Arzt oder Ärztin zu werden – das ist für viele junge Menschen in Deutschland ein Traum. Doch wer nicht über ein Spitzenabitur verfügt oder keine finanziellen Mittel hat, sieht sich mit einem harten Fakt konfrontiert: Der Arztberuf ist in Deutschland oft ein Privileg. Der Numerus Clausus trennt diejenigen mit Spitzenabschlüssen von denjenigen, die trotz Talent und Leidenschaft keine Chance bekommen. Tim Fuhrmann kennt diese Hürden: Der 23-jährige Wolfsburger studiert heute an der Technischen Universität Dresden, doch die letzten zwei Jahre verbrachte er an der Semmelweis-Universität in Budapest. Eine Entscheidung, die nicht nur kostspielig, sondern auch emotional belastend war.
Tim ist nicht allein. Mit ihm kamen im Oktober 2024 über 60 weitere Studierende aus Budapest nach Dresden zurück. Doch warum mussten sie ins Ausland gehen? Und welche Ungerechtigkeiten im deutschen Bildungssystem zwangen sie zu diesem Schritt?
Ärztemangel in Deutschland: Ein System am Limit
Während jedes Jahr Tausende AbiturientInnen und Abiturienten vom Medizinstudium träumen, fehlen in deutschen Kliniken und Praxen dringend Fachkräfte. Laut Dostal (2024) werden bis 2035 voraussichtlich 32.000 Ärztinnen und Ärzte fehlen. Besonders schwierig ist die Situation in ländlichen Regionen, in denen bereits heute die Nachbesetzung von Arztpraxen oder der Erhalt von Krankenhäusern zunehmend problematisch ist, wie Matheis (2024) und Mirza (2023) analysieren.
Angesichts dieser Prognosen stellt sich die Frage: Kann sich Deutschland den strikten Numerus Clausus noch leisten? KritikerInnen argumentieren, das System vergraule nicht nur talentierte junge Menschen, sondern verschärfe zudem den Fachkräftemangel.
Die Hürden des Medizinstudiums in Deutschland
Zum Wintersemester 2023/2024 standen deutschlandweit 10.034 Studienplätze für Humanmedizin zur Verfügung. Nach Angaben von gesundheit-studieren.com (2024) hat kein einziger Bewerber bzw. keine einzige Bewerberin mit einem Abiturdurchschnitt von schlechter als 1,2 einen Studienplatz erhalten.
Tim Fuhrmann weiß, wie schwer es ist. Er gehört mit seinem Abiturschnitt von 1,7 zu den besten 30 Prozent seines Abschlussjahrgangs – trotzdem hat er in Deutschland keine Chance auf einen Studienplatz gehabt.
Der NC polarisiert: Einerseits stellt er sicher, dass nur die leistungsstärksten SchülerInnen Zugang zum Medizinstudium erhalten – eine Notwendigkeit angesichts knapper Ressourcen. Andererseits stellt er soziale Gerechtigkeit infrage. Laut “lass-dich-nieder” sagt der Abiturschnitt jedoch wenig über die späteren Fähigkeiten als Ärztin oder Arzt aus.
Ein zentraler Grund für die strengen Zulassungsbeschränkungen ist die hohe finanzielle Belastung für den Staat. Ein Medizinstudium kostet bis zum dritten Staatsexamen rund 250.000 Euro pro Person. Zusätzlich sind die Kapazitäten der Universitäten und Kliniken begrenzt. Das Resultat: Auf jeden Studienplatz kommen durchschnittlich drei bis vier BewerberInnen.
Warum zieht es so viele ins Ausland, statt eine private Universität in Deutschland zu wählen? Private Hochschulen bieten nur teilweise NC freie Plätze an. Viele private Hochschulen haben zudem ein komplexes Aufnahmeverfahren mit verschiedenen Tests und Ausschlusskriterien. Zudem sind Private Hochschulen mit hohen Kosten verbunden. |
Studieren in Budapest: Chance oder Privileg?
Tim entschied sich für das deutschsprachige Medizinstudium an der Semmelweis-Universität in Budapest. Die renommierte Hochschule zieht jedes Jahr Tausende Studierende aus aller Welt an. Doch die hohen Kosten stellen eine enorme Herausforderung dar: Laut Angaben der Semmelweis-Universität belaufen sich die Studiengebühren auf 9.150 Euro pro Semester. Hinzu kommen Ausgaben für Unterkunft, Lebenshaltung und Flüge nach Deutschland.

„Die Entscheidung war nicht leicht“, erklärt Tim. „Budapest ist fast 1.000 Kilometer von meiner Heimat entfernt, und die Kosten sind enorm.“ Wie Tim verdanken viele seiner KommilitonInnen ihren Platz dort finanzieller Opfer ihrer Familien. Gleichzeitig sei das Studium anspruchsvoll und der Druck, sowohl akademisch als auch finanziell, enorm, so der Student.

„Man weiß, dass die eigenen Eltern große Opfer bringen, und das setzt einen zusätzlich unter Stress“, sagt Tim. Für ihn hat sich der Aufwand jedoch gelohnt: Nach seinem Physikum konnte er sich an deutschen Universitäten bewerben und hat nun einen Platz in Dresden.
Doch nicht jede/r hat diese Chance. Die hohen Kosten in Budapest oder an privaten Hochschulen in Deutschland sind für viele keine Option. Diese Realität führt zu einer erheblichen Ungerechtigkeit: Der Weg zum Arztberuf bleibt in Deutschland oft ein Privileg – entweder für die Besten oder die Wohlhabenden. Angesichts des akuten Ärztemangels stellt sich die Frage: Wie lange kann sich Deutschland ein solches System noch leisten?
Lösungsansätze im Fokus – Reform des NC: Sollte der Abiturschnitt weniger Gewicht erhalten und durch andere Auswahlkriterien wie Eignungstests oder Praktika ergänzt werden? – Ausbau der Studienplätze: Würden mehr Studienplätze langfristig helfen, den Fachkräftemangel zu beheben? – Unterstützung für Studierende im Ausland: Könnten gezielte Stipendien oder finanzielle Hilfen mehr Menschen den Zugang zu einem Medizinstudium ermöglichen? |
Teaserbild: Krankenhaus, Nadine Achilles