Bis dass der Tod uns scheidet?

Ewige Liebe und Zärtlichkeit – das verbinden junge Menschen mit der Ehe. Doch bis vor 50 Jahren waren die Gründe für das Heiraten eher zweckmäßig als romantisch. Was haben wir von der Ehe noch zu erwarten?

Für Goethe war die Sache klar. Er hielt die Ehe für „eigentlich unnatürlich“. Doch zugleich hielt der Dichterfürst die „Heiligkeit der Ehe“ für eine „Kulturerrungenschaft des Christentums […] und von unschätzbarem Werte“. Der Grundkonflikt ist nach wie vor aktuell. Heiraten ist aufwendig und kostspielig, das Risiko zu scheitern hoch: jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden. Und doch heiraten die Menschen, früher aus Mittel zum Zweck und purer materieller Notwendigkeit, heute manchmal beziehungsweise vordergründig aus Liebe. Was dabei genau zwischen früher und heute passiert ist, gibt Aufschluss über die vielleicht juristisch wichtigste Bindung zwischen den Menschen und deren Bedeutung für die heutige Gesellschaft.

Das Konzept der Ehe oder der Bündnisse gibt es schon länger als Menschen überliefern können. Es scheint damit sehr menschlich zu sein. Evolutionsforscher gehen davon aus, dass zu Beginn der Menschheit Promiskuität und Inzest herrschte, wie eine Studie des Instituts für Paläoanthropologie in Leipzig belegt. Der Biologe Svante Pääbo analysierte für sein Neandertaler-Genom-Projekt das Erbgut der Neandertaler und veröffentlichte 2010 erste Ergebnisse, die verblüfften: Bei den heutigen Menschen wurden Neandertaler-Erbanlagen nachgewiesen. Dieses Paarungsverhalten hat aus wissenschaftlicher Sicht Vorteile, denn es ermöglicht dem menschlichen Körper von heute das bessere Unterscheiden von fremdartigen Zellen.

Durch die technische Weiterentwicklung und den ständigen Konkurrenzkampf zwischen Menschen werden neue Sozialstrukturen erschaffen. Dem deutsch-britischen Soziologen Norbert Elias zufolge, erklärt ein Wandel dieser Strukturen den Prozess der Zivilisation. Durch die Interaktion der Menschen wird die Kontrolle des eigenen Verhaltens zugunsten einer funktionierenden Gesellschaft immer wichtiger. Grob gesagt: Selbstkontrolle, Affektkontrolle und Disziplin. Dazu gehörten auch die Kontrolle und Steuerung des Heirats- und Fortpflanzungsverhaltens. Bei fortschreitender Sesshaftigkeit wurden plötzlich Dinge wie Landbesitz und Erben wichtig. Der eigene Nachwuchs sollte nachvollzogen werden können und so wurde die Monogamie langsam, aber sicher zur sozialen Norm.

Die Geschichte der Ehe

Das Bündnis von Mann und Frau war also von Anfang an eher zweckmäßig und unromantisch. Das änderte sich auch in der Antike, im alten Rom und im Mittelalter nicht. Es sind aber neue Faktoren dazu gekommen, weswegen die Menschen von damals den Bund der Ehe eingegangen sind. Die Eheschließung galt damals als Möglichkeit, Familien politisch und geschäftlich aneinander zu binden und im Mittelalter auch zur Verbindung zweier Sippen. Außerdem konnte so der männliche Name weitergegeben werden. Eine Heirat aus Liebe war hier selten bis nie der Fall. Im besten Fall entwickelte sie sich im Laufe der Zeit.

Formell gesehen war die Eheschließung in vorchristlicher Zeit ziemlich unkompliziert. Die Zeremonie war privat und wurde als weltlicher Vertrag angesehen. Also eine Sache der Menschen, ohne geistliche Absegnung. Erst im Mittelalter kam die kirchliche Trauung ins Spiel, wobei sie immer noch mehr Sitte als Pflicht war. Deutlich wird hier aber der Vormarsch der Kirche in puncto Machtposition und Mitspracherecht bei der Eheschließung.

Ab dem 13. Jahrhundert drängte die katholische Kirche endgültig auf die Übernahme des formellen Akts der Eheschließung. Sie wollte sich mehr Macht verschaffen und ihren Einfluss innerhalb der Gesellschaft vergrößern. Die Geistlichen legten die Ehe als unauflösliches Sakrament fest, das nicht aufgehoben, sondern lediglich annulliert werden kann. Das heißt, sie wurde formell für nichtig erklärt. Aus christlicher Sicht sind die Aussagen der Bibel bindend und so erklärte die Kirche die Monogamie als ideale Eheform und bestrafte Verstöße gegen ihre auferlegten Gebote. Bigamie, Homosexualität und Ehebruch. Letzteres ist unter dem 6. Gebot bekannt und lautet genau: Du sollst nicht ehebrechen. Keine Scheidung und kein Ehebruch – zwei Dinge mit denen sich Heinrich VIII. in keinem Fall abfinden konnte. Der berüchtigte König war seinerzeit mit Katharina von Aragon verheiratet und wartete sehnsüchtig auf den legitimen Thronfolger. Da diese ihm aber keinen Sohn gebar und Heinrich seine Geliebte Anne Boleyn heiraten wollte, drängte er zur Annullierung. Der Papst wollte dieser Bitte nicht nachkommen, die Ehe war ja ein unauflösliches Sakrament. Diese Ablehnung veranlasste den wütenden König dazu die Scheidung im Mai 1533 von einem englischen Gericht durchführen zu lassen. Im Januar 1533, vier Monate vor der Scheidung also, heiratete Heinrich VIII. jedoch schon still und heimlich seine schwangere Geliebte, Anne. Der englische König wurde daraufhin exkommuniziert und sagte sich mithilfe der sogenannten Suprematsakte von der römisch-katholischen Kirche ab. Bis zu seinem Tod heiratete er sechs Mal.

Zur gleichen Zeit konnte Martin Luther im Alten Reich mit den Regeln der Kirche wenig anfangen. Priester und Mönche durften nicht heiraten, damit das Bistum, über das die Bischöfe herrschten, mit ihrem Tod an die Kirche zurückfiel. Neben der Spaltung in die evangelische und katholische Kirche im Jahr 1517, reformierte der frühere Mönch also noch das Eherecht, schaffte das Zölibat ab und führte mit dem Protestantismus die Scheidung ein. Selbst führte Luther ein lebhaftes Eheleben mit Katharina von Bora, einer früheren Nonne – der Archetyp des protestantischen Pfarrhauses.

Das Rollenmodell der Ehe zu dieser Zeit war klar. Bei diesem frühneuzeitlichen Modell der Heirat war die Frau für Haus und Kinder zuständig, der Mann für die Versorgung und den Unterhalt. Man heiratete, um sich wirtschaftlich abzusichern. Es herrschte dazu eine materielle Abhängigkeit der Frau. Sie waren juristisch nur eingeschränkt handlungsfähig und ihr Eigentum unterlag der Verfügungsgewalt des Mannes. Romantische Liebe war hier eher nicht zu finden.

Mit der französischen Revolution 1789 verbreitete sich langsam der Gedanke von Gleichheit und Freiheit. Die französische Schriftstellerin und Revolutionärin Olympe de Gouges forderte bereits 1791 dieselben Rechte und Pflichten für Frauen ein. Diese galten bislang nur für Männer. Im Laufe der Jahre bekam die Frau immer mehr Rechte, was Bildung und Politik betraf. Mit der immer fortschreitenden wirtschaftlichen Emanzipation und der daraus resultierenden finanziellen Unabhängigkeit der Frau, wurde ab den 1970er Jahren dann immer häufiger aus Liebe geheiratet. Als ebenbürtige Partner, wenn beide es wollten und wenn echte Gefühle im Spiel waren. Aus Zweck wurde schließlich Zuneigung.

Während die napoleonischen Kriege Europa ins Chaos stürzten, veröffentlichte der britische Ökonom Thomas Robert Malthus 1798 seine Theorie zur weltweiten Bevölkerungsentwicklung. Demnach wächst die Bevölkerung schneller (exponentiell) als die Nahrungsmittelproduktion (linear). Um dem Problem Herr zu werden, gab es für ihn nur zwei, aus heutiger Sicht zynisch anmutende Bremsen: Naturkatastrophen und ein kontrolliertes Paarungsverhalten.

Malthus‘ Theorie wurde 1965 von dem Mathematiker John Hajnal untermauert. Die Hajnal-Linie beschreibt das Heiratsverhalten in Westeuropa ab dem 16. Jahrhundert, besser bekannt als European marriage pattern (EMP). Im Westen der Linie, und somit vorwiegend in industriellen Ländern, stellt er ein hohes Heiratsalter sowie eine hohe Zahl an Unverheirateten fest. Östlich der Linie und in einzelnen anderen Ländern war ein relativ niedriges Heiratsalter zu erkennen. Für Hajnal war klar: Die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung von Westeuropa und den angrenzenden Ländern ist auf das Heiratsalter zurückzuführen.

Das EMP führe zu positiven Ergebnissen innerhalb der Gesellschaft. Das Bevölkerungswachstum wurde begrenzt, die rechtliche Stellung der Frau durch die Ehe gestärkt, und auch die Familie erhielt einen wichtigeren Stellenwert. Dass Familien bis heute von Gesellschaften gefördert werden, spiegelt sich in den Vorteilen der Gesellschaft ab.

Die Ehe heute

Mit fortschreitender Aufklärung und Säkularisierung und mit zunehmendem Wohlstand gaben sich die westeuropäischen Gesellschaften tolerantere Gesetze. Und mit der abnehmenden ökonomischen Logik der Partnersuche rückte ein Luxus-Motiv der Partnerwahl plötzlich weit nach vorne: Liebe. Laut einer Online-Umfrage der Online Vermittlung Parship, ist das Liebesversprechen der beste Grund zum Heiraten, dicht gefolgt von der Absicherung und den steuerlichen Ersparnissen. Doch birgt die Liebesheirat gleich die nächste Falle. „Das Konzept der Monogamie ist eng verbunden mit dem Glauben an tiefe – und ewige – romantische Liebe“, sagt Sven Fritz, Braunschweiger Sexualtherapeut und Sexualwissenschaftler.

Die Sache mit der Treue

Fritz behandelt viele Paare, die Probleme mit ihrer Sexualität haben. „Häufig erleben Paare, die von unserer Kultur des monogamen Primats und der seriellen Monogamie abweichen, Unverständnis oder gar massive Ablehnung.“ Der Evolutionspsychologe Lars Penke von der Universität Göttingen hält „die lebenslange, feste Monogamie“ für „eine kulturelle Erfindung.“ Der Mensch habe erst im Laufe der Sesshaftigkeit und durch den Einfluss von meist monotheistischen Religionen zur Monogamie gefunden.

Monogamie – eine gesellschaftliche Norm, die zugleich für etwas Großes steht. Sie ist unerlässlich für das Funktionieren einer zivilisierten Bevölkerung und trägt effizient zur Begrenzung der Bevölkerung bei, auch wenn die Triebkontrolle für den Einzelnen vielleicht nicht ganz so leicht ist.

In Berlin, wo schon manche modernen Gesellschaftsentwürfe erprobt wurden, entwirft man Szenarien für die Zukunft der Paarbeziehungen. Dass die offene Ehe, die auch andere sexuelle Partner als den Ehepartner ermöglicht, zukünftig gang und gäbe werden könnte, hält man am Archiv für Sexualwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität für vorstellbar – genauso wie eine Ehe auf Probe, in der erstmal ausgetestet wird, ob man als Ehepaar zueinander passt. Diskutiert wird auch das Fünf-Jahre-Modell. Dabei bleiben die Partner fünf Jahre lang verheiratet. Danach dürfen beide entscheiden – nochmal fünf Jahre oder bis dass der Tod uns scheidet? Luxusprobleme, die nur in der heutigen Welt mit Antibabypille und hohem Wohlstand vorstellbar sind. Martin Luther hätte darüber womöglich nur den Kopf geschüttelt.

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