Ekstase

Tiefer Bass, bunte Lichter, grinsende Gesichter und nickende Köpfe. Die Technoszene – eine Jugendkultur, die manche irritiert, anderen Party ohne Ende verspricht. Was macht Techno aus? Ist es die Musik, ist es ein spezieller Schlag Menschen, sind es die Drogen?

Es ist 18 Uhr an einem Samstagabend und für tanzwütige Technofans heißt das pure Vorfreude auf die Nacht. Das Outfit für die Party ist schnell gewählt und erfüllt meistens nur eine Richtlinie: Es ist schwarz. Am besten hat es auch nicht allzu viel Stoff, denn wer die ganze Nacht am Tanzen ist, kommt schnell ins Schwitzen. Aber letztendlich ist es auch ganz egal, wer was trägt
Gegen 19 Uhr wird sich in einer WG zum Vorglühen getroffen. Dabei läuft ein DJ-Set von der Loveparade 1998 – DAS Event der Technoszene. Ein paar Gläschen Sekt und die ersten Dancemoves im engen Wohnzimmer der WG und alle sind in Stimmung. Bevor es los in Richtung Klub geht, huschen alle noch mal schnell ins Badezimmer, um Make-up, Haare und das Outfit final zu optimieren.
Mittlerweile ist es 0:30 Uhr, und ich sitze in der Bahn nach Braunschweig. Ich möchte feiern gehen und die Technoszene ein wenig besser verstehen. Was zieht die Leute in die ganzen Klubs, was verstehen sie unter Techno und was hat es mit den ganzen Vorurteilen auf sich?
Die Entstehung der Technomusik lässt sich auf das Ende des 20. Jahrhunderts zurückführen. Techno ist hauptsächlich eine Instrumentalmusik, die einem Viervierteltakt folgt. Maßgebend hierfür ist der sogenannte 4-to-the-floor-Rhythmus. Techno dient als Überbegriff verschiedener elektronischer Stilrichtungen. Electro, Goa und House sind die wohl verbreitetsten Stilrichtungen des Techno. Love, Peace und Happiness ist das Motto der Technoszene, in der sich jeder frei entfalten kann.
Als ich am Technoklub in Braunschweig ankomme, ist es 1:30 Uhr. Die Party läuft seit Mitternacht und ich stehe vor einer riesigen Schlange. Bis ich feiern kann, muss ich wohl noch einige Stunden warten, aber das scheint für die Techno-Begeisterten kein Problem zu sein. Ein Glück sind wir nicht in dem berühmt berüchtigten Klub Berghain in Berlin. Dort soll man stundenlang anstehen, um dann vom Türsteher abgewiesen zu werden. Die Stimmung in der Warteschlange ist ausgelassen. Es wird viel gesprochen, gelacht und Bier getrunken. Ich nutze die Zeit, um die Menschen und die Technoszene ein bisschen besser kennenzulernen. Vor mir steht eine Gruppe von vier Leuten, mit denen ich direkt ins Gespräch komme. Einer von ihnen ist Max: „Für mich bedeutet Techno das Gefühl von Freiheit und Verbundenheit, dass ich so sein kann, wie ich bin“, erzählt er mir. Auch Raphael beschreibt es als Gefühl von Freiheit, Grenzenlosigkeit und Unbeschwertheit – ein Raum ohne Tabus. Außerdem sagt Raphael, dass die Leute beim Techno feiern eine gewisse Harmonie ausstrahlen, ob man sich untereinander kennt oder nicht, denn es wird aufeinander Acht gegeben und niemand stört sich daran, wie andere tanzen oder aussehen. Er beschreibt es als Gemeinschaft, in der der Einzelne nicht in den Vordergrund rückt und man tragen, hören, tanzen, konsumieren und aussehen kann, wie man möchte, ohne verpönt zu werden. Amelie kann sich bei Techno gehen lassen. Sie sagt, sie kann für eine Weile frei von dem Alltag mit all seinen Normen und Regeln sein, denn Techno gibt einen Raum für Entfaltung. Bei den ganzen Gesprächen habe ich die Zeit komplett aus den Augen verloren. Es sind schon knapp zwei Stunden vergangen. Ich stehe immer noch in der Schlange. Bis ich bei den Türstehern bin, sind noch sechs Leute vor mir dran.

Was hinter diesen verschlossenen Türen passiert, weiß keiner genau. Das Damen-WC im Technoklub Laut in Braunschweig. (Foto: Helen Fröhlich)

15 Minuten später bin ich endlich dran und meine Freude wird immer größer. Der Türsteher entspricht dem Bild, das man von Türstehern hat – breit gebaut. Ich zeige ihm meinen Ausweis und er möchte in meine Tasche schauen. Sie möchten sich natürlich sicher sein, dass keine gefährlichen Gegenstände oder fremder Alkohol in den Klub geschmuggelt werden. Wahrscheinlich wollen sie auch überprüfen, ob Drogen mitgebracht werden, denn ihnen ist natürlich bewusst, dass konsumiert wird. Es ist schließlich eine Technoparty. Trotzdem werden wohl die meisten aus der Schlange, die illegale Drogen bei sich haben, diese gewiss nicht in ihrer Tasche, sondern viel eher im BH oder in der Unterhose mit sich tragen.
Ich tausche 15€ für ein silbernes Band um mein Handgelenk – der Preis, um eine Nacht in diesem Klub tanzen zu dürfen. Sticker bekomme ich heute keine. In vielen Technoklubs gibt es kleine runde Sticker, um seine Handykameras vorne und hinten zu überkleben. Denn auf Technopartys geht es um das Hier und Jetzt. Das Live-Erleben von Musik, Tanz und Rausch. Wer beim Filmen erwischt wird, wird rausgeschmissen, damit niemand Angst haben muss, ungewollt auf Social Media zu landen. Die Sticker bekomme ich in diesem Klub nicht, aber ich sehe überall Schilder, dass das Filmen verboten ist. Ich komme immer weiter Richtung Dancefloor. Die Musik scheppert, man hört den im Viervierteltakt schlagenden Bass, aber mehr auch nicht. Ist das Techno? BUM BUM BUM BUM? Meine letzte Station vor dem Tanzen ist die Garderobe. Schnell meine Tasche und meine Jacke abgeben und das sorgfältig ausgesuchte schwarze Outfit kommt zum Vorschein – jetzt kann es losgehen. Immer wieder kommen mir schwitzende Menschen entgegen. Einige von ihnen habe große Pupillen, ein dickes Grinsen im Gesicht oder kauen Kaugummi. Ich stürze mich auf dem Mainfloor direkt in die Menge. Alle schauen auf den DJ und tanzen. Hier gibt es kein Grüppchentanzen oder Moshpits. Jeder tanzt für sich und doch alle zusammen. Meine Ohren dröhnen. Die Lichtverhältnisse wechseln innerhalb eines Augenblinzelns von stockdunkel zu krankenhaushell. Die Lichtershow ist bei Techno unverzichtbar und unterstützt den Beat. Dafür gibt es auf den meisten Technopartys einen extra Licht-DJ.
Nach langem Tanzen muss ich auf Toilette, doch bevor ich in die Kabinen kann, muss ich warten. Aus den Kabinen kommen immer mehrere Personen raus. Mal drei, mal vier. Alle wissen, hier werden Drogen konsumiert. Sie quetschen sich dafür in die Toiletten und legen auf Handys mit Bankkarten Lines mit weißem Pulver. Das wird dann im Anschluss mit dreckigen Geldscheinen die Nase hochgezogen. Von Amphetaminen über Koks bis zu MDMA ist alles dabei.
Wer gerade welchen Rausch erlebt, das weiß keiner so richtig. Die Love, Peace und Happiness Stimmung auf Technopartys lässt sich sicher durch den weitverbreiteten Konsum erklären. Denn anscheinend gehören Partydrogen und Technomusik zusammen wie Blitz und Donner. Immer wieder gibt es auf Technopartys Stände von ehrenamtlichen Aufklärungsvereinen. Hier wird transparent mit Konsum umgegangen. Neben Traubenzucker, aufklärenden Prospekten und Unterstützung, falls es einer Person nicht mehr gut gehen sollte, kann man sich auch sauberes, hygienisches Konsummaterial besorgen. So kann man beispielsweise den dreckigen Geldschein in der Tasche lassen und dafür ein hygienisch verpacktes Ziehröhrchen nutzen. Natürlich konsumieren nicht alle Leute auf Technopartys und es wird auch nüchtern getanzt, aber da es doch viele Leute gibt, die gerne mal was konsumieren, ist sicherer Konsum extrem wichtig.
An der Bar kann man sich jederzeit umsonst ein Glas Wasser holen. Das braucht man auch, wenn man die ganze Nacht durchtanzt. Neben Wasser gibt es natürlich auch alkoholische Getränke von Bier bis Mischgetränken. Auch an der Bar muss ich anstehen, bis ich dran bin. Die Barkeeper scheinen ziemlich gestresst zu sein und rennen von einer Person zum Kühlschrank und zur nächsten Person. Mit einem Bier in der Hand gehe ich zurück auf den Dancefloor. Ich drücke mich im Nebel durch die Leute, um so dicht wie möglich vor dem DJ-Pult zu stehen. Die Luft ist stickig, denn es wird geraucht und geschwitzt. Unterhaltungen sind kaum möglich, der Bass ist ohrenbetäubend und so soll es auch sein. Der Fokus liegt auf der Musik, dem DJ und auf dem Dancefloor. Zum Unterhalten geht man vor die Tür. In dem gemütlichen Außenbereich kann man kurz entspannen und die frische Luft genießen. Direkt verwickelt man sich in Gespräche mit wildfremden Personen. Alle sind gut drauf und sehr redegewandt. Die Themen gehen von Musik über Politik bis zum neusten Schuhtrend. Einfach alles wird bequatscht und im Hintergrund hört man leise den Bass durch die bunkerartigen Türen dröhnen.
Ich spreche mit Sophie und Jasmin. Sophie hat eine pink gefärbte Kurzhaarfrisur, viele Piercings, Tattoos bis zum Hals und trägt ein schwarzes Lederoutfit. Jasmin ist bunt gekleidet, das komplette Gegenteil von Sophie. Ich möchte wissen, wie sie Techno in drei Worten beschrieben würden. Sie brauchen nicht lange nachzudenken. Sophie sagt: „Tanzen, Vielfalt und Ekstase“. Jasmin verbindet mit Techno Euphorie, Bass und Laut. Ich merke schnell, dass für viele Menschen Techno viel mehr ist als nur eine Musikrichtung zum Tanzen und Drogen-Nehmen. Techno ist eine Lebenseinstellung und eine der wohl tolerantesten Musik-Szenen überhaupt. In Technoklubs ist niemand zu bunt, zu schwarz oder zu freizügig gekleidet. Jeder wird toleriert, egal wie oder wer man ist.
Nach ein paar netten Gesprächen ist es wieder Zeit, zurück auf die Tanzfläche zu kehren. Es wird immer noch wild getanzt. Rechts, links, rechts, links. Immer schön im Takt. 140 bpm – also 140 Bassschläge pro Minute. Über die Nacht wird das Stückchen für Stückchen schneller. Der DJ lässt den Track auslaufen und alle klatschen und pfeifen. Der DJ wird abgelöst und weiter gehts.
Es ist mittlerweile 6 Uhr, die Zeit ist verflogen, doch der Klub hat noch bis 10 Uhr geöffnet. Die Tanzfläche ist noch rappelvoll und die Menschen tanzen immer noch energetisch.
Auf der Tanzfläche wird es langsam immer heller. Ein Zeichen dafür, dass bald Schluss ist. Die Stimmung ist trotzdem noch Bombe. Den Menschen ist der Spaß ins Gesicht geschrieben. Am Ende geht das Licht an, die Musik aus und der DJ strahlt. Es wird laut geklatscht und gepfiffen und die Tanzfläche leert sich. Der Bass wird vermutlich noch einige Stunden in meinem Kopf hallen. Noch schnell an der Garderobe vorbei, Jacke und Tasche holen und dann gehts raus. Die Vögel zwitschern, die Sonne ist aufgegangen und die einen Technofans machen sich auf den Weg nach Hause ins Bett, die anderen gehen weiter auf eine Afterparty und lassen ihren Rausch ausklingen.

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