er. Der Ostfalia-Professor macht sich deshalb stark für eine multiperspektivische Sichtweise und Diskussion. Angesichts des wachsenden Druckes und wohl auch, weil Klagen aus der Bevölkerung gegen das Zwischenlager drohen und damit die gesamte Rückholung verzögern könnten, haben die BGE und die Asse-II-Begleitgruppe aktuell ein Experten-Gremium eingerichtet. Dieses soll die BGE-Entscheidung für ein Asse-nahes Zwischenlager prüfen. Ein Ergebnis wird im August erwartet. Die Hoffnung vieler Kommunalvertreter und Bürgerinitiativen: Das Ergebnis führt zu einem fairen Vergleich von Asse-nahen und Asse-fernen Standorten.
Keine Mobilisierung und kein Endlager
Ob das Vorhaben wirklich umgesetzt wird, entscheidet sich in den nächsten Jahren. Jede Betrachtung des Asse-Komplexes wird der Gesamtproblematik nicht gerecht. Viele Akteure waren und sind beteiligt, eine Vielzahl berechtigter Bedenken wird geäußert. Die Schritte zur Rückholung müssen sicher und begründbar geplant werden. Die Diskussion um Rückholung und Zwischenlager macht jedoch auf ein größeres Problem aufmerksam. Wir haben immer noch kein bezugsfertiges Endlager für radioaktive Abfälle in Deutschland. Alle Befragten bedauern, dass aus der breiten Bevölkerung scheinbar wenig Interesse an den vielleicht wichtigsten Fragen unserer Generationen gezeigt wird. Thomas Lautsch sagt dazu: „Hier im nahen Umkreis ist es interessant. Bereits wenn Sie zehn Kilometer weg sind, nicht mehr.“ Zugleich bemühe man sich jedoch um Rückhalt in und Beteiligung aus der Bevölkerung. Nur so käme die BGE zur sozialen Handlungsberechtigung für die Rückholung. Heike Wiegel von AufpASSEn findet: „Natürlich ist es wichtig, dass man mit den Menschen im Gespräch bleibt, das Gespräch auch anbietet. Und auch die Gespräche zu den politischen Vertretern sucht.“ Damit übereinstimmend plädiert OB-Kandidat Rau auf Salzgitter bezogen dafür, mit den Konrad-Gegnern, den Arbeitsgemeinschaften und der BGE im Gespräch zu bleiben. Ein ähnliches Modell sollte ebenfalls für die Asse verfolgt werden. Treffend fasst er die Gesamtsituation zusammen und findet: „Wir räumen jetzt gerade Dinge auf, die die Gesellschaft in den siebziger Jahren viel zu lässig genommen hat. Das ist das, was bei der Asse jetzt passiert.“ Nun muss die gegenwärtige Gesellschaft aufpassen: Auch die Rückholung darf nicht zu lässig gesehen werden. Außerdem müssen Misstrauen und Ängste der Bevölkerung ernstgenommen werden. Deshalb sollten Glaubhaftigkeit und Transparenz vorherrschen. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse sollten in den Prozess einfließen. Wenn bereits Uneinigkeit bei den mathematischen Berechnungen besteht, sind wir auf einem falschen Weg.