Bring your own drugs – mitten in Deutschland

Hamburg, Frankfurt oder Hannover – in vielen deutschen Großstädten gibt es sie bereits: Einrichtungen, in denen man seine selbst mitgebrachten Drogen legal konsumieren darf. Wie das sein kann, erfahrt ihr hier.

Mittwochnachmittag. Kurz nach 17 Uhr. Ich sitze in der Bahn Richtung Hauptbahnhof. Mir gegenüber sitzt ein Mann Mitte 30. Er sieht erschöpft aus. An der Endstation steigen wir beide aus. Geht er nach Hause oder zur Arbeit? Trifft er sich mit Freunden in einer Kneipe oder fährt er noch weiter? Wo er wirklich hingeht würde ich wohl nie erraten. 

„Es gibt die oder den klassischen Drogenkonsumenten, […] der irgendwo im Dreck liegt und total verwahrlost ist, […] aber es gibt ganz viele, denen man es nicht ansieht“, sagt Vikas Bapat, der Leiter des Stellwerks in Hannover. 

Fixerstuben, Druckräume, Gifträume – die Einrichtungen dienen der sogenannten „harm reduction“, also „Schadensminderung“. Konkret bedeutet das, Besucher können ihre zuvor illegal erworbenen Drogen wie Heroin oder Kokain risikominimiert und in einem sterilen Umfeld konsumieren. Infektionen und schwere Folgeerkrankungen sollen beispielsweise durch die Bereitstellung von sterilem Spritzbesteck vermieden werden. Zusätzlich ermöglicht die Überwachung der Konsumvorgänge eine sofortige medizinische Versorgung bei Überdosierungen oder anderen Drogennotfällen. Neben den gesundheitlichen Aspekten soll mit der Hilfe von Drogenkonsumräumen die offene Drogenszene von der Straße geholt werden.

Der Konsum von illegalen Drogen steht im Stellwerk in Hannover an der Tagesordnung. Einrichtungsleiter Vikas Bapat hat seine berufliche Laufbahn vor 18 Jahren mit einem Praktikum im Konsumraum in Hannover begonnen. Er zeigt Campus38 die Einrichtung und erklärt, wie man sich den Alltag dort vorzustellen hat.

Hamburger Bahnhof – locker 500 Leute; in mehreren Stadtteilen war das dann auch noch der Fall. […] Es war eine unheimlich hohe Drogentodeszahl […]. Da geht‘s nicht um Recht auf Raus, sondern die HIV-Welle, hohe Todeszahlen und zunehmende Verelendung, das waren die drei Gründe, um Drogenkonsumräume einzurichten“, sagt Urs Köthner, der Einrichtungsleiter des ABRIGADO in Hamburg.

Das ABRIGADO ist im Mai 1994 eröffnet worden und war damit der erste Drogenkonsumraum in Deutschland. Zu dieser Zeit ist die rechtliche Grundlage für eine legale Einrichtung dieser Art nicht eindeutig gewesen. Durch ein Gutachten des Frankfurter Staatsanwaltes Körner ist eine vorerst ausreichende Rechtsgrundlage geschaffen worden, die die Eröffnung von Drogenkonsumräumen legitimierte. Im Jahr 2.000 wurde mit dem neuen Betäubungsmitteländerungsgesetz der Paragraph 10a geschaffen. Dieser ermächtigt die Bundesländer, die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb von Drogenkonsumräumen in einer Rechtsverordnung zu regeln. Somit liegt die Errichtung eines Drogenkonsumraumes immer in der Hand der jeweiligen Landesregierung.

Bayern hat andere Regelungen 

In Bayern dürfen beispielsweise keine Drogenkonsumräume eröffnet werden. Der Grund dafür ist nach Aussage des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, dass die Bayerische Staatsregierung „in ihrer Sucht- und Drogenpolitik auf Prävention, Rechtssicherheit und strikte Anwendung des Rechts auf der einen Seite sowie Hilfen und Beratung für die Betroffenen und deren Angehörige auf der anderen Seite“ setzt. Außerdem stehe die Erleichterung und der Schutz des Konsums von illegal beschaffenem Rauschgift im Widerspruch zur strafrechtlichen Verfolgung von Besitz und Erwerb des Rauschgiftes.

In den Städten, die Drogenkonsumräume eröffnet haben konnten schon einige Erfolge verzeichnet werden: „Bei uns im Konsumraum ist seit 1994 noch niemals jemand verstorben, weil die Mitarbeiter im Fall einer Überdosierung immer intervenieren“, berichtet Karl Hamacher vom La Strada in Frankfurt. Dort gebe es konstant ungefähr 200.000 Konsumvorgänge pro Jahr.

Infokasten:

Bei Konsumvorgängen handelt es sich nicht um Personen, die den Konsumraum nutzen, sondern um die Besuche des Konsumraumes insgesamt. Geht also eine Person dreimal am Tag in einen Konsumraum, werden drei Konsumvorgänge verzeichnet.

Auch im Stellwerk in Hannover wird der Drogenkonsumraum von vielen Menschen in Anspruch genommen. Nach Aussage Bapats finden pro Tag ungefähr 80 Konsumvorgänge statt. „Also es sind eher immer die gleichen Leute, gerade was den Heroinkonsum angeht, sind in den letzten fünf Jahren kaum noch Leute dazu gekommen“, stellt er fest und schätzt den Altersdurchschnitt auf 40 Jahre. Die genauen Beweggründe für die Nutzung eines Konsumraumes erklärt Manu im Audio-Interview. 

Manu ist 35 und seit ungefähr 20 Jahren in der Drogenszene. Er konsumiert Kokain. Den Drogenkonsumraum in Hannover kennt er seit dem Tag der Eröffnung und nutzt ihn seither regelmäßig. Im Interview mit Campus38 erklärt er seine Beweggründe dafür.

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