Wieder Jungfrau für 5000 Euro

In vielen traditionellen Familien wird die Jungfräulichkeit als etwas Heiliges angesehen. Deshalb lassen sich viele Frauen vor der Hochzeit das Jungfernhäutchen operativ rekonstruieren. Unsere Autorin Anna erklärt, aus welchen unterschiedlichen Gründen Betroffene sich einer solchen OP unterziehen.

In traditionell patriarchal denkenden Familien werden Mädchen und Frauen oftmals bewacht, Kontakte zu Männern sind verboten und sexuelle Selbstbestimmung ist ein Fremdwort. Die Morde an Morsal Obeidi und Hatun Sürücü stehen im Zeichen dieser eingeschränkten Vorstellungen und sind ein wichtiger Teil kontroverser Diskussionen rund um das Thema. Eheversprechen, Jungfräulichkeit und Hochzeitsnacht – dabei wird oftmals der Anschein erweckt, dass das Jungfernhäutchen eine notwendige Voraussetzung für Partnerschaft und Heirat ist.

Sind die Frauen bereits keine Jungfrau mehr, so befürchten die meisten unter ihnen, dass sie aus der Familie ausgestoßen würden und dauerhaft als Außenseiterinnen ohne Kontakt zu Freunden und Verwandten leben müssten, sollte ihre sexuelle Vergangenheit bekannt werden. Für die meisten dieser Frauen scheint die operative Wiederherstellung des Jungfernhäutchens der letzte Ausweg zu sein.

 

Nur ein Stück Haut

Das Jungfernhäutchen, fachlich Hymen genannt, ist eine weiche Hautfalte, die den Scheideneingang des weiblichen Geschlechtsorgans umgibt. Es ist, entgegen weitverbreiteter Annahme, eine geschlossene Haut, die den Scheideneingang verschließt.  Bei den wenigsten Frauen ist das Jungfernhäutchen straff und glatt. Das Häutchen kann von Geburt an ausgefranst und gerissen sein. Bei den meisten Frauen ist es sogar nicht einmal vorhanden.

Doch wie genau lässt sich das Hymen rekonstruieren und ist dieser Eingriff mit Komplikationen verbunden? Online lassen sich viele Operateure finden, die mit dem umstrittenen Eingriff werben, denn nicht nur Gynäkologen, sondern auch Schönheitschirurgen führen die Hymenrekonstruktion durch.

Das Geschäft mit der Operation

Unter örtlicher Betäubung oder im Dämmerschlaf werden die kleinen Narben, die sich durch Risse beispielsweise beim Geschlechtsverkehr gebildet haben, mit dem Skalpell weggeschnitten. Dann wird mit wenigen Stichen jeder der V-förmigen Einrisse vernäht, wofür Reste des Hymens oder der Scheidenwand benutzt werden. Das künstlich erzeugte Hymen bildet im Heilungsprozess sogar Blutgefäße. Nach etwa drei Wochen sind die Wunden verheilt und die Fäden aufgelöst, nicht einmal der Gynäkologe würde die Rekonstruktion feststellen können. Was bleibt, ist eine knappe, fingerweite Öffnung. Der Scheideneingang ist durch die Straffung enger, was das Risiko erhöht, dass es beim nächsten Geschlechtsverkehr zu Verletzungen kommt, die dann eine Blutung auslösen können.

Die Kosten für den Eingriff reichen von 150 bis zu 5000 Euro. Die Tatsache, dass Kliniken und Operateure vergleichsweise solch hohe Preise für einen so kurzen Eingriff verlangen können, zeigt, dass die Verzweiflung der Frauen oftmals sehr groß ist. 

Viele FrauenberaterInnen würden sich wünschen, dass die Sorgen der Frauen nicht als Einnahmequelle ausgenutzt würden und die Eingriffe „[…] möglichst nicht zu völlig überteuerten Preisen“ angeboten werden, so auch Frau Gathmann. Die Medizinerin und Beraterin für die Frauenberatungsstelle ProFamilia in Oberhausen, beobachtet schon seit längerer Zeit, dass die Nachfrage der Hymenrekonstruktion wächst.

Eine exakte Zahl der jährlich durchgeführten Operationen ist jedoch nicht bekannt und darüber sprechen möchte niemand, da der Eingriff unter Medizinern sehr umstritten ist.

Das Problem liegt jedoch darin, dass es sich um einen medizinisch unnötigen Eingriff handelt. Deshalb möchten die Operateure auch unerkannt bleiben, so eine Ärztin für plastische Chirugie, die ihren Namen nicht nennen möchte. Sie berichtet, dass sie den Eingriff nicht anbietet, weil sie sich „dieser Gefahr“ nicht aussetzen möchte, denn es sei schon zu „Zwischenfällen“ gekommen und „ging bis zum erforderlichen Polizeischutz“, schließlich wissen auch die Familien der jungen Frauen von der Möglichkeit der Hymenrekonstruktion. Die Kontrolle ihrer Schwestern, Töchter und Frauen reicht bis hin zur Bedrohung aufklärender Ärzte.

Mythos Jungfrau

(Quelle: Anna Schorlemer)

Unzählige Mythen umgeben das Thema Jungfräulichkeit und sind in den Traditionen der Familien verankert. Geschichten werden über Generationen weitergetragen, die immer noch dazu führen, dass junge Frauen nach der Hochzeitsnacht einen Blutfleck auf dem Bettlaken vorweisen müssen. Dabei würde unzähligen Frauen mit der Aufklärung geholfen werden.

Der wohl weitverbreitetste Mythos ist, dass eine Blutung beim ersten Geschlechtsverkehr durch das Reißen des Jungfernhäutchens die Unbeflecktheit beweist. Erfahrungen von Ärzten zeigen jedoch, dass etwa die Hälfte der Frauen beim ersten Geschlechtsverkehr nicht blutet.

Man geht davon aus, dass eine Blutung eher aufgrund von Anspannung und mangelnder Befeuchtung der Vagina eintritt. Ein weiterer Mythos, der vor allem ÄrztInnen in den Fokus rückt, ist, dass bei einer Untersuchung beim Gynäkologen festgestellt werden kann, ob die Frau bereits Geschlechtsverkehr hatte. Bei sexuell aktiven Frauen kann das Hymen auch ohne Kerben und Risse festgestellt werden. Umgekehrt kann das Hymen jedoch gerissen sein, auch wenn die Frau noch keinen Geschlechtsverkehr hatte. Bei anderen wiederum lässt sich von Geburt an nie ein Hymen feststellen. Das Aussehen des Jungfernhäutchens sagt nicht viel über die sexuelle Vergangenheit der Frau aus und trotzdem ist es für viele Frauen wichtig, dass eine Ärztin die Unversehrtheit des Hymens bescheinigt und in einigen Fällen sogar die Operation durchführt.

Weshalb bieten ÄrztInnen noch diesen vermeintlich unnötigen Eingriff an und halten sie damit nicht nur den Mythos der Jungfräulichkeit aufrecht? Es sind Frauen, die „schon sexuelle Erfahrungen gemacht haben. Teilweise freiwillig, teilweise nicht so freiwillig […], denen damit geholfen wird“, so Frau Gathmann. „Die ganze Ehre der Familie, hängt an diesem Stückchen Haut“ und das, obwohl es nichts aussagt. Sie haben Angst, dass der Mann es spürt, wenn er das erste Mal beim Geschlechtsverkehr in sie eindringt.

„Sie haben Angst. Und das zu Recht.“

Eine muslimische Studentin berichtet, aus Sorge der üblen Nachrede, anonym von den Ängsten der Frauen und davon, unter welchem Druck sie sich entscheiden, sich auf ihre Unversehrtheit untersuchen zu lassen.

Die Hymenrekonstruktion wird jedoch nicht ausschließlich von muslimischen Frauen in Betracht gezogen, auch deutsche Frauen lassen sich von Frau Gathmann beraten. Jedoch geht es bei diesen Frauen eher um die „psychische Ebene“. Die Frauen haben oftmals die Befürchtung, „durch den Akt seelisch verletzt worden zu sein, und möchten dadurch das Geschehene ungeschehen machen“, so die Beraterin. 

Jungfräulichkeit ist kein anatomischer Zustand, der durch eine körperliche Untersuchung festgestellt werden kann, sondern eine psychosoziale Angelegenheit. Das tabuisierte Thema der Jungfräulichkeit vor der Ehe und die Kontrolle der weiblichen Sexualität wird von Mythen und Fehlinformationen begleitet und setzt noch heute viele Frauen unter Druck.

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