Abzocke durch In-Game-Käufe

Virtuelles Zocken an PC und Spielkonsole ist beliebt. Wer online mithalten will, investiert viel Geld in In-Game-Käufe und Mikrotransaktionen. Der Unterschied zum Glücksspiel ist marginal, die Suchtgefahr immens.

„Am Anfang waren es nur zehn bis 20 Euro, irgendwann habe ich alle drei Tage 100 Euro aufgeladen“, so beschreibt der 22-jährige Wolfsburger Maurice Vier die Entwicklung seiner Geldausgaben für den Spieleklassiker Fifa19. Dass in Deutschland mittlerweile 35 Prozent der Bevölkerung regelmäßig spielen, wirkt sich auch auf die Entwicklung des deutschen Games-Marktes aus. Dieser ist längst ein Riesengeschäft, in dem Milliarden umgesetzt werden. Tendenz: Stark wachsend. Das niederländische Marktforschungsunternehmen Newzoo prognostiziert für dieses Jahr einen Rekordumsatz von 4,6 Milliarden Dollar. Das liegt auch daran, dass viele Spieler wie Maurice eine Menge Geld ausgeben, um durch In-Game-Käufe den Spielspaß vermeintlich zu erhöhen. Der Verband der deutschen Games-Branche spielt das Problem herunter. In einem Positionspapier zum Thema geht er davon aus, dass der absolute Großteil der Spieler kein Geld für freiwillige Zusatzangebote ausgebe.

Laut dem Jahresreport 2018 der deutschen Games-Branche sind die Um-sätze mit virtuellen Gütern und Zusatzinhalten seit dem Jahr 2014 um 77 Prozent gestiegen. Damit macht allein dieser Bereich rund eine Milliarde Euro des Gesamtumsatzes aus. Diese In-Game-Käufe basieren auf dem Prinzip der Mikrotransaktionen. Das sind kleine finanzielle Transaktionen mit realem Geld. Sie ermöglichen dem Spieler durch Zahlung via Kreditkarte, PayPal oder einer Paysafecard, Geld in virtuelles Spielgeld zu wandeln, so dass der Spieler sich Güter oder sogenannte Lootboxen kaufen kann. Eine Lootbox lässt sich mit einem Überraschungsei vergleichen. Der Spieler hofft auf seltene Inhalte, die allerdings unbekannt sind. Die Häufigkeit, mit der ein bestimmter Gegenstand in einer Lootbox auftaucht, nennt man Drop Rate. Je geringer diese ausfällt, desto wertvoller der Gegenstand.

Abzocktricks der Industrie

Mikrotransaktionen finden sich in den verschiedensten Spielarten. Bei free-to-play Spielen wie beispielsweise dem Smartphone-Klassiker Candy-Crush. Hier ist das Spiel kostenlos und Einnahmen werden nur durch Werbung und In-Game-Verkäufe erzielt. Die Transaktionen dienen dazu, Hilfsmittel zu erhalten, wenn ein Level zu schwer ist. Das hat mit Glücksspiel nicht viel zu tun, denn der Spieler kann die Level auch einfach durch seine gute Spielweise lösen.

Bei pay-to-win-Spielen lässt sich so die Abzock-Strategie der Gaming-Industrie beobachten. In diesem Fall lädt sich der Spieler etwa ein kostenloses Aufbau-Strategie-Spiel auf sein Smartphone. Am bekanntesten ist hier das Spiel Clash of Clans, das 2017 von über 100 Millionen Usern täglich gespielt wurde. Der Gamer baut seine eigene Siedlung, er beginnt Spaß am Spiel zu haben und die Siedlung wächst. Mit wachsendem Spielfortschritt steigen auch die Bauzeiten für die Gebäude der Siedlung. Zu Beginn betragen die Bauzeiten 60 Sekunden, nach ein- bis zweimonatiger Spieldauer bis zu sechs Tage. Der Nutzer könnte abwarten, oder für 50 Cent die Bauzeit halbieren oder sie für zwei Euro durch den Kauf von Juwelen direkt beenden.

Die Spieler, vor allem Kinder, verfallen in eine Spielsucht und es wird immer mehr Geld für Juwelen ausgegeben. „Durch die Tricks der Industrie finden viele Jugendliche kein Ende und verzocken Zeit und Geld“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Aus Spaß kann schnell Sucht werden. Deshalb muss der Glückspielcharakter in Computerspielen eingedämmt werden“, so Storm weiter. Der Kauf wird meist über den Apple- oder Google Playstore abgewickelt, wodurch eine Kontrolle durch die Eltern schwerfällt. Denn die Transaktionen werden in der Regel mit Guthaben-Karten abgewickelt, die an fast jeder Tankstelle erworben werden können. Es ist unschwer zu erkennen, dass Pay-to-Win- Games auf die Geldbörse der Jugendlichen abzielen. Denn bei steigendem Spielfortschritt ist die Konkurrenzfähigkeit nur durch Käufe zu erreichen. Doch leider ist dies noch nicht die Spitze des Eisberges.

Fifa Ultimate Team: eine Gelddruckmaschine

Wie sieht es bei so genannten Pay-to-Play-Spielen aus? Also Spiele, die auf der Konsole oder dem Computer gespielt werden und vorher für durch-schnittlich 60 bis 70 Euro erworben werden müssen? Wirtschaftlicher Vorreiter ist hier EA Sports mit dem Spielklassiker Fifa, welcher jedes Jahr im November für 70 Euro im Handel erhältlich ist, beziehungsweise die Deluxe Version für 100 Euro. Diese beinhaltet bereits 25 Fifapacks – also Lootboxen –, die für den Hauptmodus Fifa UltimateTeam benötigt werden. EA könnte auch jeden November ein kostenloses Update veröffentlichen, denn die einzigen Unterschiede zum Vorgängermodell sind in der Regel zwei bis drei neue Spielmodi und aktualisierte Teams. Dass sich die Spieldaten vom Vorgängerspiel nicht übertragen lassen, ist ebenfalls frech. Doch die zahlreichen Tricks, die EA nutzt, um vor allem durch Fifa Ultimate Team, kurz FUT, Einnahmen zu generieren, sind noch viel dreister. Trotzdem ist Fifa nach Angaben der DAK-Gesundheit, nach Fortnite, das beliebteste Spiel in Deutschland.

Die Chance, einen legendären Spieler wie Cristiano Ronaldo zu erhalten, liegt bei unter einem Prozent und der Spieler muss für solch eine Spielkarte im Durchschnitt mindestens 190 Euro investieren. Doch durch verschiedene Arten von Packs, mit unterschiedlich starken Inhalten, bekommt der Spieler ein unbewusstes Gefühl der Kontrolle und denkt, er könne durch seine Wahl Einfluss auf das Ergebnis des Packs nehmen. Andererseits sind Packs auch durch mühseliges Spielen zu erhalten. Da gibt es bei FUT die Weekend-League. Diese läuft von Donnerstag bis Sonntag. Der Spieler hat währenddessen Zeit, 30 Spiele zu gewinnen. Je mehr Siege, desto größer die Belohnung durch Packs. Das sind dann schon mal zehn Stunden Spielzeit an einem Wochenende. Durch die langatmige Arbeit erhält der Spieler ein Pack und es wird Dopamin ausgeschüttet. Die Spielerfahrung ist bewusst mühselig gestaltet, sodass dem Spieler klar wird, dass das ganze Prozedere durch Käufe von Packs beschleunigt werden kann. Dieser Vorgang nennt sich Compulsion Loops. Eine gewohnheitsmäßige Kette von Aktivitäten erzeugt Langeweile und somit wird indirekt Werbung für den Kauf von Packs erzeugt.

Fassen wir zusammen: Ein halbwegs gutes Team ohne Investments ist nicht möglich, denn für ein Online-Spiel von einer Dauer von 15 Minuten erhält der Spieler circa. 600 Fifa Coins. Gute Spielerkarten, die stark genug für den Onlinewettbewerb sind, starten bei einem Preis von circa 100.000 Fifa Coins. Nach oben hin scheint es keine Grenze zu geben. Legendäre Karten wie beispielsweise Maradona oder Messi kosten den Gamer zwischen 4 bis 6 Millionen Fifa Coins. Das bedeutet, ohne reales Geld kann der Spieler in diesem Modus nicht mithalten oder muss extrem gut sein, um mit schwachen Spielerkarten zu bestehen.

2018 hat sich Electronic Arts sich den DDA-Algorithmus patentieren lassen, der den Schwierigkeitsgrad individuell anpasst. Ist ein Spiel zu einfach, erhöht das System den Schwierigkeitsgrad und umgekehrt. Dies soll den Spielspaß erhöhen soll und wird von EA transparent kommuniziert. Allerdings mehren sich die kritischen Stimmen: Demnach soll der Algorithmus auch Funktionen erhalten, die von EA bislang nicht transparent kommuniziert werden, wie aktuell, vor allem auf dem Social News-Aggregator Reddit diskutiert wird. Denn der Algorithmus ist theoretisch in der Lage, sämtliche Spielerdaten zu speichern und diese auch zur Profitoptimierung einzusetzen. Folglich könne EA eine Übersicht sämtlicher Gamer erstellen, die bereits Zahlungen in Form von In-Game-Käufen getätigt haben. So könnte Fifa Spielern, die sich in einer verzwickten Lage befinden, kostenpflichtige Gegenstände empfehlen, Spieler nach einem Kauf durch ein positives Erlebnis belohnen oder Gamern, die lange nichts mehr investiert haben, abstrafen. Dass EA viele Userdaten speichert und der Algorithmus in Offline-Spielen angewendet wird, ist belegt. Ob der DDA auch im Onlinemodus oder sogar beim „Ziehen von Packs“ verwendet wird, ist indes bisher unklar. Fest steht jedoch, dass EA stark auf den Algorithmus setzt, um den Spielspaß und womöglich auch den Umsatz zu erhöhen.

Seit Jahresanfang ist Fifa Points in den Niederlanden und Belgien gesetzlich verboten, da sie gegen die Glücksspielgesetze verstoßen. Nun steht die Frage im Raum, ob Lootboxen wirkliche Gemeinsamkeiten mit dem Glücksspiel aufweisen und ob dieses Gesetz nicht auch etwas für Deutschland wäre. Denn die Spieleindustrie und allen voran EA Sports nutzt zahlreiche psychologische Tricks, die aus Spielcasinos bekannt sind, wie der DAK feststellt. Mehr als 15 Prozent der Minderjährigen gelten demnach als Risiko-Gamer. Betroffene fehlen oft in der Schule, haben emotionale Probleme und geben viel Geld für Games aus. Darüber sagten die Befragten der Studie aus, dass 30 Prozent der Spieler sich der Konsole widmen, um nicht an unangenehme Dinge wie beispielsweise die Schule denken zu müssen.

Dubiose Algorithmen

Eins der bekanntesten Prinzipien von Geldspielautomaten basiert auf dem variable redule schedule Versuch. Die Versuchspersonen halten einen Knopf gedrückt und erhalten dafür eine Pizza. Nach einiger Zeit wurde es langweiliger und das Interesse der Probanden ging zurück. Im zweiten Durchgang drückten die Testpersonen den Knopf und bekamen dafür unterschiedliche Belohnungen. Dadurch entsteht ein Überraschungseffekt, welcher das Glückshormon Dopamin freisetzt. Der Mensch erhält das Gefühl, durch den Knopfdruck eine Belohnung zu erhalten. Genau dieses Prinzip haben sich die Lootboxen von Geldspielautomaten abgeguckt. Dies wird mit einem Automaten ähnlichen Design der Lootboxen kombiniert. Das Pack wackelt und blinkt, wird musikalisch illustriert und platzt wie eine digitale Pinata. Das alles innerhalb von wenigen Sekunden sorgt für den Dopamin-Kick, der die Abhängigkeit fördert. Ein weiterer Punkt, der dafürspricht, dass EA Glücksspiel betreibt, ist die sogenannte „eskalierende Verpflichtung“. Dies ist der Grundstein für den Erfolg von Spielcasinos. Sobald der Spieler Geld und Zeit investiert hat, wird es schwer, den Einsatz wieder herauszuholen. Also wird gezockt, bis der Verlust wieder drin ist. Das ist irrational, da die Wahrscheinlichkeit gegen den Spieler spricht. Allerdings legitimieren die Spieler so für sich weitere Investments. Wer schon 200 Euro in Packs investiert und keine guten Spielerkarten erhalten hat, bei dem muss es ja bei den nächsten 20 Euro funktionieren?

Aufzuhören fällt schwer. Für Glücksspiel spricht außerdem der Umtausch in andere Währungen, dies ist ebenfalls Standard in Spielcasinos. Der Spieler entwickelt eine mentale Distanz zum realen Geld und eine irreführende Preisstruktur sorgt dafür, dass der Spieler die Relation zum Geld verliert. Zum Vergleich: 1 Fifapoint sind ungefähr 0,85 Cent. Das macht bei einem Durchschnittspreis von 100 Points 85 Cent pro Fifa Pack. Fifa Ultimate Team kombiniert somit sämtliche Tricks der Geldindustrie für eine sehr junge Community, um die Profitgier zu steigern. Jahr für Jahr erscheint ein neues Spiel. Der Fortschritt ist auf null gesetzt. Seit 2009 wird jedes Fifa Spiel für EA profitabler und der Umsatz erhöht sich. Gleichzeitig stagnieren die Ausgaben für die Spielentwicklung und gehen somit unter Berücksichtigung der Inflation zurück. Die Millionen durch den reinen Verkauf des Spiels werden jährlich ergänzt durch etwa 800 Millionen Euro mit Ultimate Team.

Die Industrie wiegelt ab. Man müsse vorsichtig mit dem Suchtbegriff umgehen, argumentiert der Verband der deutschen Games-Industrie. Eine einfache Ursachenzuschreibung exzessiven Spielens sei bei den Betroffenen nicht möglich.

Sozialpädagogin Anette Haring sieht das anders. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit exzessiver Mediennutzung. Fehlende Kontrolle, mangelhafte Aufsicht von Eltern und die Unwissenheit der Menschen können zur Sucht führen, die oft genug erst spät erkannt wird. Laut Haring dauert es bis ein Bewusstsein für eine Sucht entsteht, da sich niemand eine Mediensucht eingestehen möchte. Denn eine Mediensucht spreche gegen die digitale Mediennutzung, bringe somit also gesellschaftliche Probleme mit sich. Die meisten Eltern sind froh, wenn ihr Kind nur das harmlose Fußballspiel spielt und nicht aggressiv durch Ballerspiele wird. Allerdings sollte man sich die Frage stellen, ob das scheinbar harmlose Fußballspiel nicht das tatsächlich gefährlichere ist, dass das Taschengeld aufsaugt und ein Suchtpotenzial mit sich bringt. Haring fordert ein verändertes Bewusstsein der Eltern, um die Kommerzialisierung des Spielspaßes zu stoppen.

Für gewerbliche Geldspielautomaten in Deutschland gilt seit Anfang 2019 ein strengeres Gesetz – also für Erwachsene, die bereits eine Relation zu Geld haben und dieses selbst verdienen. Jugendliche hingegen können bislang noch ohne Regulierungen, Gesetze und Transparenz ihr gesamtes Geld in Games stecken, die an eine geldgierige Spielindustrie fließen, die sich an Kindern bereichern kann und im Verborgenen zu einer milliardenschweren Marktmacht heranwächst – mit besten Zukunftsaussichten. Das kann so nicht weitergehen: „Der Staat darf nicht weiter zuschauen“, sagt Haring.

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