Zweifel am eigenen Erfolg: Das Imposter Syndrom

„Ich habe einfach nur Glück gehabt“. „Das ist nicht mein Verdienst“. „Ich bin nicht so kompetent, wie andere denken“. Was steckt hinter diesen irrationalen Selbstzweifeln, warum treten sie immer wieder auf und wie können Betroffene lernen, damit umzugehen?

Bist du ein Hochstapler oder eine Hochstaplerin?

Vicky wird nervös. Das Ergebnis ihrer Projektarbeit ist endlich im Online-Portal der Uni abrufbar. Mit zitternden Händen lädt sie das Dokument mit ihrem neuesten Notenspiegel herunter und findet schließlich diese dubiose Zahl: 1.0. Ihr erster Gedanke: „Da liegt ein Fehler vor. Wahrscheinlich haben alle anderen genauso gut abgeschnitten. Die Prüfung wurde bestimmt sehr nett bewertet“. Wie sich herausstellt, wurde sie das jedoch nicht und nicht alle von Vickys Mitstudierenden haben eine sehr gute Note erhalten.
„Wahrscheinlich war es dann Zufall“, denkt sie sich. Egal wie Vicky es dreht und wendet, sie kann sich einfach nicht über ihre erbrachte Leistung freuen. Vicky ist kein Einzelfall, mehr als 70 Prozent aller Menschen sind mindestens einmal in ihrem Leben von dem Gedanken betroffen, ihren eigenen Erfolg infrage zu stellen. Sind Gedanken wie „Eigentlich kann ich das gar nicht“ oder „Ich hatte einfach Glück“ ein alltäglicher Begleiter, lässt sich dies oft auf ein psychologisches Phänomen zurückführen: Dem Imposter- oder Hochstaplersyndrom. Betroffene denken häufig, nicht so kompetent zu sein, wie sie eigentlich sind und haben Angst, als BetrügerIn entlarvt zu werden. Auch bestimmte Verhaltensmuster, wie sehr hohe Ambitionen an sich selbst zu haben oder sich nicht über den eigenen Erfolg freuen zu können, sind Anzeichen für das Hochstaplersyndrom. Das eigentliche Merkmal von HochstaplerInnen: Sie haben eine große Klappe, sind AngeberInnen und BetrügerInnen. Bezogen auf das Imposter-Syndrom ist jedoch genau das Gegenteil gemeint: kleine Klappe, viel dahinter. Denn die meisten Menschen, die an den Selbstzweifeln leiden, denken, dass ihr Umfeld sie überschätzt. Damit kann sich Vicky identifizieren: „Oft denke ich, dass ich den Aufgaben meines Chefs nicht gewachsen bin. Manchmal habe ich Angst, dass ich aufgedeckt werde und er herausfindet, dass ich eigentlich gar nichts kann“. Je nachdem wie stark die Selbstzweifel ausgeprägt sind, sind auch Nebenwirkungen möglich. Der Druck, der sich bei vielen aufbaut, kostet viel Kraft, was von Kopfschmerzen über Dauerstress, Schlafstörungen, Bluthochdruck bis hin zum Burnout führen kann. Auch die duale Studentin hat das schon erlebt: „Besonders vor wichtigen Kundenterminen oder Prüfungen schiebe ich die Arbeit oft auf, komme dann voll in den Stress, habe Kopfweh und pauke mehrere Tage am Stück durch“. Solch ein Verhalten ist typisch für Imposter-Persönlichkeiten. Entweder wird bereits lange im Voraus zu viel gearbeitet oder, wie in Vickys Fall, die Arbeit aus Angst lange aufgeschoben.
Wissenschaftlich gesehen wird der Begriff „Syndrom“ von Fachleuten eher ungerne verwendet, da es einen schnell an eine Krankheit denken lässt, was in diesem Fall allerdings nicht zutrifft. Vielmehr lässt sich die extreme Form des Selbstzweifels, welche 1978 erstmals nachgewiesen wurde, als ein psychologisches Phänomen bezeichnen. Früher wurde davon ausgegangen, dass das Imposter-Syndrom ein Persönlichkeitsmerkmal darstellt. Neuere Studien zeigen auf, dass es auch aus vergangenen Erlebnissen entstehen kann. Ob sich diese Gedanken schließlich zum Imposter-Syndrom entwickeln, hängt von verschiedenen Faktoren ab, da Selbstzweifel einerseits in unseren Genen, andererseits durch die Erziehung und unsere Umwelt beeinflusst werden. Es gibt deshalb auch keine spezifischen Gruppen, die mehr betroffen sind als andere. Oft wird das Hochstapler-Syndrom eher mit Frauen in Verbindung gebracht, was jedoch ein Mythos ist. Imposter-Persönlichkeiten sind oft besonders erfolgreiche Personen, die ein hohes Bildungsniveau haben und in ihrem Job viel erreichen. Auch bei Menschen, die aus einem bildungsfernen Elternhaus kommen und eine akademische Laufbahn einschlagen, tritt es oftmals auf. Berühmte Personen wie Albert Einstein oder Michelle Obama gaben ebenfalls zu, am Imposter-Syndrom zu leiden.

Wie können Betroffene mit dem Imposter Syndrom umgehen?

Vicky schafft es besser ihre Selbstzweifel zu händeln, seitdem sie weiß, dass diese vom Hochstapler-Phänomen stammen. „Ich versuche, mich über Lob oder meine erbrachte Leistung zu freuen und das nicht mehr so herunterzureden. Manchmal fällt es mir leichter, manchmal schwerer“ – das komme auf die Situation an, erklärt die 20-Jährige. Auch Kritik als Form zu sehen, sich weiterzuentwickeln sowie realistische Anforderungen an sich selbst zu setzen, kann helfen.
Nicht selten verschwinden die Zweifel von selbst wieder. Wer an einem Imposter Syndrom leidet, sollte sich spätestens, wenn die Gesundheit, das eigene Wohlbefinden sowie die Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigt ist, Hilfe suchen. Dies kann der Austausch mit Freunden sein, aber auch eine Therapie. Vicky hat besonders eine Erkenntnis sehr geholfen: „Ich bin froh, herausgefunden zu haben, dass ich überhaupt daran leide. Das hat mir schon sehr geholfen, besser damit umgehen zu können. Es ist gut zu wissen, dass meine Gedanken mir manchmal einfach nur einen Streich spielen“.

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