Morgenroutine, Training, Regenerationszeit und nachmittags erneut trainieren. Und am nächsten Tag von vorne. Der Einstieg in die Profikarriere ist in erster Linie ein langer Entstehungsprozess, verbunden mit vielen Gefahren. Auch wenn nahezu alle Erfolgsvoraussetzungen vorhanden sind.
Halten Körper und Geist den Dauerstress aus? Der Stress beginnt bereits im frühen Alter. Jugendliche, die Leistungssport betreiben, trainieren vier- bis fünfmal pro Woche, mehrere Stunden täglich. Während die meisten Jugendlichen am Wochenende feiern gehen oder sich mit Freunden treffen, sind Nachwuchstalente auf nationalen und internationalen Turnieren unterwegs. Einsamkeit und das Gefühl von Heimweh sind für Talente am Anfang der Karriere nicht ungewöhnlich, da sie ununterbrochen auf Reisen sind.
In kaum einer anderen Sportart ist das Thema mentaler Druck und Stress so präsent wie im Tennis. Die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka sprach öffentlich über Depressionen und auch das britische Tennistalent Emma Raducanu betonte öffentlichen Druck ausgelöst durch die Medien. Die erst 20-Jährige gewann als Qualifikantin die US Open 2021 und wird seither von den Medien regelrecht kontrolliert und jeder ihrer Schritte wird kommentiert. „Es gibt keinen Druck. Warum sollte es Druck geben, ich bin doch erst 19, das ist ein Witz“, erzählte Raducanu bei einer Pressekonferenz in Wimbledon 2022 und ergänzte bei den National Bank Open 2022 in Toronto: „Ich spüre den Druck nur bei meinen Pressekonferenzen oder denke darüber nach, denn bei jeder einzelnen Frage geht es um Druck.“ Raducanus Äußerungen betonen, wie wichtig der Umgang mit den Medien für junge Nachwuchstalente ist.
Eine weitere Herausforderung für die Talente stellt die Finanzierung dar. Zu groß ist die Differenz bei den Spielerkosten. Das Team aus PhysiotherapeutInnen, Coaches, PsychologInnen und ManagerInnen muss bezahlt werden. Zusätzliche Kosten setzen sich aus Trainingseinheiten, Reisen und Ausrüstung zusammen. Bei Nachwuchstalenten sind die Teams zu Beginn der Karriere kleiner und es gibt besondere Förderungsmaßnahmen, wie zum Beispiel das Porsche Talent Team und das Porsche Junior Team. Doch trotz der Förderungsmaßnahmen müssen sich viele Talente eigenständig finanzieren, was zu potenziellen Problemen führen kann, da das Preisgeld bei Turnieren zu gering ist, um alle Kosten zu decken.
Die Sichtung von Nachwuchstalenten beim Tennisverband Niedersachsen-Bremen (TNB) beginnt im Jüngstenbereich bei der Turnierserie Orange und Green Cup und endet bei Regions-, Landes- und deutschen Meisterschaften sowie internationalen Turnieren. Die RegionstrainerInnen stehen im Kommunikationsaustausch mit den LandestrainernInnen und informieren über Fortschritte und potenzielle Talente. Weiterführend werden auf speziellen Sichtungs- und Trainingslehrgängen die Talente näher betrachtet und gefördert.
Die höchste Ebene stellt der Deutsche Tennis Bund dar (DTB). Der Talent-Cup gilt als erste DTB-Sichtungsmaßnahme und findet ab der Altersklasse U11 statt. Dort treten die besten Talente der Bundesländer gegeneinander an. Darauf folgen die deutschen Jugendmeisterschaften in den Altersklassen U13, U14, U16, U18 und die deutschen Damen und Herren Meisterschaften. Ergänzend zu den Turnieren gibt es spezielle DTB-Sichtungslehrgänge. In den Kadern des DTB befinden sich die besten Nachwuchstalente Deutschlands.
Das Leistungspotenzial maximieren
In der TNB-Ebene angekommen werden die Nachwuchstalente durch verschiedene Leistungskomponenten in der Tennisbase Hannover und an den dezentralen Stützpunkten ausgebildet. Darunter zählen neben den klassischen Trainingseinheiten auch Athletiktraining, Mentaltraining und Ernährung. Unterstützt werden die Talente durch individuelle Förderung. „Der sportliche Alltag von Nachwuchstalenten ist eng getaktet“, erzählt Bundesstützpunkt-Schnittstellentrainer Niklas Gerdes. An der Tennisbase Hannover trainieren die Nachwuchstalente drei bis fünf Stunden täglich. Zusätzlich ermöglicht es die Kooperation mit Sportschulen an den Standorten Hannover und Bremen den Talenten, vor der Schule zu trainieren. Durch verschiedene Tests, unter anderem am Olympiastützpunkt Hannover, werden die Talente auf ihren Athletik-Status untersucht, sodass potenzielle Schwachstellen durch individuelle Anpassungen im Trainingsplan minimiert werden können. Weitere Förderungsmaßnahmen setzen sich zusammen aus der Turnierbetreuung für nationale und internationale Turniere sowie Landes- und Regionstraining.
Für den Leistungssport ist die richtige Ernährung eine zentrale Basis bei der Vorbereitung auf Wettkämpfe und in der Regenerationszeit. In Zusammenarbeit mit dem Olympiastützpunkt Hannover werden regelmäßig Workshops organisiert, mit dem Ziel, die Nachwuchstalente über den richtigen Umgang mit Ernährung aufzuklären. Letztendlich sei es aber die Verantwortung der SpielerInnen selbst, wie sie mit den Informationen umgehen, ergänzt Gerdes.
Tennis ist geprägt von einer hohen psychischen und physischen Belastung. Aus diesem Grund bietet der TNB Mentaltraining für die SpielerInnen an. „Es geht darum, Techniken, Kompetenzen für die SpielerInnen zu entwickeln, mit denen sie Stresssituationen gut bewältigen können“, erklärt Gerdes. Visualisierung, Meditation und Atemtechniken sollen bereits im Training umgesetzt werden, um das eigene Leistungspotenzial zu maximieren.
Der DTB hat darüber hinaus gesonderte Förderungsmaßnahmen. Neben Lehrgängen, Turniervorbereitung, Turnierbetreuung, Wildcard Vergabe und Ernährung arbeitet der DTB im Damenbereich zusätzlich mit Porsche zusammen. Die besten Nachwuchsspielerinnen werden im Porsche Talent Team und im Porsche Junior Team gefördert. Zu Beginn der Karriere müssen sich die Nachwuchstalente in den Ranglisten hocharbeiten, weshalb eine Wildcard Vergabe nützlich sein kann, da die Talente aufgrund einer zu niedrigen Ranglistenposition nicht bei den Turnieren teilnehmen dürfen. 2022 erhielten die Porsche Talent Team Mitglieder Schunk und Lys beim Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart Wildcards für die Qualifikation. Durch die Wildcards haben Talente die Chance, bei renommierten Turnieren zu spielen und Erfahrung zu sammeln.
Die deutsche Tenniszukunft und der Generationswechsel
Den fluffigen, gelben Ball auf die andere Seite des Spielfeldes zu bringen, ist für viele Menschen ein Hobby. Für Angelina Wirges ist es der Traum, Tennisprofi zu werden. Das 20-jährige Nachwuchstalent gibt Einblicke und erzählt von ihrem Leben auf dem Tennisplatz.
Wie sieht die deutsche Tenniszukunft aus? „Klar ist, dass es die goldene Generation in der Form nicht mehr gibt“, sagte die DTB-Bundestrainerin Barbara Rittner mit Blick auf die Rücktritte von Julia Görges und Andrea Petkovic, sowie der Schwangerschaftspause von Angelique Kerber dem Tennis Magazin.
Die 23-jährige Dortmunderin Jule Niemeier begeisterte und inspirierte 2022 mit den Erfolgen in Wimbledon und New York. In Wimbledon konnte sich das deutsche Talent bis ins Viertelfinale durchkämpfen, wo Niemeier gegen Landsfrau Tatjana Marie in einem engen Match verlor. Bei den US Open in New York schaffte es die Newcomerin bis ins Achtelfinale, wo sie auf die aus Polen stammende Weltranglistenerste Iga Swiatek traf. In einem Duell auf Augenhöhe musste sich Niemeier gegen die Favoritin geschlagen geben. Durch zahlreiche Erfolge ist Niemeier die neue Nummer eins in Deutschland und befindet sich in der Weltrangliste auf Platz 65.
Ein aufstrebendes junges Talent ist Eva Lys. Die 20-jährige Hamburgerin aus dem Porsche Talent Team sorgte 2022 beim Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart für Aufsehen. Mit ihrem ersten WTA-Sieg gegen die Schweizerin Viktorija Golubic spielte sich Lys ins Achtelfinale. Gegen die Weltranglistenerste Iga Swiatek verlor Lys ohne Chance. Zudem schaffte es das deutsche Tennistalent im November 2022 bis ins Finale beim ITF-W100-Event in Shrewsbury, wo Lys an der Tschechin Marketa Vondrousova scheiterte. Mit einer aktuellen Ranglistenplatzierung von 127 gilt Lys als deutsche Tennishoffnung.
Mit Blick auf die Zukunft können deutsche Tennis-Fans unbesorgt sein. Die neue Generation schaffte es im November 2022 bei den Billie Jean King Cup Playoffs in Rijeka, Kroatien, mit einem Sieg gegen Kroatien in der Weltgruppe zu bleiben. Die im Jahr 2022 zurückgetretene Tennisspielerin Andrea Petkovic ergänzte beim Tennis Channel: „Wir müssen uns keine großen Sorgen machen. Wir haben eine sehr gute Zukunft vor uns.“ So bleibt die Hoffnung, dass mit der neuen Generation an Nachwuchstalenten auch eine neue goldene Ära des deutschen Profitennis zustande kommt.