Es ist Mai. Die warmen Sonnenstrahlen treffen mein Gesicht, während ich auf dem Balkon sitze und meiner Mutter dabei zusehe, wie sie ihre Balkonkästen bepflanzt. Lasse ich meinen Blick schweifen, erstreckt sich ein idyllisches Fleckchen Erde vor mir. Aus meinem Liegestuhl heraus kann ich auf große Rapsfelder schauen, bin umgeben von kleinen Teichen und blinzle direkt in die Sonne, die hoch über dem Waldrand steht. Drei Bauernhöfe befinden sich in unmittelbarer Nähe, ansonsten gibt es mehr Pferde in der Nachbarschaft als Menschen. Ich schließe die Augen und lausche den Vögeln. „Erwischt!“, höre ich meine Mutter brüllen, lang bevor ich den Schmerz auf meinem Oberarm spüre. Mit der zusammengerollten Zeitung, welche ihr eben noch als Unterlage diente, hat sie die Wespe erschlagen, die auf mich zugeflogen ist.
In einem der wenigen Häuser in unserer Nachbarschaft wohnt Kerstin Probst mit ihrer Familie. Sie ist Landwirtin und Imkerin zugleich. Ihre Bienenvölker stehen am Rand ihrer Rapsfelder, auf die ich vom Balkon aus blicken kann. Zu sehen, woher der Honig kommt, den meine Eltern und ich zum Frühstück essen, ist ein großes Privileg. Ihre Völker unterstützen wir gerne mit einigen insektenfreundlichen Blumen in den Balkonkästen. Schließlich hat man als LaieIn wahrscheinlich auch schon viel vom Bienensterben gehört. Jedoch ist es nicht die Honigbiene, welche ausstirbt. Sie gehört nicht einmal zu den bedrohten Arten. Das eigentliche Problem ist der Verlust der Wildbienen, zu denen auch Hummeln, Hornissen und unsere ungeliebten Freunde – die Wespen – zählen. Deren Aussterben hat fatale Folgen für die Landwirtschaft und unser Ökosystem, denn sie tragen laut dem Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) wesentlich zum Erhalt der Artenvielfalt bei, indem sie die Verbreitung hunderttausender Pflanzen unterstützen, welche wiederum Nahrungsgrundlage für diverse Tierarten bilden. In unzähligen Artikeln, unter anderem auch des NABU, wird suggeriert, dass ein wesentlicher Grund für das Bienensterben die Landwirtschaft mit dem Einsatz von Pestiziden sei.
Über diese Anschuldigung und weitere Ursachen habe ich mich mit Kerstin Probst unterhalten und sie macht deutlich, dass die Schuld nicht per se auf die LandwirtInnen zu schieben sei. Sie erklärt mir, dass Pestizide vor der Zulassung auf mögliche Folgen für Insekten getestet werden. Stellen sie eine Bedrohung dar, werden sie nicht zugelassen und somit nicht in der Landwirtschaft verwendet. Ein viel wichtigerer Aspekt sei die Zerstörung des natürlichen Lebensraumes. „Jeden Tag verliert die Bundesrepublik 60 Hektar Fläche durch Erschließung von Bauland für Baugebiete und/oder Gewerbegebiete.“ Das entspricht 600.000 m² täglich. Das größte Problem sei aber, „dass jeder nach außen sagt, er ist gegen das Artensterben, aber anders handelt. […] Die Menschen sagen zwar, sie möchten es aufhalten, sind aber nur wenig ambitioniert, dafür ‚Opfer‘ zu bringen.“Wenn ich etwas aus dem Gespräch mitgenommen habe, dann ist es die Erinnerung daran, dass leere Worte noch niemandem geholfen haben und es umso wichtiger ist, sich zu informieren und sein eigenes Verhalten zu reflektieren.
Ein Anfang könnte schon damit gemacht werden, den Rasen erst zu mähen, nachdem der Klee und die Butterblumen bereits geblüht haben. Wer darüber hinaus noch eine kleine Ecke im Garten oder in den Balkonkästen entbehren kann, der bietet unseren summenden Freunden mit einigen bienenfreundlichen Blumen eine wunderbare Nahrungsquelle.
Apropos Nahrungsquelle: Wer seinen Honig direkt beim ImkerIn aus der Gegend kauft, trägt nicht nur dazu bei, dass weniger Bienenkrankheiten aus Nicht-EU-Ländern beim Import des Honigs für den Supermarkt ins Land getragen werden, sondern unterstützt zusätzlich die eigene Region und den lokalen Handel. Hier auch unbedingt darauf achten, die Honiggläser auszuwaschen – falls sie nicht zurückgegeben und wiederverwendet werden können – bevor sie in den Altglascontainer geworfen werden. Andernfalls werden durch die Honigreste weitere Bienen angelockt, die sich durch die entstehenden Endosporen ebenfalls mit tödlichen Krankheiten infizieren und diese verbreiten können. Und zu guter Letzt: Vielleicht einfach einen Meter zurückweichen, anstatt das Tier zu erschlagen. Kleiner Aufwand mit großer Wirkung.