Haare spenden gibt Menschen ihr Lebensgefühl zurück

Schnipp, schnapp – Haare ab! Für die einen ist es nur ein Besuch beim Friseur, für die anderen kann eine Haarspende ein neues Lebensgefühl bedeuten. Doch wie genau läuft so eine Spende ab?

Voller Vorfreude sitze ich auf dem Friseurstuhl. Ich freue mich, meine Haare einer guten Sache zu spenden. Aber als die Schere meine seit drei Jahren gewachsenen Haare abschneidet, muss ich doch schlucken. 26 Zentimeter ist meine Haarspende lang. Damit liegt sie knapp einen Zentimeter über der Mindestgrenze.
Aber wie bin ich eigentlich auf diesen Friseurstuhl gekommen? Dafür habe ich auf der Internetseite haare-spenden.de nach einem Partnersalon in meiner Gegend geschaut. Wer es lieber eigenhändig machen möchte, findet auf der Internetseite auch eine Anleitung zum selbst Schneiden und Spenden.
So einfach es sich im ersten Moment anhört, ist es nicht ganz. Einige Kriterien müssen beachtet werden:

  • Die Haare sollten unbehandelt sein, das heißt: nicht gefärbt oder blondiert
  • Die Haare sollten im geflochtenen Zopf mindestens 25 Zentimeter messen
Abmessung der Haarsträhne (Quelle: Jorina Tenberg)

Die Grundlänge von 25 Zentimetern ist wichtig, damit die Haarsträhne weiterverarbeitet werden kann. Wer sich nun fragt: „Meine Haare erfüllen die grundlegenden Punkte, aber wie funktioniert das Ganze denn jetzt?“. Auf diese Reise nehme ich euch mit.
Wie schon beschrieben, habe ich im Internet nach einem Partnersalon gesucht. Auf der Seite haare-spenden.de gibt es über 250 Partnersalons. Wer nach einem in der Nähe schauen möchte, kann dies einfach über seine Postleitzahl machen. Ich habe mich für den Friseursalon Hüsemann in Braunschweig entschieden und bin dorthin gefahren, um meine Haare abschneiden zu lassen. Er ist der einzige Partnersalon im Raum Braunschweig.

Der Salon Hüsemann ist seit 2018 als Partnersalon bei haare-spenden.de registriert. Darauf aufmerksam geworden ist der Salon über eine Kundin.
Auf der Internetseite des Salons ist (noch!) nichts über das Angebot „Haare spenden“ zu finden und doch kommen viele Anrufe. Seit Corona boomt es. Jede Woche ist mindestens eine Person zum Spenden dort. Frau Sieverling und Frau Zimmermann erzählen, wer die längsten Haare gespendet hat.

Beim Haare spenden gibt es keine Altersgrenze. Jeder kann kommen. Die jüngste Spenderin des Salons war acht Jahre alt. Etwas Gutes tun, können Menschen in jeder Altersklasse. Meine Haare sind jetzt abgeschnitten und warten auf die nächste Etappe ihrer Reise zur Perücke.

Jorina Tenberg vor und nach der Spende (Quelle: Jorina Tenberg)

Da der Salon selbst die Haare nicht verschickt, habe ich ein Spendenformular bekommen. Dieses muss ich nun ausfüllen, unterschreiben und zusammen mit meinen abgeschnittenen Zöpfen an eine Manufaktur schicken. Nachdem ich meine Haare sorgfältig eingetütet und mit dem Spendenformular in den Umschlag gesteckt habe, gehen sie auf die Reise zur Manufaktur. Dort angekommen werden die Haare erstmal nach Länge und Farbe sortiert und dann ins Haarlager gebracht.
Täglich kommen dort zwischen 150 und 200 Haarspenden an. Da ist es verständlich, dass nicht alle SpenderInnen eine persönliche Eingangsbestätigung bekommen können.

Haare im Haarlager (Quelle: haare-spenden.de)

Wer seine Haarsträhne aber unbedingt nachverfolgen möchte, kann jetzt ein neu eingeführtes System nutzen: einfach online auf der Internetseite anmelden, und man bekommt eine Haarspendennummer (HS). Diese dann mit auf das Formular schreiben, so dass die Spende zusammen mit der Nummer bearbeitet werden kann. Am Ende bekommt man eine automatische Eingangsbestätigung. Nun sind die Haare angekommen und einsortiert. Aber wie geht es weiter?

Für das Knüpfen einer solchen Perücke brauchen die Mitarbeiter der Manufaktur drei bis vier Monate. Dabei werden immer zwei einzelne Haare genommen und mit einer Knüpfnadel in die Montur eingeknüpft. Die Montur, vorstellbar wie eine Badekappe aus Netz, passt genau auf den Kopf der EmpfängerInnen. In dieses Netz werden die einzelnen Haare verarbeitet. Das dauert eben seine Zeit. Hier wird zudem noch einmal die Länge der Strähne wichtig, denn durch diesen Knüpfprozess geht ein Teil für den Knoten verloren.

Jetzt haben wir eine ungefähre Vorstellung davon, wie eine Perücke entsteht und welche Ausführungen es gibt. Doch was kostet so eine Perücke? Das ist ähnlich wie bei der Kleidung: je höher die Qualität, desto höher der Preis. Im Internet sind Echthaarperücken schon für rund 1.000 Euro zu finden. Die Organisation Haare spenden erklärt, wie ihre Preise zu Stande kommen.

Die vielen Spenden ermöglichen der Organisation, Kindern bis einschließlich 17 Jahren eine Perücke zuzahlungsfrei anfertigen. 

Was eine Perücke bedeutet

Elin Lensky hat aufgrund ihrer Diagnose Hirntumor ihre Haare verloren. Durch eine Perücke hat sie sich erhofft, ein Stück Normalität und ein Stück ihrer Selbst zurückzuerlangen. Dafür ist sie extra in ein Perückenfachgeschäft gegangen. Dort gibt es einen separaten Raum, in den nicht jeder einfach so reinschauen kann. Der Zutritt wird nur für persönliche Anproben gewährt. Denn es geht darum, die Anonymität zu wahren und es für die Menschen persönlicher zu machen. Dieser Raum hat einen Spiegel, so ähnlich wie in einem Friseursalon. Dort hat Elin mit der Perückenfachverkäuferin verschiedene Perücken anprobiert. Zum Befestigten der Perücke gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wenn man noch etwas Eigenhaar besitzt, kann die Perücke mit Klammen fixiert werden. Hat man kein Eigenhaar mehr, kann die Perücke mit einem Gummizug oder Klebestreifen befestigt werden. Elin hat lange gesucht, bis sie die richtige Perücke gefunden hatte.

Doch obwohl Elin schließlich die richtige Perücke gefunden und große Erwartungen hatte, fühlte sie sich damit letztlich doch unwohl. Es war für sie wie ein Fremdkörper auf dem Kopf. Außerdem drückte die Perücke auf Ihre Operationsnarbe. Für sie waren Mützen also eine bessere Alternative. Dennoch ist sie dankbar, dass sie die Chance auf eine Perücke wahrnehmen konnte.

Ich bin froh, dass ich mit meiner Spende so einfach etwas Gutes tun konnte.  Auch, wenn es mich im ersten Moment vielleicht ein bisschen Überwindung gekostet hat, mich von meinen langen Haaren zu trennen. Aber sie wachsen ja wieder nach. Das ist bei anderen vielleicht nicht so. Und dieses Gefühl der Überwindung zeigt auch, wie wichtig uns Menschen die Haarpracht ist. Auch den Menschen, die ihre Haare zum Beispiel durch eine Krankheit ungewollt verloren haben, waren sie wichtig. Und so kann man ihnen ein Stück Normalität zurückgeben.

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