Gastronomie zwischen Zukunftsängsten und neuen Möglichkeiten

Die Gastronomie trafen die Corona-Einschränkungen mit am härtesten. Welche Probleme aber auch Chancen haben sich für die Gastronomen dadurch entwickelt? Campus38 spricht mit Restaurantbesitzer Carlo Sinito über die Zukunft der Branche.

Die Gastronomie hat im letzten Jahr durch das Covid-19 Virus viele Veränderungen durchmachen müssen. Sie gehört zu den am härtesten betroffenen Branchen überhaupt. Von Plastikwänden, 1,50 MeterAbstand, 50% Auslastung bis zur kompletten Schließung war alles dabei.Nachdem am 31. Oktober 2020 zum letzten Mal ein Restaurant betreten werden konnte, lockerte die Bundesregierung ihre Maßnahmen und am 10. Mai diesen Jahres durfte die Außengastronomie nach knapp sieben Monaten wieder ihre Türen öffnen. Aber was für Ängste und Möglichkeiten haben sich in dieser langen Zeit für die Gastronomen entwickelt? Und welche Rolle spielt der Staat durch die Überbrückungshilfen?

Die komplette Einstellung der Gastronomie

Nachdem wir letzten Sommer noch fröhlich mit Abstand auf den Bierbänken in unserem Lieblingslokal sitzen konnten, hielt der folgende Winter wenig erfreuliche Nachrichten für uns bereit. Worte wie „Harter Lockdown“, „Inzidenz über 100“ und „Eindämmungsmaßnamen“ waren ein stetiger Begleiter in den deutschen Nachrichten. Das wars also mit der Vorfreude auf den wärmenden Glühwein nach dem Weihnachtsshopping. Aber während wir noch betrauerten, den ersten Weihnachtstag nun tatsächlich mal selbst am Herd stehen zu müssen, standen die Gastronomen vor einem viel dramatischeren Problem. Ihre Lebensgrundlage fiel auf unbestimmte Zeit weg.

Aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch. Carlo Sinito, Inhaber eines italienischen Restaurants, hatte sich, wie viele andere Gastronomen auch, einen Plan gemacht, um nicht den kompletten Betrieb einstellen zu müssen. „Ich habe vor allem an meine Mitarbeiter gedacht, die ich in Kurzarbeit schicken musste. Aber auch an die Produzenten und Lieferanten, die von unserem Geschäft abhängig sind.“ Also wurde aus einem sonst sehr schickem italienischen Lokal kurzerhand ein Pizza-und-Pasta-Lieferdienst. Die Lieferdienst-Branche befreit sich während der Pandemie vom Fastfood-Image und wurde zu einem Ort, an dem jeder Essen vom Lieblingsrestaurant um die Ecke bestellen

kann. Und dieses Geschäft boomt. Lieferando-Deutschland Chefin Katharina Hauke sagte dazu gegenüber dem Tagesspiegel: „Insgesamt hat uns Corona mit Blick auf die Restaurant-Anzahl um ein Jahr nach vorne gebracht. Viele Gastronomen nutzten die Nachfrage […] als ergänzendes Standbein.“

Viele der StudentInnen, die in der Gastronomie ihren Nebenjob haben, wurden so kurzerhand zu Fahrern umfunktioniert. „Wir haben drei Leute, die das warme Essen an unsere Gäste ausliefern, darunter auch eine Studentin“, so Sinito.

Die Hilfen des Staates

Damit durch die Schließung der Restaurants nicht reihenweise alle Gastronomen  pleitegehen, hatte sich die Bundesregierung einiges ausgedacht, um ihnen finanziell unter die Arme zu greifen. Es gab sowohl November- als auch Dezemberhilfen, durch welche der eingebüßte Umsatz bezuschusst wurde. Die Überbrückungshilfe II, welche bei der Deckung von anfallenden Fixkosten half (also Miete, Personalaufwand, Ausgaben für Elektrizität, Wasser usw.) und die Überbrückungshilfe III, bei der bis zu 100 Prozent der Umsatzeinbußen erstattet wurden. Seit kurzem gibt es nun auch die Überbrückungshilfe IV, die beim Neustart unterstützen soll. Auch eine Steuererleichterung für die Gastronomie wurde diskutiert. Die Umsatzsteuersenkung soll noch bis Ende 2022  aktiv bleiben. Auch diese Maßnahme dient hauptsächlich dazu, den Gastronomen nach Ende des Lockdowns wieder auf die Füße zu helfen.

Diese Hilfen standen jedoch von Anfang an stark in der Kritik. Inwieweit hilft der Geldzufluss den Gastronomen wirklich? „Natürlich ist die Überbrückungshilfe eine gute Sache, ich habe auch alle Hilfen beantragt, auf die ich Anspruch hatte. Bis das Geld jedoch auf meinem Koto eingegangen ist, sind mehrere Monate vergangen.“, sagt Sinito „Ich habe das Glück, das mein Vermieter meine momentane Situation versteht und ich die Miete nachzahlen konnte als die Hilfen kamen.“  Carlo Sinito ist hier kein Einzelfall. Auf die Überbrückungshilfe III mussten die Gastronomen volle drei Monate warten. Und auch die Novemberhilfen, die als „Sofortmaßnahmen“ galten, wurden erst Mitte Januar  ausgezahlt. Für viele Gastronomen zu spät. Bis heute warten immer noch einige Betriebe auf die Auszahlung. In Niedersachsen wurden  Stand jetzt fast 96 Prozent aller Anträge ausgezahlt. Die ZEW-Experten gehen von circa 25.000 Betrieben aus, die durch das Ende der Hilfestellung pleitegehen werden. Rainer Balke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Niedersachsen (DEHOGA), sprach sich kürzlich dafür aus, der Gastronomie auch über den August hinaus noch Hilfen zukommen zu lassen. Er deutete ebenfalls an, dass ohne weitere Regelungen zu Gunsten der Gastronomie im Herbst eine Insolvenzwelle auf uns zukommen wird, die ungeahnte Ausmaße annehmen werde. Bleibt die Hoffnung, dass mit der Wiederaufnahme des normalen Betriebs genug Geld reinkommt, um einen Bankrott zu verhindern.

Die Wiedereröffnung

Anfang Mai konnte es dann endlich wieder losgehen. Lag die Sieben-Tage-Inzidenz im betroffenen Landkreis unter 100 Neuinfektionen,, durfte unter den vorgeschriebenen Auflagen die Außengastronomie wieder öffnen. Dazu gehörten Maskenpflicht, Abstand, die Kontaktangabe für eine mögliche Nachverfolgung und vor allem keine Gegenstände zur gemeinsamen Nutzung auf den Tischen, wie Speisekarten, Salz- oder Pfefferstreuer. Eine teils große Umstellung für jeden, aber die Freude endlich wieder öffnen zu können, überwiegt bei den meisten. In vielen Orten kam jedoch noch eine Sache hinzu: der allseits beliebte Schnelltest. Die teilweise sehr strengen Auflagen machen aber leider deutlich, bis es in der Gastronomie wieder einigermaßen normal zu gehen wird, kann es noch eine ganze Weile dauern. 

„Wir alle haben auf die Wiedereröffnung hingefiebert. Aber nach sieben Monaten Schließung ist es schon sehr schwierig wieder in einen normalen Alltag zurückzukommen.“, sagt Gastronom Carlo Sinito. Erschreckend war jedoch, dass nach der Auswertung einer Blitzumfrage in Niedersachsen nur knapp 31 Prozent der Betriebe die Außengastronomie geöffnet haben. Der Hauptgrund für dieses Ergebnis war schlicht, dass sich ein komplettes wieder hochfahren des Betriebs, bei häufig kleinen Außenbereichen der Restaurants, nicht rentiert hätte. Seit dem 15. Mai ist jedoch auch für dieses Problem eine Lösung in Sicht. Auch die Innengastronomie durfte unter den gängigen Auflagen wieder ihre Türen öffnen. Was einen positiv stimmen lässt, bereits am ersten Tag der Wiedereröffnung waren die Außenbereiche der geöffneten Gastronomie schon wieder von lauten, fröhlichen Stimmen gefüllt.

Neue Chancen

Für Gastronom Carlo Sinito hat sich jedoch noch eine weitere Möglichkeit ergeben. Durch die staatliche Förderung der Außengastronomie sieht er eine ganz neue Perspektive. „Wir planen gerade den kompletten Umbau unseres Außenbereichs, um den neuen Hygieneverordnungen zu entsprechen. Das ist natürlich ein großer Aufwand, aber durch die Hilfen können wir unseren Gästen danach einen noch viel schöneren Außenbereich bieten.“ Auch das Außerhausgeschäft möchte er nach der Wiedereröffnung weiterführen. „Es hat mir tatsächlich auch etwas Spaß gemacht, sich ständig neue Gerichte auszudenken und dieses zweite Standbein zu planen. Im normalen Betrieb hat man gar nicht die Zeit, so spontan und oft seine Speisekarte zu ändern.“ Durch die Wiedereröffnung ist wieder ein Streifen Hoffnung am Horizont aufgetaucht. 

Durch den Corona-Lockdown ist deutlich geworden, dass die Gastronomie nicht einfach nur ein Ort zum Essen und Trinken ist. Das Zusammenkommen der Menschen, um gemeinsam zu lachen und sich auszutauschen, hat in den vergangenen Monaten extrem gefehlt. Carlo Sinito sagt dazu: „Bei uns geht es nicht nur schlicht und einfach um das Essen, sondern um das Miteinander. Ich tausche mich gerne mit meinen Gästen über aktuelle Themen aus. […] besonders die Atmosphäre und die Geräusche der zufriedenen Gäste kehren hoffentlich bald zu uns zurück.“

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