Eventbranche im Lockdown

Die Pandemie zwingt Konzertsäle und Clubs zur Schließung. Wie und ob Betroffenen geholfen wird und warum Corona-Hilfen einen Musiker in Kontakt mit Ermittlungsbehörden brachten, lest ihr hier.

Christopher Blanke sitzt im Homeoffice. Normalerweise würde er gerade Konzerte planen, Künstler buchen und Veranstalter kontaktieren. Jetzt sitzt er jedoch nur in seinem Büro, das Telefon ist still und viele E-Mails muss er auch nicht beantworten. Blanke ist 39 Jahre alt und selbstständig mit seiner eigenen Booking-Agentur. Er bucht KünstlerInnen für Veranstaltungen und verschafft ihnen Auftritte, dafür bekommt seine Agentur einen Anteil der Gage der KünstlerInnen. Je mehr Konzerte die KünstlerInnen spielen, desto höher der Umsatz der Agentur. Doch Corona bringt ihn und viele andere in der Branche gerade in eine ungünstige Lage.

InhaberInnen von Locations können aufgrund der fehlenden Veranstaltungen die trotz dessen anfallenden Unterhaltskosten nicht bezahlen. FotografInnen können durch die Kontaktbeschränkungen keine Fotoshootings realisieren und ihre Studiomiete nicht aufbringen. MusikerInnen können aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie ihren Lebensunterhalt nicht finanzieren. Die Existenz der gesamten Branche ist bedroht. Eine Studie des Research Institute for Exhibition and Live-Communication zeigt, dass die Veranstaltungsbranche und die damit verbundenen Unternehmen den sechstgrößten Wirtschaftszweig in Deutschland stellen. Mit circa 130 Milliarden Euro Umsatz liegt die Branche sogar vor der Metallerzeugung und -bearbeitung. Insgesamt sind in der Veranstaltungsbranche etwa 1,5 Millionen Menschen beschäftigt, wie TontechnikerInnen, Sicherheitspersonal oder Cateringangestellte.

 

„Ich werde wegen Betrugs angeklagt!“

Tätige in der Branche fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. „Der Staat verbietet mir zu arbeiten. Da will ich dann aber auch vom Staat durchgefüttert werden“, sagt Paul Präkelt, Musiker aus Braunschweig. Ihm blieb bis zum Lockdown-Light zuletzt noch die Straßenmusik, um ein wenig Geld in seine Kassen zu spülen. Die ist jedoch, aufgrund von Mund-Nasenschutz-Pflicht in der Innenstadt von Braunschweig, zurzeit auch nicht mehr möglich. Eine vernünftige finanzielle Hilfe wäre ein Zuschuss „in Höhe des Umsatzes des Vorjahres“, so der 25-Jährige. Aktuell falle er durch die Raster der von den Fördermaßnahmen erfassten KünstlerInnen. Im März beantragte er die Corona-Soforthilfe in Höhe von 3000 Euro, welche er letztendlich auch erhalten hat. Diese durfte er jedoch nicht für den Lebensunterhalt aufwenden. Präkelt kritisiert die Undurchsichtigkeiten bei der Antragstellung. wofür er die Corona-Soforthilfe anwenden durfte und was ihm nun rechtliche Probleme bereitet hat – das erklärt er im folgenden Podcast.

Beispiele für Fördermaßnahmen des Staates sind die außerordentliche Wirtschaftshilfe oder Überbrückungshilfe II. Antragsberechtigt für die außerordentliche Wirtschaftshilfe sind von den Schließungen direkt betroffene Unternehmen, Betriebe oder Selbstständige. Diese können bis zu 75 Prozent des Umsatzes vom Vorjahresmonat erhalten. Für die Überbrückungshilfe II sind Unternehmen jeder Größe antragsberechtigt. Diese müssen laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie jedoch entweder einen „Umsatzeinbruch von mindestens 50 Prozent in zwei zusammenhängenden Monaten im Zeitraum April bis August 2020 gegenüber den jeweiligen Vorjahresmonaten“ oder einen „Umsatzeinbruch von mindestens 30 Prozent im Durchschnitt in den Monaten April bis August 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum“ nachweisen können. Ergänzt von weiteren „Wenn“ und „Aber“.

Zur Veranstaltungsbranche gehören nicht nur die KünstlerInnen

Die bisher erlassenen Fördermaßnahmen gelten für viele als zu kompliziert und erfassen einen Teil der Branche nicht. Sarah ist 24 Jahre alt und Fotografin, sie kann Shootings aufgrund der derzeitigen Maßnahmen nur begrenzt durchführen. Unternehmen und Firmen würden momentan vor allem bei Fotos und Design sparen. Meist seien ihre Models gerade Privatpersonen, an denen man nichts verdiene. Staatliche Hilfen habe sie keine in Anspruch nehmen können. Die würden nur für betriebliche Kosten gelten, wie zum Beispiel für Angestellte oder Studiomiete, die bei ihr jedoch nicht anfallen. „Im Prinzip ist es ja schon richtig, dass alles irgendwie zurückgefahren wird, damit man das Ganze eingrenzen kann. Das Ganze funktioniert aber nur, wenn dabei die Leute, die darunter leiden, vernünftig unterstützt werden. Das ist derzeit nicht der Fall“, so Sarah.

Mit den Wünschen nach geeigneten finanziellen Hilfen sind Sarah und Paul jedoch nicht allein. Mit dem Bündnis AlarmstufeRot haben sich die einflussreichsten Initiativen und Verbände der deutschen Veranstaltungswirtschaft zusammengetan und versuchen durch Demonstrationen und Social-Media-Kampagnen, auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen. „Wir gewährleisten im Rahmen unserer Aktivitäten eine ökonomische, geistige und kulturelle Vielfalt, die unsere Wirtschaft stärkt und unsere Gesellschaft bereichert“, heißt es auf der eigens dafür erstellten Website des Bündnisses. „Wir gehen in die Vollen, um auch Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständigen unter die Arme zu greifen“, betonte Bundesfinanzminister Olaf Scholz bereits Ende März auf einer Bundespressekonferenz. Das Bündnis fordert die Anpassung von Kreditmaßnahmen und die Ausweitung von Überbrückungsprogrammen.

Ob BookerInnen, MusikerInnen oder FotografInnen – vor Corona einte sie vielleicht die Arbeit auf demselben Konzert oder Festival. Jetzt eint sie vor allem eins: die Frage, ob sie diese Pandemie wirtschaftlich überleben. Sicher ist, allein schaffen sie das nicht. Denn zu der Veranstaltungsbranche gehören nicht nur die KünstlerInnen, die am Ende auf der Bühne stehen, sondern auch der Mann, der das Ticket reißt oder die Frau, die Fotos macht.

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