Paradoxon Formel 1 – ein populärer Klimakiller?

Eine nervenaufreibende Formel 1-Saison entscheidet sich in der letzten Runde. Lewis Hamilton im Mercedes vorne, dahinter Max Verstappen in seinem Red Bull. In der Gesamtwertung sind beide punktgleich an der Spitze. Ein Spektakel, das Millionen vor die Bildschirme zieht, obwohl die Umwelt sprichwörtlich auf der Strecke bleibt.

Die Saison 2021 in der Formel 1 bot eine Spannung, die es länger nicht gegeben hat. Daher ist es kaum verwunderlich, dass der Sport viele neue Fans gewinnen konnte. Bei all den sportlichen Höchstleistungen und der Spannung gibt es jedoch einige Probleme. Eines davon ist die Nachhaltigkeit. Viele Menschen sehen die Rennserie so: Teure und hochgezüchtete Rennwagen fahren zwei Stunden lang im Kreis. Was nicht falsch ist. Dazu kommen die Reisen der Teams zu den Rennen. In diesem Jahr finden zwei Rennen in den USA statt. Anstatt die Rennen direkt nacheinander auszutragen, fand der Grand Prix von Miami im Mai statt. Ein weiteres Rennen fand Ende Oktober in Austin statt. Die Fliegerei könnte man sich sparen, indem beide Rennen direkt nacheinander gefahren werden. Ist so ein Sport in der Zeit von Nachhaltigkeit, Fridays-for-Future-Demos und Elektroautos noch zeitgemäß?

Entgegengesetzte Entwicklungen

Dass die Formel 1 kein Volkssport ist, ist nichts Neues. Teams, die jedes Jahr dreistellige Millionenbeträge in ihre teuren Wagen stecken und Fahrer, die sich selbst durch Sponsoren oder reiche Eltern in ein Cockpit einkaufen. Das klingt nach einem elitären Kreis. Der Profifußball ist ähnlich weit weg vom Alltag der Fans. Auch aufgrund des Geldes. Fußballplätze auf der ganzen Welt sind jedoch jedes Wochenende gut besucht. Selbst wenn man hobbymäßig Kart fährt, lässt man nicht wenig Geld auf der Rennstrecke. Beim Fußballspielenkommt das Portmonee wesentlich besser davon. Trotzdem schauen sich immer mehr und vor allem immer jüngere Menschen die sogenannte Königsklasse des Motorsports an. In einer Studie, die die Formel 1 2021 mit dem Onlinemagazin motorsport.com durchgeführt hat, wurden 167.000 Menschen aus der ganzen Welt befragt. Laut der Studie habe sich der durchschnittliche Fan um vier Jahre verjüngt und die Zahl der ZuschauerInnen habe sich knapp verdoppelt. Gleichzeitig findet seit 2020 das erste Rennen der Saison in Bahrain statt. Ein Rennen, dem die Fans besonders entgegenfiebern. Dieser Grand Prix hat allerdings einen gewissen Beigeschmack. In der Monarchie wurden im Februar 2011 Proteste für mehr Demokratie blutig niedergeschlagen. Das Land liegt auf dem Index der Pressefreiheit auf Platz 169. Einen Platz vor Saudi-Arabien, wo das zweite Rennen der Saison stattfand. Dort gab es wenige Kilometer von der Strecke entfernt einen Raketenanschlag auf ein Gebäude von amarco, ein Sponsor der Formel 1. Ein Angriff jemenitischer Rebellen, der Saudi-Arabien und nicht der Motorsportserie galt. Laut der Human Rights Watch sind in Bahrain seit 2017 jegliche unabhängigen Medien verboten. Außerdem sind MenschenrechtsverteidigerInnen, OppositionsführerInnen und JournalistInnen inhaftiert. Im Februar 2022 wurde der Vertrag mit den Rennveranstaltern in Bahrain bis 2036 verlängert. Rennen in solchen Ländern gab es in den letzten Jahren immer öfter. Die Grand Prix in Saudi-Arabien und Katar sind 2021 erst dazugekommen.

Anfang 2017 übernahm das amerikanische Unternehmen Liberty Media in Person von Chase Carey als neuer CEO die Formel 1-Gruppe. Zuvor hatte Bernie Ecclestone diese Position 40 Jahr inne. In den 70ern kaufte er die Werberechte der Formel 1 und professionalisierte den Sport. Liberty Media zahlte 4,68 Milliarden und krempelte das Image der Rennserie um. Das Auftreten in den sozialen Medien beispielsweise wurde rundum erneuert, was sich in den Zahlen widerspiegelt. Inzwischen zählt man 50 Millionen Follower. Eine Folge der verjüngten Zuschauerschaft.

Das Geschäft boomt, aber zu welchem Preis?

Die Rekordsaison mit 23 Rennen spült allein durch die Verträge mit den Strecken eine beachtliche Summe in die Kassen der Rennserie. Bahrain beispielsweise bringt 45 Millionen US-Dollar pro Rennwochenende, Saudi-Arabien 55 Millionen, Austin und Japan jeweils 25 Millionen. Europäische oder amerikanische Strecken sind im Durchschnitt günstiger als Bahrain oder Katar. Grund dafür ist ein Aufpreis für Strecken, die in Ländern mit undemokratischen Tendenzen liegen. Die Rennen in der ganzen Welt mögen gut für das Geschäft sein, es birgt aber noch ein anderes Problem: Nachhaltigkeit. Die Autos verbrauchen auf der Strecke viel Kraftstoff. Innerhalb eines Rennens verbraucht jeder der 20 Fahrer laut der Quarks ungefähr 149 Liter Sprit. Allein pro Rennen werden etwa 3.000 Liter Treibstoff verbrannt. Die Fahrer verbrauchen für alle 23 Rennen dieses Jahr knapp 69.000 Liter.
Das größere Problem liegt aber nicht auf der Strecke, sondern daneben. Die Emissionen auf der Strecke selbst machen nur 0,7 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes aus. Und trotzdem sind diese 0,7 Prozent knapp 1.800 Tonnen CO2. Laut dem News-Portal watson entstehen 45 Prozent, 115.700 Tonnen Emissionen durch Logistik und 27,7 Prozent, 71.220 Tonnen, durch das Reisen der Mitarbeitenden. Diese 72,7 Prozent sind so viel CO2, wie 24.275 Deutsche pro Jahr verursachen. Die Formel 1 hat während der Corona-Pandemie die Fernsehübertragungen an einen festen Ort verlegt. Die Rennen werden weiterhin vor Ort gefilmt, alles andere der Übertragung wird nun von Kent, England, aus gesteuert. Durch das Remote Technical Centre spart man den Transport von Material und Personal. Die Teams denken ebenfalls mit. Mercedes-Sprecher Bradley Lord berichtete das watson, dass sein Team bereits einige Ressourcen per Schiff anstelle eines Flugzeugs zu den Rennen transportiere. So spare man 3.000 Kilogramm CO2 ein. Mercedes verschifft allerdings selbst mit dieser Maßnahme erst zwei Prozent der Güter. Der Großteil wird weiterhin eingeflogen. Trotzdem gibt es Sportarten, die mehr verbrauchen. Bei einer Fußball Weltmeisterschaft beispielsweise werden bis zu 2,1 Millionen Tonnen CO2 verbraucht: Die Fans aus der ganzen Welt reisen in ein Land, um die Spiele zu sehen. In der Formel 1 reisen nicht die Fans der ganzen Welt zu den Rennen, sondern die Teams zu den Fans. Zu dem Rennen in Zandvoort, Niederlande, sind 75 Prozent der Fans mit dem Fahrrad angereist. Als Deutsche/r könnte man ein Rennen in den Niederlanden oder Österreich besuchen. Man muss nicht nach Katar reisen, um ein Rennen zu sehen. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft schon. 
Die Fans haben es bei der Fahrt zum Rennen einfacher als die Teams, welche wegen des festen Rennkalenders von Kontinent zu Kontinent reisen müssen. Ein weiteres Problem ist die Reihenfolge der Rennen. Auf den ersten Blick sieht der Rennkalender schlecht organisiert aus. Warum fährt man nicht erst in Austin, dann in Miami und fliegt anschließend nach Montreal? Ganz so einfach ist es nicht. In einigen Verträgen mit den Rennstrecken gibt es feste Plätze im Kalender. Abu Dhabi als letztes Rennen der Saison oder Bahrain als erstes beispielsweise. Man hat also wenig Spielraum bei der Rennansetzung und ist bereits vor der Saison eingeschränkt. Die Reihenfolge muss sich außerdem nach der Jahreszeit richten. In Montreal kann man nicht im Dezember fahren. Die Strecke schneit meistens zu. Da eignen sich Mexiko oder Brasilien mehr. Trotz der Verträge und Wetterlagen hätte man den Rennkalender nachhaltiger planen können. Zu den großen Emissionen kommt zusätzlich noch der Materialverschleiß. Jeder Fahrer darf in einer Saison drei Verbrennungsmotoren nutzen. Bei jedem Motor mehr gibt es Strafen, wie beispielsweise eine Grid-Strafe. Wenn jemand den Motor zum vierten Mal wechselt, wird er im nächsten Qualifying um zehn Plätze nach hinten versetzt. Wenn man sich als Fünfter für das Rennen qualifiziert, startet man von Platz 15. 2021 schafften es nur vier Fahrer mit drei Motoren durch die Saison. Hinzu kommen Reparaturen bei Crashs, die in jedem Rennen passieren können.

Bei einem Verbrauch von 7,7 Litern auf 100 Kilometern mit einem normalen PKW kann man mit 69.000 Litern Benzin 896.000 Kilometer fahren. Man könnte 22-mal den Äquator umfahren. Genau so viel Treibstoff wie bei einem Flug von Düsseldorf nach New York.

Der Hype hält weiter an

Trotz dieser Tatsachen steigt die Popularität der Formel 1 weiter an. Die Netflixdokuserie „Drive to Survive“ spielt dabei eine wichtige Rolle. Die erste Staffel erschien im März 2019, die die Saison 2018 Revue passieren lässt und einen Blick hinter die Kulissen bietet. Im März dieses Jahres wurde die vierte Staffel veröffentlicht. Anfang Mai wurde sich auf eine Produktion der Staffeln fünf und sechs geeinigt. Der Einfluss der Serie ist groß. Vor allem in den USA. Seit dem Release ist die ZuschauerInnenzahl beim Rennen in Austin, Texas, um 40 Prozent gestiegen, so berichtet das News-Portal watson. 2018 kamen am Rennwochenende 264.000 Zuschauer. Letzte Saison waren es bereits 400.000. Allein durch dieses Rennen habe man eine Milliarde mehr Umsatz generiert. Die Folgen: ab 2023 wird auch in Las Vegas gefahren. Das macht drei Rennen in den Vereinigten Staaten ab der nächsten Saison.
Mehr Rennen heißt mehr Reifenverbrauch. Pro Rennen stehen jedem Fahrer 13 Sätze Trockenreifen zur Verfügung. Dazu kommen noch vier Intermediates, kurz Inters, und drei Regenreifen. Inters sind für eine nasse Strecke mit stehendem Wasser vorgesehen. Die Regenreifen werden bei starkem Regen genutzt. Ein Formel 1-Reifen wiegt ungefähr zehn Kilogramm, was pro Fahrer 800 Kilogramm Reifen macht. Sie müssen jedes Rennwochenende transportiert werden. So werden in einer ganzen Saison rund 350 Tonnen Reifen durch die ganze Welt geflogen. Die elektrisch betriebene Formel E geht beim Thema Reifen einen nachhaltigeren Weg. Pro Rennen dürfen die Fahrer sechs Allwetterreifen nutzen. Da kommt die Frage auf, warum man in der Formel 1 drei verschiedene Typen Trockenreifen hat und zwei verschiedene Regenreifen. Das hat etwas mit der Spannung im Rennen zu tun. Die drei Arten von Trockenreifen unterscheiden sich in der Mischung des Materials. Die Mischungen der weichen Reifen bewirken mehr Grip für das Auto. Der Reifen berührt mit mehr Fläche den Boden, weil er sich ausdehnt. Außerdem klebt er förmlich an der Strecke, da das Gummi durch Reibung erhitzt wird. So entsteht der bessere Grip. Mehr Grip heißt eine schnellere Beschleunigung. Mehr Reibung bedeutet aber auch schnellerer Verschleiß. Die roten Reifen sind die weichsten Reifen, die weißen die härtesten. Gelbe Reifen vereinen die Eigenschaften der roten und weißen Reifen. Die Formel E zeigt, dass ein Rennen rein technisch mit weniger Reifen möglich ist. Das System mit den verschiedenen Reifentypen bringt allerdings mehr Spannung für die Fans. Man darf nicht mit einem Satz Reifen ein Rennen durchfahren. Das Reglement verhindert ein sogenanntes Ein-Stop-Rennen. Die Fahrer müssen mit mindestens zwei verschiedenen Reifenmischungen im Rennen fahren. Der sogenannte Pflichtboxenstop. So entstehen mehrere Strategien für die Teams. Startet man mit weichen Reifen, um am Start den bestmöglichen Grip und Beschleunigung zu haben? Oder startet man mit weißen Reifen, um möglichst lange auf der Strecke zu bleiben? Was für Spannung die Strategie auslösen kann, wurde im Saisonfinale 2021 in Abu Dhabi demonstriert.

Wahnsinn auf vier Rädern

Nicholas Latifi baut kurz vor Schluss des Rennens einen Unfall. Das Safety-Car kommt auf die Strecke und dreht seine Runden, bis die Trümmer vom Streckenpersonal beseitigt wurden. Es wird in die Boxengasse beordert und das Rennen wird in der letzten Runde freigegeben. Hier kommt die Reifenstrategie ins Spiel. Der Niederländer ist wegen eines Strategiewechsels auf frischen roten Reifen unterwegs und der Brite auf verbrauchten weißen. Die letzte Runde beginnt und die beiden schenken sich keinen Zentimeter. Die frischen roten Reifen gaben Verstappen den entscheidenden Vorteil. In der fünften Kurve des Kurses setzt der Red Bull-Fahrer die Anstrengungen einer ganzen Saison aufs Spiel. Er versucht aggressiv innen an Hamilton vorbeizuziehen. Die Wagen verfehlen sich um Haaresbreite. Verstappen verlässt die Kurve auf Platz eins. Er hat Hamilton überholt. Der Brite versucht verzweifelt, seinen achten Titel zurückzuerobern. Er schafft es aber nicht. Verstappen ist der neue Champion. Die 350 Tonnen Reifen-Transport haben sich gelohnt. Auch, wenn die Nachhaltigkeit darunter leiden musste. Unter anderem das spannende letzte Rennen der Saison 2021 hat den Hype um die Rennserie noch einmal verstärkt. Eine große, neue und junge ZuschauerInnenschaft bietet die Chance für Sponsoren, eine große Zahl von möglichen Kunden zu erreichen. Deswegen ist die Formel 1 immer noch attraktiv für ihre GeldgeberInnen. Durch die aktuelle Entwicklung in der Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit erhält die Königsklasse allerdings einen faden Beigeschmack. Alternativen wie die Formel E sind noch nicht so etabliert wie die Formel 1, die 2020 das 70-jährige Jubiläum feierte. Die Zukunft bleibt ungewiss für die Teams und Fahrer. Mit der Einführung der Hybridmotoren 2014 wurde bereits ein Schritt in die richtige Richtung getan. Außerdem veröffentlichte die Formel 1 eine Strategie, laut dieser man bis 2030 klimaneutral sein wolle. Ob es bei dem aktuellen CO2-Ausstoß, dem Materialverschleiß und den Reisen über den Globus realistisch ist, wird sich zeigen. Fest steht, dass die Formel 1 die größte Popularität seit langer Zeit genießt. Und das in einer Zeit, in der sie kontrovers ist, wie nie zuvor.

Beim Safety-Car handelt es sich um eine Sicherheitsmaßnahme auf der Strecke. Es gibt eine langsame Geschwindigkeit vor. Solange es auf der Strecke ist, darf niemand überholt werden. So können die Trümmer des kaputten Autos von Streckenmitarbeitern beseitigt werden.

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