Jede Woche am Montag und Donnerstag um 17:30 und Samstag um 11:00 findet sich eine Gruppe von Leuten im Prinzenpark ein. Ob bei Regen, Schnee oder Wind, dort wird zusammen geschwitzt und trainiert. Sie drücken sich vom Boden hoch. Sie ziehen sich an Stangen hoch. Alles in gymnastik- und turnähnlichen Bewegungen. Das Ziel? Für jeden hier unterschiedlich. Manche fangen hier mit dem Trainieren zum ersten Mal an oder starten seit Langem wieder, andere bereiten sich auf ihre Wettkämpfe vor und weitere halten sich einfach fit. Die Gemeinschaft und der Sport ziehen allerlei Leute an, um dort mit ihrem Körpergewicht zu trainieren. Calisthenics.
Calisthenics existieren so lange wie das Trainieren selbst. Jede Person, die einen Sport treibt oder getrieben hat, ist bereits damit in Kontakt gekommen. Allein Liegestütze sind in fast jedem Trainingsplan zu finden. Und selbst wenn diese nicht vorhanden sind, ist praktisch jede Bauchübung, die auf Körpergewicht basiert, Teil des Konzeptes von Calisthenics. Jede Übung wird allein mit dem Körpergewicht durchgeführt. Diese sind entweder dynamische Übungen, wie beispielsweise Klimmzüge, bei denen man die Muskelgruppen einer vollen Bewegung aussetzt, oder statische, also Übungen, bei denen der Körper in einer Position gehalten wird, wie Planking. Das Gute dabei ist, neben der eigenen Stärke wird kaum Equipment gebraucht.
Die Grundpfeiler hier sind Klimmzüge, Liegestütze, Kniebeugen und Situps. Um daraus ein Workout zu machen, braucht man lediglich etwas, an dem man sich hochziehen kann. Meistert man eine Übung oder man will etwas Abwechslung haben, gibt es genug Variationen und andere Übungen, auf die man ausweichen kann. Falls die normalen Übungen zu schwer sind, weil sie etwa eine gewisse Körperspannung und -kontrolle voraussetzen, gibt es simple Wege sie zu vereinfachen.
In diesem Aspekt ist Gewichtstraining dem Körpergewicht überlegen. Es kann einfach das Gewicht am Gerät angepasst werden. Doch da hören die Unterschiede nicht auf. Calisthenics-Training besteht aus so genannten Compound-Übungen, bei denen mehrere Muskeln und Muskelgruppen auf einmal benutzt werden – im Gegensatz zum Gewichtheben, wo gezielt Muskelgruppen isoliert werden. Damit unterscheiden sich auch die jeweiligen Ergebnisse. Will man schnell an Masse gewinnen, sind Gewichte der bessere Weg. Bei Calisthenics verliert man durch die körperweite Belastung schneller Fett und definiert seine Muskeln. Doch dieser Fortschritt kommt langsamer und kann „[…] manchmal ewig dauern[…]“, meint Franka S., Calisthenics-Sportlerin, in einem Interview.
Franka hat vor einem Jahr angefangen, Calisthenics zu trainieren und bereitet sich zurzeit auf ihren ersten Wettkampf vor, einen Ausdauerwettkampf. Bei einem solchen Wettkampf wird eine bestimmte Anzahl an Übungen mit einer bestimmten Anzahl an Wiederholungen durchgeführt. Wer diese am schnellsten schafft, gewinnt. Weitere Wettkämpfe sind Trickwettkämpfe, die in ihrer Akrobatik dem Geräteturnen ähneln und Statikwettkämpfe, bei denen Übungen wie der Frontlever oder Planche auf ihre Sauberkeit überprüft werden. Für die Wettbewerbsvorbereitung wurde sie von der Cali38-Gruppe unter ihre Fittiche genommen. Sie hatte sich schon vorher für Calisthenics interessiert, traute sich jedoch nicht, in anderen, männerdominierten Gruppen anzufangen. Als sie dann die Gruppe in Braunschweig fand, konnte sie endlich mit dem Training beginnen, denn gemeinsam zu trainieren war wichtig für ihre Motivation.
Die Gruppe Cali38 wurde 2020 von Nikolai Zander mit mehreren Freunden ins Leben gerufen, als er herausfand, dass eine solche Gruppe bereits in anderen Städten existiert. Als dann die Fitnessstudios in der Corona-Pandemie geschlossen wurden, sah er die Chance, den Sport der Calisthenics anderen näher zu bringen. Die Aktivitäten der Gruppe sind vor allem auf ihrem Instagram Kanal „@Cali38_“ zu sehen, auf dem kurze Tutorials, Reviews zu Trainingsparks in Braunschweig und Neuigkeiten in der Umgebung gepostet werden. Dazu gibt es viele Posts aus der Community, denn diese wird hier großgeschrieben. Man trainiert zusammen und keiner wird ausgeschlossen. Untereinander kommuniziert wird über eine 60 Personen große Whatsapp-Gruppe, um abzusprechen, wer zu welchem Training kommt. Tritt man als Anfänger bei, sind alle erfahrenen SportlerInnen in der Gruppedazu bereit, einem die ersten Schritte zu zeigen. „Hier hilft jeder jedem“, meint Nikolai. Denn auch wenn man sich so fühlen mag als würde man zu einem Probetraining wie im Fitnessstudio erscheinen, gibt es keinerlei Zwang oder Verpflichtung. Da die ganze Organisation probono läuft, können alle dazu kommen oder gehen, wann es ihnen passt. Auch als Fortgeschrittene/r wird auf einen aufgepasst, da die Technik bei Calisthenics wichtiger ist, als noch eine Wiederholung in der Übung zu machen. Aus diesem Grund sind Einzeltraining und Youtube-Videos typische Gefahren für Anfänger, da eine fehlende Kontrolle der richtigen Ausführung mit zu fortgeschrittenen Übungen zu Verletzungen führen kann.
Cali38 ist nicht nur eine Trainingsgruppe im Park. Auch außerhalb des Trainings engagieren sich die Gruppenmitglieder für diverse Projekte. Man kann sie manchmal auf Fitnessfestivals finden, wo sie Workshops in Kooperation mit Equipmentherstellern anbieten oder auf Wettkämpfen, auf denen sie als Gruppe ihre eigenen und andere TeilnehmerInnen unterstützen. Sie beraten die Stadt Braunschweig dazu, was in den Anlagen in den Parks verbessert werden könnte. Für die Trainingsanlage im Prinzenpark konnten sie Gelder der Stadt für Straßenlaternen erstreiten, damit auch im Winter ein Training möglich ist.
Hat man genug Interesse und Zeit investiert, kann das Training auch den Einstieg in andere Sportarten erleichtern, die auf Körpergewicht basieren. Sportarten, wie zum Beispiel Geräteturnen, Capoeira, Bouldern oder Ninja Sport, generell Sport, der sich auf Bewegungen wie bei Ninja Warrior fokussiert, beinhalten in ihrer Durchführung oder dem Training alle Aspekte von Calisthenics. Daneben gibt es mehrere gesundheitliche Vorteile, die diese Sportart mit sich bringt. Neben den Effekten, die man durch jede Art von sportlicher Aktivität erreicht, wie das Freisetzen von Endorphin, Serotonin und Dopamin oder die Risikosenkung diverser Herzkrankheiten hilft der simple Akt von einer Stange zu hängen zum Beispiel den Rücken zu strecken und diverse Schmerzen/Beschwerden zu lindern, die durch zu viel Zeit in einer sitzenden oder liegenden Position auftreten können. Dazu wird die Mobilität und Stärke der Schulter verbessert, was die Haltung des Körpers korrigieren kann. Doch die positiven Effekte kommen nicht vom Training allein. Da die Anlagen hauptsächlich in Parks gebaut sind, verbringt man mehr Zeit an der frischen Luft und in einer natürlichen Umgebung. Dies kann zur Steigerung der Konzentration und Senkung von Cortisol, einem Stresshormon, führen.
Es gibt kaum einen Grund, keinen Sport zu treiben. Doch aller Anfang ist schwer. Man weiß nicht wo man anfangen soll oder, ob man wirklich Anschluss in der Community findet. Doch genau dafür ist Cali38 da, mit der offenen und anfängerfreundlichen Art eine Gruppe, mit der jeder und jede den Sport der Calisthenics lernen kann. Die Mitglieder erleichtern den Einstieg, und in einer Gruppe zu trainieren hilft, motiviert für das Training zu bleiben. Außerdem kann man dort direkt Kontakte mit Leuten knüpfen, die entweder aus dem gleichen Grund da sind oder ganz andere Hintergründe haben. Und selbst wenn man nicht in einer Gruppe trainieren will, gibt es dafür genug öffentliche Anlagen oder auch die Möglichkeit, im eigenen Heim anzufangen.
Statt teurer Abos im Fitnessstudio gibt es mittlerweile zahlreiche kostenfreie Alternativen, um in professioneller Umgebung Sport zu treiben. In Braunschweig gibt es inzwischen eine Calisthenics-Gruppe, die gemeinschaftlich im Freien trainiert.
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