„Die Work-Life-Balance ist nicht ganz ausgeglichen“

Viele wollen hoch hinaus – doch wie ist es da oben überhaupt? Holger Kintscher ist Vorstand für Finanzen und IT bei Volkswagen Nutzfahrzeuge in Hannover und rundum zufrieden – auch wenn er keine Zeit mehr für Fußball hat. Unsere Autorin Celine kennt ihn seit vielen Jahren. Deshalb sind sie per Du.

Holger, wolltest du schon immer Manager werden? 

Holger: Nein, als Kind wollte ich Pilot werden. Das hat sich dann irgendwann einfach geändert und von da an wollte ich Manager werden.

Würdest du denn heute gerne Pilot werden, wenn du noch einmal von vorne anfangen könntest? 

Holger: Ich würde immer noch den gleichen Weg wählen und nichts Wesentliches anders machen. Ich habe definitiv das Richtige im Leben gemacht.

Wie gefällt dir dein Job auf einer Skala von 1 bis 10? 

Holger: Die Corona-Krise macht es gerade schwierig. Aber unter normalen Umständen würde ich sagen: 9.

Du bist heute Finanzvorstand bei VW Nutzfahrzeuge (VWN). Mit den Werken in Hannover, Poznan und Wrzesnia sind das rund 30.000 Mitarbeiter. Konntest du dir schon von Anfang an vorstellen einen so hohen Posten einzunehmen oder kam das erst mit der Zeit? 

Holger: Seit ich im Jahr 2000 die Leitung für das Controlling und Rechnungswesen bei VWN in Hannover übernommen habe. Vorher konnte ich mir nicht vorstellen jemals so hoch in einem Unternehmen zu stehen, aber ab dem Zeit- punkt hatte ich die Hoffnung, dass es funktionieren würde.

Hast du heute noch manchmal Angst bzw. Respekt vor dieser Verantwortung? 

Holger: Angst habe ich keine, aber Respekt habe ich wirklich sehr viel. Ich glaube auch, dass man diesen Respekt immer behalten muss, damit man mit beiden Füßen auf dem Boden bleibt. Man muss sich immer bewusst sein, welche Verantwortung man für die Firma trägt und vor allem für die vielen Mitarbeiter in Hannover und in Polen. Da muss man sich respektvoll den Entscheidungen nähern, die man treffen will.

Wenn du dich mal an die Anfänge deiner Karriere zurückversetzt. Wie ist es eigentlich, immer mehr Verantwortung im Job zu übernehmen? 

Holger: Das wächst ja zum Glück langsam. Am Anfang war es nur ein kleines Team von sechs Leuten im Logistikcontrolling in Wolfsburg und das war wirklich gut. Man wächst mit der Aufgabe und so ist es auch mit der Verantwortung sowie dem Umgang damit. Am Anfang war es einfach und dann ist es langsam immer komplexer geworden. Ich hatte nie Probleme damit, mehr Verantwortung zu übernehmen.

(Quelle: Holger Kintscher)

Die Hoffnung hat sich dann ja erfüllt! Wie sieht denn heute so ein typischer Arbeitstag bei dir aus? 

Holger: Um halb 8 Uhr morgens bin ich im Büro. Dann gibt es eine Frührunde mit meinem Assistenten bzw. meiner Sekretärin und danach gehen die ersten Besprechungen los. Entweder Finanz- und IT-intern oder bestimmte Gremien innerhalb der Marke Nutzfahrzeuge. Zum Beispiel Gremien, in denen über die zukünftigen Produktportfolios entschieden wird. Sonst gibt es noch Vorstandssitzungen oder finanzinterne Besprechungen über die aktuelle Ergebnissituation.

Geht das dann den ganzen Tag so oder gibt es auch noch andere Aufgaben und ist das denn dann ausreichend abwechslungsreich? 

Holger: Meistens zieht sich das so durch den Tag. Es ist aber insgesamt sehr unterschiedlich und vielfältig. Es gibt aber auch noch Abstimmungen mit dem Konzern, die dann meistens in Wolfsburg stattfinden – jedenfalls zu normalen Zeiten.

Wie anders läuft denn der Corona -Alltag ab, wenn er von Kontaktsperren beeinflusst wird? 

Holger: Im Moment läuft alles über Skype. Wir als Vorstände sind noch relativ oft im Werk, allerdings nach den vorgegebenen Regeln mit mindestens 2 Metern Abstand und so weiter. Aber ich mache jetzt auch teilweise schon Homeoffice. Das gab es vorher auch noch nicht.

Was gefällt dir denn besonders gut?


Holger: Am besten hat mir gefallen, dass ich viel gesehen habe. Ich war in Polen, Tschechien, Spanien und jetzt wieder in Deutschland. Ich habe sehr unterschiedliche Menschen und Arbeitsweisen kennengelernt. Das hat mir Freude gemacht. Und wenn ich an jetzt denke, dann gefällt mir am besten, dass ich wieder mit Nutzfahrzeugen zu tun habe, wo ich ja auch mal angefangen habe.

Was gefällt dir weniger an deiner Arbeit? 

Holger: Wo auch immer ich hingekommen bin, habe ich es mit Krisen zu tun gehabt. Bei VWN fing es an mit der Umstellung von T4 auf T5, da haben wir rote Zahlen geschrieben. Als ich zu Skoda nach Tschechien gewechselt bin, kam die Finanzkrise 2008 und Seat in Spanien schrieb tiefrote Zahlen. Man bekommt auch nicht gerade viele Sympathiepunkte, wenn man als Finanzchef immer neue Sparprogramme auferlegt. Und jetzt bin ich wieder bei Volkswagen Nutzfahrzeuge und wir haben Covid-19. Im Großen und Ganzen macht es mir aber auch Spaß ein Unternehmen wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

Du hast schon viel über deine Mitarbeiter erzählt! Hat man als Vorstand denn auch privat mit den Mit-arbeitern zu tun? 

Holger: Das ist unterschiedlich. Mit allen geht es selbstverständlich nicht, bei der Vielzahl an Mitarbeitern. Mit den direkten Mitarbeitern hatte ich aber in allen Positionen Kontakt. Ich will nicht sagen häufig, aber schon guten Kontakt. Wir haben uns öfter mal auf ein Bier getroffen oder sind mit den Partnern essen gegangen. Da kann ich sehr wohl zwischen Freizeit und Beruf trennen. Aber ich bin auch eher ein offener Mensch. Ich kann mir trotzdem gut vorstellen, dass manche meiner Vorstandskollegen vielleicht nicht so offen sind. Da muss jeder seinen eigenen Weg finden. Mir ist es jedoch wichtig, privaten Kontakt zu Mitarbeitern zu pflegen.

Sitzt du in der Kantine mittags eigentlich bei deinem Team? 

Holger: Ja. Ich gehe sehr gerne in die Kantine, weil man da immer Leute trifft und hört, was eigentlich auf Mitarbeiterebene und in anderen Geschäftsbereichen los ist.

Bekommt man als Vorstand in der Kantine eigentlich größere Portionen? 

Holger: Nein man bekommt exakt die gleichen Portionen wie die Mitarbeiter. Im Gegenteil, ich würde eigentlich lieber weniger nehmen. Wenn ich sage, dass ich gerne eine kleinere Portion haben möchte, ist die jedoch fast genau so groß wie die normale Portion. Ich nehme trotzdem immer kleinere Portionen, um nicht zuzunehmen. (lacht)

(Quelle: Holger Kintscher)

Wie viel Freizeit bleibt da in der Woche neben der Arbeit? 

Holger: Ich arbeite im Durchschnitt so zehn bis zwölf Stunden am Tag und der Rest des Tages bis zum Schlafen bleibt dann für Freizeit, das sind dann vielleicht drei Stunden. Am Wochenende versuche ich mir das freizuhalten, wobei ich auch da in Summe nochmal drei bis vier Stunden zum Aufarbeiten nutze.

Das sind dann ja rund 60 Stunden Arbeit pro Woche. Hast du überhaupt Zeit für Freizeitaktivitäten? 

Holger: Das ist schwankend. Früher habe ich noch sehr viel Fußball gespielt und konnte dann sehr oft nicht zum Training, wenn es abends länger ging im Betrieb. Da hatte ich schon das Gefühl, dass ich zu wenig Zeit für Freizeit habe. Mit meiner Frau ist es genauso, da ich nicht so viel Zuhause war und bin, um etwas mit ihr zu unternehmen. Ich habe auch das Gefühl, dass meine Work-Life-Balance nicht ganz ausgeglichen ist.

Und wie sieht deine Urlaubsplanung im Jahr aus? 

Holger: Wenn ich Urlaub habe, dann habe ich auch tatsächlich fast richtig Urlaub. Denn es gibt eine gute Regelung bei Volkswagen. Wir haben im Sommer drei Wochen, in denen keine Vorstandssitzungen stattfinden. Wenn es besondere Situationen gibt, kann ich zweifellos nicht einfach in den Urlaub gehen, wie zum Beispiel der Dieselskandal 2016. In dem Jahr hatte ich keinen Urlaub. Sonst checke ich natürlich jeden Tag meine Emails. Meistens ist in dieser Zeit auch Werksurlaub und es werden keine Autos produziert, aber eine Notbesetzung bleibt auf jeden Fall da.

Wofür gibt man das ganze Geld aus, wenn man gar nicht so viel Freizeit hat? 

Holger: Dafür habe ich meine Frau, die macht das sehr gut! (lacht) Spaß beiseite, aber es ist tatsächlich so, dass sie sich um unsere privaten Belange, inklusive unserer neuen Wohnung in Hannover kümmert. Ansonsten habe

ich mein Geld in Aktien und Fonds angelegt. Da hat man natürlich nicht immer Glück, wie jetzt gerade. Dann besitzen wir noch eine Immobilie in Hannover, wir reisen sehr viel und spenden gerne an wohltätige Einrichtungen.

Von wie viel Geld im Jahr sprechen wir denn eigentlich? 

Holger: Was ich im Jahr verdiene darf ich gar nicht sagen. Dazu habe ich mich vertraglich verpflichtet. Es ist aber deutlich weniger als viele denken.

Musst du noch arbeiten, oder machst du das inzwischen aus Freude? 

Holger: Nein, ich kann tatsächlich noch nicht in Rente gehen.

Machen so viel Arbeit und Geld glücklich und vermisst du etwas in deinem Berufs- oder Privatleben? 

Holger: Ob Arbeit und Geld glücklich machen, kann ich nicht sagen. Ich bin es jedenfalls. Seit der Corona-Krise vermisse ich die Nähe zu meiner Familie und meinen Freunden. Sonst bin ich glücklich!

Zum Abschluss noch eine wichtige Frage: Was rätst du jemandem, der jetzt eine Karriere als Manager anstrebt? 

Holger: Erst einmal Augen auf bei der Berufswahl. Ich würde mir schon genau angucken, was zu mir passt und was ich machen will. In welchen Geschäftsbereich will ich einsteigen oder in welche Branche. Ich könnte mir nicht vorstellen, irgendwelche Kühlschränke zu bauen. Man braucht eine gewisse Emotionalität zum Unternehmen. Wenn man seinen Weg eingeschlagen hat, sollte man immer authentisch bleiben und nicht versuchen eine Rolle zu spielen. Das funktioniert nämlich nie. Es gehört zu einer großen Karriere auch immer ein bisschen Glück. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Aber das Wichtigste ist, dass man durch Leistung überzeugt und authentisch bleibt.

Vielen Dank, für das Interview. Wir wünschen alles Gute!

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