Gender Planning gegen Sexismus im Stadtplan

Auf dem Weg nach Hause lieber den längeren Weg in Kauf nehmen, um abends nicht allein durch den dunklen Park gehen zu müssen. Eines von vielen Szenarien, die oft Realität für weiblich gelesene Personen sind. Was Gender Planning ist und wie dieser Ansatz das Problem lösen soll.

Jede zweite weiblich gelesene Person verändert ihr Verhalten im öffentlichen Raum, weil sie sich unsicher fühlt. Der Begriff „weiblich gelesene Personen“ bezieht sich auf Individuen, die sich selbst oder von anderen als weiblich identifiziert oder wahrgenommen werden, unabhängig von biologischen Geschlechtsmerkmalen. Das BKA veröffentlichte im November 2022 eine repräsentative Bevölkerungsbefragung über „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“. Das Ergebnis ist eindeutig: weiblich gelesene Personen fühlen sich deutlich unsicherer in der Öffentlichkeit als männliche. Mehr als die Hälfte der Befragten meide nachts bestimmte Orte und Verkehrsmittel, um sich vor Kriminalität zu schützen. Nicht nur an diesem Beispiel wird schnell klar, dass Städte nicht für alle Menschen gleich zugänglich sind. Der offensichtliche Mangel an sicheren Gehsteigen und die nicht gegebene Barrierefreiheit mancher Bahnhöfe und anderen öffentlichen Gebäuden sind nur zwei Beispiele einer langen Liste. Gender Planning ist ein Ansatz in der Stadtplanung, der die unterschiedlichen Bedürfnisse, Erfahrungen und Sicherheitsanliegen diverser Nutzungsgruppen identifiziert und berücksichtigt. Er verfolgt die Idee, den öffentlichen Raum inklusiver zu gestalten und die Lebensqualität für alle Menschen zu bessern. 

Angsträume sind Orte oder bestimmte Bereiche, in denen Menschen aufgrund von Unsicherheit, Bedrohung oder Angst vor möglichen Gefahren ein erhöhtes Maß an Sorge oder Vorsicht empfinden. Diese Räume können aufgrund verschiedener Faktoren entstehen, wie beispielsweise mangelnder Beleuchtung, abgelegener Lage, unzureichender öffentlicher Überwachung oder einem Ruf nach unsicheren Aktivitäten in der Umgebung. Durch die Energiekrise im Winter 2022/2023 blieben viele Straßen dunkel. Die Laternen wurden abgeschaltet, um Strom zu sparen. Solche Entscheidungen können problematisch sein und verdeutlichen, wie wenig auf geschlechterspezifische Aspekte geachtet wird, besonders wenn die Planungskräfte überwiegend männlich sind. Hier zeigt sich eine Form von Genderblindheit, eine Perspektive, die geschlechterspezifische Unterschiede und Bedürfnisse ignoriert. Es wurde nicht ausreichend bedacht, wie diese Maßnahmen die Sicherheit der Menschen beeinflussen könnten. Insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlichen Sicherheitsempfinden von weiblich und männlich gelesenen Personen.

Das Problem mit der Mobilität

Die geschlechtsspezifischen Herausforderungen in der Mobilität und städtischen Planung sind tief verwurzelt. Historisch gesehen wurde die Stadtplanung maßgeblich vom männlichen Arbeitsweg dominiert. Der öffentliche Raum wurde als männlicher Raum konzipiert, während weiblich gelesene Personen überwiegend für den Haushalt verantwortlich waren. Diese traditionellen Strukturen spiegeln sich bis heute wider, insbesondere in der Urbanisierung nach dem Wirtschaftswunder. 

Die gegenwärtige städtische Infrastruktur ist stark auf den Autoverkehr ausgerichtet. Die Beleuchtung durch Laternen mag die Straßen für Autos erhellen, doch bleiben die Gehwege oft im Dunkeln. Die Bordsteine sind für Autos abgesenkt, doch nicht für diejenigen die zu Fuß gehen oder mit mobilen Hilfsmitteln, wie Rollatoren oder Rollstühlen unterwegs sind. Zusätzlich sind die öffentlichen Verkehrsmittel häufig nicht optimal auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtet. Dies verstärkt die Herausforderungen der städtischen Mobilität insbesondere für weiblich gelesene Personen. Die Registrierung von Fahrzeugen verdeutlicht eine ungleiche Nutzung des Verkehrsraums, da 2017 insgesamt 62 Prozent aller Fahrzeuge in Deutschland auf männlich gelesene Personen zugelassen waren. Zudem legen sie durchschnittlich doppelt so viele Kilometer pro Tag mit dem Auto zurück wie weiblich gelesene Personen. Diese ungleiche Mobilität muss im Kontext des Gender Planning dringend überdacht werden, um eine inklusivere und geschlechtergerechte Stadtplanung zu ermöglichen.

Die Superblocks in Barcelona sind autofreie Zonen. Durch die Schaffung von sicheren Gehwegen und mehr Raum für FußgängerInnen ermöglichen sie eine verbesserte Mobilität, insbesondere für weiblich gelesene Personen. Superblocks dienen als positives Beispiel für eine Stadtgestaltung, die Gleichberechtigung und eine inklusive Umgebung in den Fokus stellt.

Das Problem mit den Toiletten
Vor den Toiletten für weiblich gelesene Personen erstreckt sich eine scheinbar endlose Schlange, während vor den Toiletten für männlich gelesene Personen niemand ansteht. Ein bekanntes Bild, das in vielen öffentlichen Einrichtungen zu beobachten ist und die Frage aufwirft, wie fair und gleichberechtigt Toilettenanlagen geplant sind. Auf den ersten Blick mag es gerecht erscheinen, für öffentliche Toiletten die gleiche Grundfläche einzuplanen. Doch bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die vermeintliche Gleichheit ins Wanken gerät. Toiletten für männlich gelesene Personen verfügen oft sowohl über Kabinen als auch Urinale, was bedeutet, dass sie pro Quadratmeter von mehreren Personen gleichzeitig genutzt werden können. So gibt es laut einer Studie der Uni Gent in Belgien auf der gleichen Fläche zehn Toiletten für weiblich gelesene und zwölf für männlich gelesene Personen. Eine gleiche Grundfläche ist somit gar nicht gleich.

Selbst wenn die Toiletten die gleiche Anzahl an Kabinen hätten, wäre das Problem nicht gelöst:

Während lange Toilettenschlangen hier ein weit verbreitetes Ärgernis sind, wird deutlich, dass dieses Problem global viel weitreichendere Konsequenzen hat. Weltweit hat jede dritte weiblich gelesene Person keinen Zugang zu einer sicheren Toilette. Gemäß einer Studie von 2016 sind weiblich gelesene Personen ohne Toilettenzugang doppelt so häufig Opfer sexueller Gewalt, die nicht vom eigenen Partner ausgeht, im Vergleich zu weiblich gelesenen Personen mit Toilettenzugang. Der gemeinnützige Verein WaterAid schätzt, dass weiblich gelesene Personen ohne Zugang zu einer Toilette weltweit mehr als 97 Milliarden Stunden jährlich mit der Suche nach einem geeigneten Ort für ihre Notdurft verbringen. Das grundlegende Bedürfnis, auf die Toilette zu gehen, beeinflusst weltweit die Mobilität von weiblich gelesenen Personen. Die Palette der Anliegen reicht von Älteren mit Blasenschwäche über Schwangere bis hin zu denen, für die der Toilettenbesuch eine reale Gefahr darstellen kann. Es ist wichtig, auch die Menschen zu erwähnen, die nicht auf den binären Toiletten zuhause sind und diejenigen, die auf barrierefreie Toiletten angewiesen sind.

Umeå geht mit positiven Beispielen voran
In der schwedischen Stadt Umeå wurden innovative Maßnahmen ergriffen, um geschlechtsspezifische Unterschiede im öffentlichen Raum anzugehen. StadtplanerInnen erkannten, dass Spielplätze abends überwiegend von männlichen gelesenen Jugendlichen genutzt wurden. Als Lösung schufen sie „freie Zonen“ – kleine, überdachte Plätze mit großen Hängesesseln und Bluetooth-Lautsprechern, die permanent beleuchtet sind. Heute werden diese Plätze von männlich und weiblich gelesenen gleichermaßen genutzt. 

Um die Teilnahme von weiblich gelesenen Jugendlichen im Fußball zu steigern, führte die Stadt spezielle Tage ein, an denen ausschließlich sie trainieren durften. Diese Maßnahme führte dazu, dass Freizeitfußball bei weiblich gelesenen Jugendlichen an Popularität gewann.

In einer zeitgemäßen Stadtplanung und Architektur sollte die Frage für wen der öffentliche Raum entworfen wird im Zentrum stehen. Das Erfassen von Daten nach Geschlechtern und eine vielfältige Vertretung in Planung, Design und Architektur sind Schlüsselaspekte für eine geschlechtergerechte Gestaltung des städtischen Raums. Es wird deutlich, dass städtebauliche Maßnahmen und individuelle Rücksichtnahme nur oberflächlich an den Symptomen arbeiten. Das eigentliche Problem liegt darin, dass weiblich gelesene Personen im öffentlichen Raum mit Ängsten konfrontiert werden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, nicht nur die physische Struktur der Städte zu verändern, sondern auch die gesellschaftlichen Normen und Werte, um einen Raum zu schaffen, der für alle sicher und inklusiv ist. Nur durch ein umfassendes Umdenken können Städte zu Orten werden, an denen jede Person, unabhängig von Geschlecht oder Hintergrund, ihren Platz findet und sich frei bewegen kann. 

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