Richtig streiten, nicht abstreiten!

„Wenn ich dir Recht gebe, dann liegen wir beide falsch.“ So oder so ähnlich verlaufen viele Diskussionen. Zwischen der Anerkennung und Ablehnung von Standpunkten liegt der schmale Grat des Streitens. Doch wie und worüber streiten wir eigentlich?

In der faszinierenden Welt der zwischenmenschlichen Interaktionen gibt es ein Phänomen, das uns ständig begleitet und doch oft unterschätzt wird: Das Streiten. Streit ist nicht nur ein alltäglicher Bestandteil unseres sozialen Gefüges, sondern auch ein Spiegel unserer Beziehungen, in dem sich Emotionen entfalten und Worte zu mächtigen Werkzeugen werden. Laut der ElitePartner-Studie 2020 ist die häufigste Ursache für Streit die Ordnung bzw. Unordnung der Partnerin oder des Partners. Was steckt also hinter dem Phänomen Streit?

Der Duden definiert das Wort „Streit“ als heftige Auseinandersetzung mit einer zweiten Person, die in leidenschaftlichen Wortgefechten bis hin zu Handgreiflichkeiten bestehen kann. So weit, so gut. Warum Menschen unterschiedlich viel streiten, hängt stark von ihrer Persönlichkeit ab. In vielen Beziehungen ist Streit mit Angst verbunden. Die Angst, durch Meinungsverschiedenheiten an Wertschätzung, Anerkennung, Sympathie oder Liebe zu verlieren, ist sehr groß. Das Potenzial für Unstimmigkeiten wird oft als Bedrohung der bestehenden Harmonie empfunden und deshalb gemieden. Nicht nur aus Angst, sondern zum Teil auch aus Faulheit werden Konflikte vermieden. Diese zu lösen erfordert eine gewisse Anstrengung, da es darum geht, die eigenen Gedanken, Interessen und Bedürfnisse zu vertreten. Für viele Grund genug, es gar nicht erst zu versuchen. Doch die Art und Weise, wie Menschen miteinander streiten, hat ihren Ursprung – wie fast alle menschlichen Verhaltensweisen – in der Kindheit.

Diplom-Psychologin Luitgard Mager-Prenner aus Braunschweig ist seit über 30 Jahren als Psychologin und Psychotherapeutin tätig. Sie ist davon überzeugt, dass unsere frühkindlichen Erfahrungen und das Vorbildverhalten anderer die Art und Weise prägen, wie wir Konflikte erleben und bewältigen. Wenn wir nicht lernen, konstruktiv mit Konflikten umzugehen und unsere inneren Verletzlichkeiten zu kommunizieren, kann dies zu großen Herausforderungen im späteren Konfliktmanagement führen. Frau Mager-Prenner betont die Wichtigkeit einer effektiven Konflikterziehung. Dadurch seien Menschen besser darauf vorbereitet, mit Meinungsverschiedenheiten konstruktiv und respektvoll umzugehen. Dabei ist klar, dass es nicht nur auf den Inhalt der Worte ankommt, sondern auch auf den Klang – getreu dem Motto „Der Ton macht die Musik“. 

„Wenn ich davon spreche, was ich brauche, ist das was ganz anderes, als wenn ich davon spreche, was der andere mir nicht gibt“, erklärt Frau Mager-Prenner. 

Wer seine alten Muster wirklich loswerden will, muss sich zunächst intensiv damit auseinandersetzen. Diplom-Psychologin Luitgard Mager-Prenner rät dazu, einen Kurs in gewaltfreier Kommunikation zu besuchen oder ein Buch zu dieser Thematik zu lesen. Dort lernt man, die Angst zu verlieren, und dazu noch die richtigen Techniken, um Konflikte friedlich zu lösen. Wenn das eigene Streitverhalten analysiert wird, fallen möglicherweise Merkmale auf, die sich häufiger wiederholen und bestimmten Streittypen zugeordnet werden können.

Ursula Díaz arbeitet als Heilpraktikerin für Psychotherapie in Braunschweig. Sie ist Trainerin für Kommunikation und Konfliktbewältigung und hat in diesem Bereich mehrere Aus- und Weiterbildungen in diesem Bereich absolviert. In ihrer Arbeit, unter anderem als Paartherapeutin, greift sie häufig auf die Streittypologie von Thomas Crum zurück. Crum ist Autor und Referent in den Bereichen Konfliktlösung, Spitzenleistung und Stressmanagement. Seine „Konfliktgeometrie“ ist einfach anzuwenden.

Das Spannende am Streit ist, dass er oft nicht entsteht, weil es einen Konflikt gibt, sondern, weil sich die Streitparteien durch die Aussagen des anderen angegriffen fühlen. Insofern ist Streit auch keine Form der Provokation. Er ist vielmehr eine Reaktion auf Erfahrungen, die als verletzend, bedrohlich, kränkend oder ungerecht empfunden werden. Man könnte also auch von einer Art Verteidigungsstrategie sprechen.

Es gibt aber auch Menschen, die bewusst Streit provozieren, weil sie sich nach Aufmerksamkeit sehnen. Denn auch das lernen wir in der Kindheit: Durch negatives Verhalten bekommen wir die Aufmerksamkeit der Eltern. Diese äußert sich zwar in den meisten Fällen in Strafen und Schimpfen, wird aber als Aufmerksamkeit wahrgenommen.

Auch die Studierenden der Ostfalia am Campus Salzgitter tun sich noch schwer, wenn es um die richtige Technik des „Streitens“ geht. Frau Mager-Prenner und Frau Díaz äußern sich zu den unterschiedlichen Streitverhalten der StudentInnen und ordnen diese ein.

Konflikte sind somit Indikatoren für die Vielfalt der Interessen, die untrennbar mit der menschlichen Existenz verbunden sind. Die Fähigkeit, diese Unterschiede anzuerkennen, ermöglicht nicht nur ein tieferes Verständnis für den Partner. Sie eröffnet auch die Möglichkeit, uns selbst und andere auf eine faszinierende Weise zu entdecken und zu entwickeln. Ein Konflikt ist also nicht gleich Streit! Für eine konstruktive Konfliktlösung ist es sehr wichtig, den richtigen Ton, den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Worte zu finden. Worauf wir aber unbedingt achten sollte, ist, keine Vorwürfe zu äußern, sondern Bedürfnisse und Wünsche. Denn bei genauer Betrachtung von Streitsituationen wird deutlich, dass der Kern aller Konflikte aus nicht wertgeschätzten oder nicht kommunizierten Bedürfnissen entsteht. Hervorzuheben ist auch, dass niemand gezwungen ist, sich allein mit seinem eigenen Streitverhalten oder dem seines Gegenübers auseinanderzusetzen.

Es wäre wünschenswert, wenn mehr Menschen die Hemmschwelle für eine therapeutische Beratung abbauen, sagt Ursula Díaz. „Wenn uns der Fuß wehtut, oder im Auto die rote Warnleuchte blinkt, lassen wir das ja auch abklären“. Je früher man sich Hilfe suche, desto schneller und leichter lasse sich das Problem lösen, betont Díaz.  Es gibt viele Anlaufstellen, bei denen man sich Hilfe und Unterstützung holen kann. Zum Beispiel MediatorInnen oder auch PaartherapeutInnen, die immer bemüht sind, beim Thema Streit unter die Arme zu greifen. 

Ein konstruktives und friedliches Streitverhalten kann sich jeder durch Üben und Lernen aneignen. Letztendlich geht es darum, einander zu sehen, zu verstehen und einander zuzuhören.

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