Deutschland und das BGE oder: Das Homophon von Kiel

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft, das deutsche Sozialsystem steht in der Kritik. Als möglicher Ausweg wird das bedingungslose Grundeinkommen gehandelt. Aber ist es ein wünschenswerter und finanzierbarer Lösungsansatz?

„Schleswig-Holstein – Bundesland will das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) als erstes testen.“ So lauteten die Schlagzeilen in vielen Zeitungen. Linke Spinner und arbeitslose Schmarotzer köpften bereits die ersten Tetrapacks mit Ein-Euro-Wein und buchten ihren nächsten, langersehnten Urlaub. BGE ist nur einmal im Jahr und Schleswig-Holstein das neue Malle des kleinen Mannes. Las man allerdings ein paar Zeilen weiter in den Texten zu diesen famosen Überschriften, so bekam man es schnell mit großer Ernüchterung zu tun: Es sollte lediglich über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert werden, ein Test war noch gar nicht in Sicht. Yes! Endlich wird in der Politik mal wieder diskutiert.

„Zukunft wird aus Mut gemacht!“, sagten die Grünen, die neben CDU und FDP mit in der Landesregierung von Schleswig-Holstein stecken. Welche Zukunft die wohl meinen? Die Landesregierung hat zumindest schon einmal erkannt, dass das Sozialsystem im momentanen Zustand weniger ausreicht als das Monatseinkommen eines Hartz-IV-Empfängers. Wortwörtlich. Diskutieren ist prinzipiell auch nichts schlechtes. Man sollte ja schließlich durchdacht handeln und nicht wie diverse Bitcoin-Fanatiker jeden Hype mitmachen. Aber die Idee des BGEs steckt schon so lange im politischen Diskurs, wie der BER-Flughafen im Bau. Irgendwann muss man auch mal mit dem Definieren beginnen. Wer jetzt, wie die dort regierende Jamaika-Koalition, ein sogenanntes „Zukunftslabor“ fordert, um alternative Modelle zum Sozialsystem zu diskutieren, ist nicht nur stinklangweilig, sondern erstickt auch jede Hoffnung auf akute Besserung im Keim. Die Sonne ist flach, der Klimawandel zerstört unsere Chemtrails und Politiker revolutionieren in den nächsten paar Jahren unser Sozialsystem auf eine innovative Art und Weise. Alles absurde Verschwörungstheorien.

 

Bedingungsloses Grundeinkommen – was ist das überhaupt? Campus38 erklärt euch beide Betrachtungsweisen des Modells.

Sorry, hier soll gar nicht schwarzgemalt werden. Wie es so oft im Leben ist, gucke ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die Ereignisse. Ich freue mich – endlich findet das Thema Gehör und das auf einer konkreten politischen Ebene. Aber es nervt mich auch, denn wieder einmal passiert nicht wirklich etwas. Es ist wie in so einem Mittagstief, das man hat, nachdem man zwei Portionen Pommes, eine Currywurst und eine Diät-Cola hatte. Bei Mitgliedern von FDP, CDU und Grünen scheint mir das chronisch veranlagt. Leider ist wohl auch eine Jamaika-Koalition die menschliche Manifestation des Schlaf-Emojis. Warum wird bei solchen Fragen nicht einfach mal etwas ausprobiert? Was gibt es denn zu verlieren? Das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler? Lol.

Die Ergebnisse aus dem sogenannten „Zukunftslabor“ sollen schließlich in den Bundestag getragen werden. Kann man sich auf Bundesebene wirklich auf ein Pilotprojekt einigen? „Ich zweifle, also bin ich“ – Zitat, der Autor dieses Textes. CDU und Grüne könnten sich vielleicht noch an das Thema BGE herantrauen, aber spätestens bei der FDP hört es dann auf. Die wollen wieder nur ihr komisches Bürgergeld. Ich höre es schon: „Es ist besser gar kein Pilotprojekt zu starten, als ein falsches Pilotprojekt zu starten.“ Oder wie der Amerikaner sagen würde: Liberale! Der FDPler mag es halt einfach, möchte aber trotzdem immer noch etwas Besonderes sein. Ich glaube, sie sind der einzige Grund, weshalb es noch Klettverschlussschuhe für Erwachsene gibt. Einfach zu bedienen, aber hey, man fällt mit den Dingern halt auf!

BGE als Pauschale pro Engagement
Dabei spricht doch so viel dafür, das BGE einfach einmal auszuprobieren. Das bedingungslose Grundeinkommen versprüht nämlich endlich mal wieder ein Fünkchen Utopie! Das können wir in unserer ermüdeten Gesellschaft dringend gebrauchen. In einer Gesellschaft, in der sich die Menschen immer stärker in Retropien flüchten, brauchen wir mal wieder etwas Neues, etwas Freches. Und damit meine ich nicht Luke Mockridge. Der verklärte Blick in die vergangenen Zeiten hilft uns bei Problemen nicht weiter, wenn wir, auf unserem Hoverboard stehend, uns geradewegs in die digitalisierte Zukunft beamen. Eine Zukunft, in der nicht mehr die bösen Flüchtlinge, sondern Roboter unsere Jobs klauen. Laut McKinsey-Annahmen ist in 30 Jahren fast jeder zweite Job in Deutschland durch die Digitalisierung und zunehmender Automation abgelöst. Besonders Produktions- und Transportjobs erwischt es mit der vollen Breitseite. Bedrohlich? Nein: Nötig! Das heißt, es könnten sich endlich mehr Menschen sozial engagieren, unsere Omas und Opas pflegen und auf unsere Kinder aufpassen. Denkt denn keiner an unsere Kinder?! Spätestens hier kommt das Grundeinkommen ins Spiel. Für die einen aus sozialpolitischen Gründen, wie zum Beispiel bei der Linkspopulistin und angehenden Dragqueen Katja Kipping von der Linkspartei. Andere hingegen denken nur an all das viele Geld und die angekurbelte Wirtschaft. Oder geht es Unternehmern wie dem anthroposophisch angehauchten DM-Chef Götz Werner, die sich für ein BGE einsetzen, wirklich um sozialen Fortschritt? Das könnte man stärker anzweifeln als Christian Lindners natürlichen Haaransatz.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist nicht dazu gedacht die Wirtschaft anzukurbeln, sondern um eine Engagement- und Demokratiepauschale zu erschaffen, auf deren Basis wir uns frei bewegen und entfalten können. Für uns und für die Gesellschaft. Arbeitnehmer werden in eine bessere Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt versetzt und auch Arbeit, für die es keinen Lohn gibt, wird endlich wertgeschätzt. Grüße gehen hierbei raus an meine Mama, die schon jahrelang zuhause als Hausfrau arbeitet und ehrenamtlich in der Kirche. Keine Lohnarbeit, aber trotzdem wichtig.

Zusammengefasst: „Ein Kind umfahren“ hat eine ganz andere Bedeutung als „ein Kind umfahren“, auch wenn es genau gleich klingt. So ähnlich ist es auch in Schleswig-Holstein: Der dortige Koalitionsvertrag klingt nach einem Fortschritt für das BGE, im Endeffekt bedeutet es aber, dass man vorerst weiterhin einen großen Bogen um das Thema macht und versucht, es elegant zu umschiffen. Cleverer Schachzug, um so zu tun, als könnte man etwas Soziales.

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