Steckt ein Familienmitglied in Schwierigkeiten, ist Hilfe anbieten wohl für viele Menschen eine selbstverständliche Reaktion. Selbst wenn es den Verlust einer hohen Summe Geld bedeutet. Diese eigentlich lobenswerte Hilfsbereitschaft wird von BetrügerInnen allerdings schamlos ausgenutzt. So rufen sie meist bei älteren Menschen zu Hause auf dem Festnetz an. Einige geben sich als Verwandte aus, die beispielsweise einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht haben und dringend eine Kaution benötigen. Andere machen sich das Vertrauen der Menschen in die Polizei zu Nutze. Sie behaupten Beamte zu sein, die eine Einbruchsserie in der Gegend verfolgen und überzeugen die Opfer davon, dass ihr Haus das nächste Ziel sein könnte. Ihr Vermögen soll zur Sicherheit in polizeiliche Obhut übergeben werden. Diese Maschen haben dabei im Kern nur ein Ziel: Die Menschen so lange zu bedrängen, bis sie ihr Vermögen an die BetrügerInnen übergeben. Und das in dem Glauben, das Richtige zu tun.
Solche Schockanrufe gehören zu den sogenannten „Straftaten zum Nachteil älterer Menschen“. Kriminalkommissar David Spee leitet in der Polizeidirektion Wolfsburg-Helmstedt eine ständige Ermittlungsgruppe aus vier Personen, die sich mit solchen Betrugsfällen befasst. Spee zufolge erfahren die TäterInnen Namen und Nummern von potenziellen Opfern häufig aus Telefonbüchern. „Da wird dann gerne auch nach Namen gefiltert, die älter klingen“, erklärt er. Dabei erhoffen sie sich bei älteren Menschen leichtere Erfolge. Besonders bei Alleinlebenden, für die ein Anruf durch Familienmitglieder eher eine Seltenheit darstelle. Dennoch können laut David Spee auch jüngere Menschen zum Ziel werden: „Neulich hatte ich auch eine 23-Jährige hier, die einen älter klingenden Namen hatte.“ Die Täter seien hoch professionell und sie zu durchschauen dementsprechend schwer. Sie setzen die Angerufenen unter Zeitdruck, reden ohne Punkt und Komma, sodass kaum Zeit zum Nachdenken bleibt. „Wenn der Geschädigte dann für sich rekapitulieren kann, dass da etwas nicht passt oder darauf kommt, einen Verwandten um Rat zu fragen, ist es meistens schon zu spät“, so Spee weiter.
Strategien der Callcenter-BetrügerInnen/TäterInnen
Die TäterInnen gehen arbeitsteilig vor. Dabei sind die Anrufenden, sogenannte KeilerInnen, dafür zuständig die potenziellen Opfer am Telefon zu bearbeiten. Sie versuchen zunächst in Erfahrung zu bringen, wie viel Geld überhaupt vorhanden ist, um anschließend eine Übergabe zu vereinbaren. Die OrganisatorInnen der Betrugsdelikte werden LogistikerInnen genannt. Sie sind für bestimmte Bereiche verantwortlich und erhalten durch die KeilerInnen Informationen über potenzielle Opfer in ihrem Gebiet. Die Menschen, die das Geld bei den Geschädigten abholen, werden ebenfalls von ihnen angeworben. Diese AbholerInnen können im Bekanntenkreis der Callcenter-BetreiberInnen, aber auch über Plattformen wie Telegramm gefunden werden. Sie dienen also als Mittel, um das Geld entgegenzunehmen und möglichst schnell weiterzugeben. Bestenfalls ins Ausland, wo sich meistens die Hintermänner aufhalten. AbholerInnen sind auch meistens diejenigen, die von der Polizei verhaftet werden. Dann muss nach David Spee zunächst geklärt werden, inwiefern demjenigen klar war, an welcher Straftat er durch das Abholen des Geldes beteiligt war. Der Vorsatz müsse herausgearbeitet werden. Besonders schwierig sei das, wenn ein Taxi zum Abholort geschickt wird. „Die Fahrer machen ja im Endeffekt nur ihren Job und freuen sich über gute Aufträge“, verdeutlicht David Spee. Er erinnert sich auch an Fälle, in denen TaxifahrerInnen selbst auf die Polizei zukamen, wenn ihnen an einem Auftrag im Nachhinein etwas Ungewöhnliches auffiel. „So sind wir auch schon an Täterbeschreibungen gekommen.“
Schäden, die durch erfolgreiche Betrugsversuche entstehen, richten sich laut David Spee nach den finanziellen Möglichkeiten der Opfer. Während die Grenze nach oben offen ist, geht er von gewissen Mindestgrenzen aus, die nicht unterschritten werden. „Die Täter machen immer eine Risikoabwägung. Da stellt sich dann die Frage, ob es zum Beispiel 4.000 Euro wert sind, dass eventuell ein Abholer gefasst wird.“ Häufig handele es sich um fünfstellige Beträge. Nicht alle Opfer haben das Geld allerdings bar zu Hause. Es kommt demnach vor, dass sie es von der Bank holen müssen. In diesem Fall besteht durch das geschulte Bankpersonal die Chance, eine Übergabe des Geldes zu verhindern. „Die Bank ruft uns regelmäßig wegen eines Verdachts an“, bestätigt David Spee. Die Polizei könne diesen dann überprüfen und die Betroffenen aufklären. Das Vertrauen zu gewinnen sei dabei aber oft nicht einfach. „Eine der schwierigsten Aufgaben für uns ist es dann den Geschädigten zu vermitteln, dass wir jetzt die richtige Polizei sind“, erklärt Spee. Dies werde noch dadurch erschwert, dass Kriminalermittler und Kriminalermittlerinnen keine Uniform tragen.
Ist das Geld einmal durch den oder die AbholerIn weitergegeben wurden, ist das Geld so lange verloren, bis die TäterInnen gefasst werden. Nach David Spee werden die Ermittlungen gegen solche Callcenter dadurch erschwert, dass die TäterInnen überregional und auch international agieren. Aus diesem Grund müsse man versuchen, sich bundesweit mit anderen Dienststellen und auch mit dem Ausland zu vernetzen. Besonders wichtig zur Aufklärung sei außerdem das Verständnis der Strukturen der TäterInnen. Man müsse beispielsweise schnell auf neue Taktiken reagieren und die eigenen Strukturen entsprechend anpassen. „Wir müssen auf die Dynamik der Täter auch mit Dynamik reagieren“, so David Spee. In erster Linie versuche die Polizei allerdings zu verhindern, dass das Geld überhaupt durch die AbholerInnen weitergegeben wird. Kriminalhauptkommissar Mario Dedolf ist Beauftragter für Kriminalprävention in der Polizeidirektion Wolfsburg-Helmstedt. Er erklärt, was getan wird, um den Erfolg der Betrugsmaschen von vorneherein zu verhindern und wie jede/r dabei helfen kann, sich und seine oder ihre Angehörigen zu schützen.