In der lebendigen Fußgängerzone von Hannover ist er an einem normalen Samstagnachmittag schon von Weitem zu hören. Moritz, auch bekannt als Mystical Mo, ist Schlagzeuger und verwandelt die Innenstadt in ein Tanzparkett der guten Laune. Ein Halbkreis bildet sich um ihn herum. Eine Ansammlung von Menschen, denen die Freude ins Gesicht geschrieben steht. Als sein Spiel auf dem Schlagzeug mit dem lauten Klingen der Becken endet, gibt es kein Halten mehr. Die Menschen beginnen zu jubeln und zu applaudieren. Mystical Mo atmet tief durch und genießt seinen wohl verdienten Applaus, denn so wie ihm geht es vielen StraßenmusikerInnen.
Doch Mystical Mo ist nicht der Erste, der sich zum Musizieren auf die Straße begibt. Bereits seit der frühen Antike ziehen WandersängerInnen oder Barden durch das Land, um auf Marktplätzen ihr Talent zur Schau zu stellen. Auch aus dem aktuellen Jahrhundert gibt es zahlreiche KünstlerInnen, die ihrer Passion gefolgt sind und diese in das öffentliche Leben getragen haben. Die Gründe, warum sich Menschen auf die Straße begeben, sind dabei vielseitig. Der offensichtlichste Aspekt ist hierbei wohl der finanzielle. So berichten viele KünstlerInnen, dass sie ihr Überleben allein durch ihre Auftritte auf der Straße sicherstellen könnten. Es gibt aber auch weitere Aspekte, welche eine wichtige Rolle für die KünstlerInnen einnehmen. Einerseits wollen manche nur Freude verbreiten oder eine, ihnen wichtige, politische Botschaft kundgeben, andererseits nutzen gerade junge KünstlerInnen die Auftritte auf der Straße, um ihre Fähigkeiten zu verbessern. Zu guter Letzt gibt es auch noch einen weiteren Beweggrund, sich bei Wind und Wetter auf den grauen Asphalt zu stellen: Viele talentierte KünstlerInnen erreichen gerade in der heutigen Zeit weitaus mehr Personen als nur die Passanten, die direkt an dem Ort des Geschehens zusehen. Durch die sozialen Medien wie Instagram, Facebook oder YouTube werden mittlerweile KünstlerInnen auch international bekannt und sogar von Produzenten oder Talentscouts von der Straße weg „gesignt“. Ein Paradebeispiel hierfür ist der englische Superstar Ed Sheeran. Denn auch er begann vor über einem Jahrzehnt in den Gassen Londons und postete Videos seiner Auftritte in den sozialen Medien. Im Jahr 2012 wurde er von dem britischen Rapper Example entdeckt, mit dem er anschließend auf Tour ging. Aber auch Deutschland hat einiges an heute prominenten MusikernInnen zu bieten, die auf der Straße angefangen haben. Denn auch die Pop-Rockband AnnenMayKantreit begeisterte zu Beginn ihrer Karriere die ersten Fans vor Kaufhäusern oder Boutiquen. Dennoch muss man betonen, dass insgesamt betrachtet nur die wenigsten MusikerInnen es von der Straße an die Spitze der Charts schaffen.
Nach einer Stunde packt Mystical Mo sein Schlagzeug zusammen er macht sich nun bereit, den Platz zu wechseln. StraßenkünstlerInnen haben sich auch an spezielle Regeln zu halten. Eine dieser Regeln besagt, dass nach maximal einer Stunde der Auftrittsort gewechselt werden muss. Die Orte sind dabei meistens vorgeschrieben. Doch so wie in Hannover ist es nicht überall, nicht einmal in ganz Niedersachsen gelten einheitliche Regelungen. Während es für Mystical Mo in Hannover kein Problem darstellt ein Schlagzeug mitzuführen, so ist in anderen Städten eine bloße Trommel schon verboten. Grundsätzlich müssen StraßenkünstlerInnen ihre Einnahmen auch versteuern. Auch bei ihnen gilt jedoch, wer KleinunternehmerIn ist, also weniger als 17.500 Euro im Jahr verdient, ist von der Umsatzsteuer befreit. Die meisten Städte verlangen von den KünstlernInnen, dass sich diese bei dem zuständigen Ordnungsamt eine Genehmigung einholen. Von diesen Genehmigungen gibt es im Normalfall circa fünf Stück und sie gelten teilweise für einen Tag und kosten zwischen fünf und zehn Euro. Abgesehen davon müssen die KünstlerInnen ein gewisses „Level“ haben, um auftreten zu dürfen, was ebenfalls vom Amt überprüft wird. In München beispielsweise prüft Barbara Breinl von der Stadtinformation jede/n MusikerIn auf einen gewissen musikalischen Mindeststandard. Wer diesen erfüllt, bekommt eine Genehmigung. StraßenkünstlerInnen müssen jedoch aufgrund eines Vertrags zwischen der „Bundesvereinigung der Musikveranstalter e.V.“ und der GEMA keine Vergütung an diese zahlen. Doch sowie diese Regeln eingehalten werden, sind StraßenkünstlerInnen mittlerweile in nahezu jeder größeren Stadt anzutreffen. Es ist auch wenig verwunderlich, dass es inzwischen weltweit Festivals für die Praktizierung der unterschiedlichen Straßenkünste gibt. Dort treten dann die Besten von ihnen auf. Im Herbst 2022 steht somit das siebte „Straßen.Kunst.Festival“ in Partenkirchen oder das in Esslingen beheimatete STRAKU mit circa 14.000 BesucherInnen an. Bei manchen Festivals bekommen die KünstlerInnen sogar eine Gage, bei anderen hingegen wird, genau wie bei den sonstigen Auftritten auf der Straße, ein Hut herumgereicht.
Doch können die KünstlerInnen davon leben? Die meisten geben an, dass sie durchschnittlich einen Stundenlohn von 15 bis 20 Euro verdienen. An sehr schlechten Tagen oder wenig besuchten Orten, seien es laut Angaben fünf bis zehn Euro. Die Mehrheit sagt allerdings, dass sie zwar von der Kunst als Vollzeitjob leben könnten, es jedoch eher aus Spaß machen. Der Großteil von ihnen macht hauptberuflich etwas anderes und bessert durch die auf der Straße ausgeübten Tätigkeiten lediglich das eigene Einkommen etwas auf.
Auch Mystical Mo arbeitet neben der Straßenmusik noch als Schlagzeuger und gibt regelmäßig Schlagzeugunterricht für Kinder und Erwachsene. Nach einem langen Tag baut er sein Schlagzeug ab und bringt es zurück in seinen Proberaum. Morgen ist wieder ein neuer Tag und eines ist gewiss, jeder Tag bietet neue Chancen und Gelegenheiten und ist sicherlich nicht wie der vorherige.